Protocol of the Session on June 27, 2012

Ich muss ganz klar sagen, dass es nicht unsere Idee war, die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung aufzuheben. Im Übrigen hat die Grundschulempfehlung auch keinerlei Ein fluss – zumindest nicht unmittelbar – auf die jetzigen Schü lerströme in Richtung der beruflichen Schulen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Ich betone an dieser Stelle aber nochmals ganz deutlich die Wichtigkeit der schulscharfen Ausschreibung. Sie gibt den Schulen nämlich die Möglichkeit, Lehrerstellen genau nach Bedarf auszuschreiben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Sie gibt den Quereinsteigern aber auch die Möglichkeit, sich direkt zu bewerben, und sie gibt den Quereinsteigern die Mög lichkeit, Arbeitsverträge fristgerecht zu kündigen und so dem Schuldienst rechtzeitig zur Verfügung zu stehen. Sie stärkt aber auch die operative Eigenständigkeit der Schulen und ver bessert zugleich die Versorgungslage nachhaltig.

Wenn aber diese Stellen künftig über das Listenverfahren zu gewiesen werden, haben Quereinsteiger keine Möglichkeit mehr, rechtzeitig aus ihren Arbeitsverträgen herauszukom men.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist der ent scheidende Punkt! Richtig!)

Sie haben keine Möglichkeit mehr, in Baden-Württemberg rechtzeitig eine Stellenzusage zu bekommen, und wandern dann in andere Bundesländer ab. Das heißt: Wir bilden hier hoch qualifiziertes Personal aus, um es dann an andere Bun desländer zu verlieren. Das kann auch nicht unser Ziel sein.

Was, meine Damen und Herren, bedeutet das für unsere Schu len? Diese erfahren frühestens im Sommer, wie viele Lehrer stellen sie genau bekommen. Erst dann können die Schulen darüber entscheiden, wie viele Klassen sie einrichten können und ob sie gegebenenfalls Klassen mangels Lehrer streichen müssen.

Was bedeutet das für die Schülerinnen und Schüler? Unsere Schülerinnen und Schüler stehen möglicherweise im Sommer auf der Straße. Sie haben dann keine Chance mehr auf eine Lehrstelle oder auf einen Platz an einer anderen Schule. Das ist für einen jungen Menschen kein motivierender Start ins Berufsleben oder in die Ausbildung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Tanja Gönner CDU: Schön, dass auch die Ministerin da ist! – Zuruf: Die Regierung ist jetzt da!)

Das ist schön.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Bekommen wir jetzt mehr Redezeit, weil sie da ist?)

Für die CDU-Fraktion galt aber immer der Grundsatz: Kein Abschluss ohne Anschluss. Meine Damen und Herren, das strukturelle Unterrichtsdefizit beträgt nach wie vor rund 4 %. Das heißt, an den beruflichen Schulen fehlen etwa 700 Stel len, um einen ungekürzten Unterricht zu gewährleisten. Den Berechnungen des BLV zufolge werden etwa 700 Stellen frei. Da die beruflichen Schulen aber nur etwa 600 Lehrerstellen bekommen, reden wir leider von einer echten Kürzung.

Zum Schluss erlauben Sie mir, Herrn Ministerpräsident Win fried Kretschmann zu zitieren. Er hat beim Delegiertentag der GEW zum Thema „Mehr Lehrer einstellen“ gesagt, dass Knapp heit zu Kreativität führe. An dieser Stelle stellt sich die Fra ge, ob unsere Lehrkräfte diese Kreativität nicht doch besser in die Qualität des Unterrichts stecken sollten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Lehmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss Ihnen, Frau Schmid, in einem Punkt recht geben.

(Abg. Georg Wacker CDU: Nur in einem?)

In einem grundsätzlichen Punkt. – Wir, die damaligen Op positionsfraktionen SPD und GRÜNE,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das war ei ne gute Zeit!)

haben in der Enquetekommission sehr weitreichende Forde rungen als Minