Protocol of the Session on June 27, 2012

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ältere Schüler ha ben sie!)

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Kleinböck das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen, liebe Kollegen! „Strukturelles Unterrichtsversorgungs defizit der beruflichen Schulen schneller abbauen“ – ein schö ner Titel für diesen Tagesordnungspunkt. Es ist vieles dazu gesagt worden.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Lassen Sie mich zwei, drei Aspekte, die nur am Rande ange sprochen wurden, noch einmal erwähnen.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Die Besonderheiten in diesem Schuljahr mit der Klasse 10 der Werkrealschule oder der Entwicklung der Schülerzahlen in der Berufsfachschule wollten wir. Deshalb haben wir auch die Kritik entsprechend hingenommen. Wir wissen, dass die Ent wicklung der Zahl der Schüler in der vollzeitschulischen Aus bildung nicht vor dem Beginn des Schuljahrs bekannt ist.

(Abg. Volker Schebesta CDU: In diesem Jahr ist es doch nicht das erste Mal, dass das so ist!)

Es ist eine Besonderheit der beruflichen Schulen, dass es hier permanent Veränderungen gibt, selbst in das laufende Schul jahr hinein.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist auch das erste Mal!)

Damit werden die beruflichen Schulen schon seit vielen Jah ren konfrontiert. Ich bin eigentlich ein bisschen enttäuscht, dass es Ihnen nicht gelungen ist, hier mit entsprechenden or ganisatorischen Maßnahmen die Möglichkeit zu schaffen, schneller zu reagieren.

Fakt ist doch, dass wir trotz der Ergebnisse der Enquetekom mission im Jahr 2010/2011 zusätzlich 200 „Bugwellendepu tate“ an den beruflichen Schulen aufgebaut haben. Fakt ist doch auch, dass die 157 Deputate, die 2010 bzw. 2011 einge stellt wurden, nur bis 2012 finanziert waren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist natürlich schon ärgerlich, wenn man nicht mehr aus dem Vol len schöpfen kann, sondern es plötzlich heißt: Jetzt müssen wir die Stellen einmal zielgerichtet einsetzen und deshalb mit 60 und 60 Stellen beginnen, um den speziellen Fachkräftebe darf zu sichern. Das ist nach meiner Einschätzung auch weit gehend gelungen – von wegen dramatische Entwicklungen, dass Lehrerinnen und Lehrer in andere Bundesländer abwan dern würden: Davon kann ich nicht berichten.

Insgesamt haben wir hier mit den 400 Neu- und den 300 Alt bewerbern schon heute eine Einstellungssituation – schauen Sie sich einmal die Zahlen der Einstellung an –, die wir durch aus als gut bezeichnen können. Es ist sogar so, dass Lehrerin nen und Lehrer aus den Nachbarländern in Baden-Württem berg eine Anstellung finden. Ich selbst habe einen Lehrer ab gegeben, der im neuen Schuljahr in Baden-Württemberg un terrichten wird.

Trotzdem bleibt festzustellen, meine Damen und Herren, dass die Berufsschulen insgesamt keine herausragende Lobby ha ben. Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir alle vor einigen Ta gen eine E-Mail von einem großen Ausbildungsbetrieb be kommen haben, in der auch diese Dramatik der Entwicklung hinsichtlich der Unterrichtsversorgung beschrieben wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in den 35 Jahren, in denen ich in der Berufsbildungspolitik tätig bin, eine solche E-Mail erhalten oder davon Kenntnis erlangt hätte, wonach das Un terrichtsdefizit 7 bis 8 % beträgt und bei manchen Schulen, wie wir es in der Enquetekommission gehört haben, noch hö her liegt.

Sie haben doch dieses strukturelle Defizit seit Jahrzehnten kul tiviert. Wenn Sie jetzt die Erwartung formulieren, dass wir in nerhalb eines Jahres alle Probleme lösen, muss ich Ihnen ganz offen sagen, dass wir das nicht hinbekommen werden. Inso fern bitte ich darum, dass wir uns an dieser Stelle in Geduld üben.

Die Rückfragen bei den beruflichen Schulen ergeben auch, dass sich von den Bedenken, die wir vor zwei, drei Monaten noch gehört haben, vieles stark relativiert hat. Bei den Schu len, mit denen ich gesprochen habe, ist eine große Zuversicht gegeben, dass das Ganze zielgerichtet weiterlaufen wird.

Insofern denke ich: Es gab viel Aufregung. Es ist auch okay, dass wir bei Punkten, die wir ändern wollen, zunächst in der Kritik stehen. Aber ich denke, das haben wir ganz gut ausge halten, und die beruflichen Schulen wissen, dass wir an ihrer Seite sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Kern das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Jede Revolution hat ihre Gewinner und ihre Verlierer. Da Grün-Rot nun begonnen hat, innerhalb eines Jahres das baden-württembergische Bildungswesen mit aller Macht umzugraben,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Oh Gott! Was für eine maßlose Übertreibung!)

wird es unter den Schulen wie unter den Schülern Gewinner und Verlierer geben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Schlimm für einen Liberalen ist bei diesen Umgrabungsarbei ten von Grün-Rot vor allem, dass sich die Gewinner nicht im Laufe des Turniers unter fairen Wettbewerbsbedingungen he rausstellen, sondern Grün-Rot vor allem die Sieger schon von vornherein festgelegt und die Wettbewerbsbedingungen so einseitig zu deren Gunsten manipuliert hat, dass den Gemein schaftsschulen gar nichts anderes übrig bleibt, als nachher auf dem Siegertreppchen zu stehen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Klasse! – Abg. Andreas Stoch SPD: Das wird ein bisschen Märchen!)

Ebenso schlimm ist es, dass Grün-Rot so tut, als gäbe es in Ih ren Spielen nur Gewinner. Das ist nach Auffassung der FDP/ DVP unredlich, weil Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Ba den-Württemberg Sand in die Augen streuen.

Der vorliegende Antrag der CDU richtet nun den Blick auf ei nen der großen Verlierer der grün-roten Umwälzungsarbeiten, auf die beruflichen Schulen. Denn für die beruflichen Schu len wurde nicht nur nicht das Optimum des Möglichen getan, sondern die beruflichen Schulen sind auf der grün-roten Pri oritätenliste ganz weit nach hinten gerutscht.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Kern, ge statten Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Andreas Stoch SPD: Er pflegt lieber weiter sei ne Vorurteile!)

Das lässt sich auch ganz einfach belegen: Die FDP/DVP hat in den Haushaltsberatungen im Frühjahr den Antrag gestellt, die 133 für die Teilrückkehr zum neunjährigen Gymnasium notwendigen Stellen besser für den Ausbau der beruflichen Gymnasien vorzusehen, als die entsprechenden Ressourcen für die feigenblattartige Erfüllung eines wohlfeilen Wahlver sprechens einzusetzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zurufe von den Grünen: Keine Ahnung! – Weitere Zurufe von den Grünen und der SPD)

Nun könnte man sagen: Okay, das ist ein Oppositionsantrag; den muss man ablehnen, weil er eben von der falschen Seite kommt. Ich frage mich aber: Wie steht es um Ihre eigenen, selbst gesteckten Ziele? Frau Kollegin Schmid hat hierzu be reits etwas gesagt: Wenn nach Auffassung der Enquetekom mission „Berufliche Schulen“ 900 Lehrerstellen in den beruf lichen Schulen fehlen und Sie in einem weiter gehenden, rotgrünen Minderheitsvotum auf die Bereitstellung der Ressour cen drängten, dann müsste es Ihnen doch ein inneres Bedürf nis sein, diese Bedarfslücke jetzt zu schließen.

Das strukturelle Unterrichtsdefizit hält sich aber konstant bei 3 % und zum Teil sogar bei über 4 %. Die Bugwelle der Leh rerwochenstunden ist auch in diesem Jahr wieder um 200 De putate auf aktuell 1 860 Deputate gewachsen,

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Wer hat das zu verantworten?)

und es werden noch immer viele Bewerberinnen und Bewer ber, z. B. für die beruflichen Gymnasien, aus Kapazitätsgrün den – und nicht wegen ihrer Noten – abgewiesen.

Wenn Sie aber weder auf die FDP/DVP noch auf sich selbst hören mögen, dann sollten Sie wenigstens aufhorchen, wenn der in Baden-Württemberg mit sechs Produktionsstätten an sässige Weltkonzern Daimler die Attraktivität der dualen Aus bildung durch den Unterrichtsausfall an den beruflichen Schu len gefährdet sieht.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

Man muss kein Seismologe sein, um zu spüren, dass solche Aussagen von einem Ausbildungsbetrieb dieser Größenord nung nicht routinemäßig als kleines Beben abgetan werden können, sondern eher schon eine bedrohliche Erdbewegung anzeigen.

Sie werden einwenden, dass Sie kurzerhand 100 Lehrer zu sätzlich für drei Jahre an die beruflichen Schulen abordnen werden. Das Instrument der Abordnung ist in besonderen Fäl len sicherlich wichtig. Aber warum werden hier nicht statt dessen Stellen zugewiesen?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Hierfür gibt es nur eine Erklärung: Man bildet Provisorien, um im Bedarfsfall Ressourcen für andere, große Vorhaben zur Verfügung zu haben.

Denn bei genauerem Hinsehen ist die Gemeinschaftsschule d i e strukturelle Hauptrivalin der beruflichen Schulen. Sie bietet alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse an und ver zichtet dabei vollständig auf eine Differenzierung nach Leis tungsniveaus. Dabei sind gerade die Vielfalt und Differenzie rung, verbunden mit einer hohen Durchlässigkeit, der Mar kenkern unseres beruflichen Bildungswesens, das sich welt weit zu einem wahren Exportschlager entwickelt hat und das wie kaum ein zweites Bildungssystem das Prinzip „Aufstieg durch Bildung“ verkörpert.

Durch Ihre Schulpolitik bringen Sie junge Generationen um ihre Aufstiegs- und Bildungschancen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ja wohl!)

Zum Schluss appelliere ich an Sie: Lösen Sie sich von der pä dagogisch einseitigen Fixierung auf die Binnendifferenzie rung in einer Lerngruppe! Gerade auch die äußere Differen zierung in verschiedene Schularten und damit eine vielfältige Palette von Lernangeboten, wie sie für die beruflichen Schu len so typisch ist, bringt erhebliche Chancen für den einzel nen jungen Menschen. Fördern Sie neben der Binnendifferen zierung auch die äußere Differenzierung. Wenn Sie es mit der individuellen Förderung wirklich ernst meinen, gibt es zu die sem Weg keine Alternative.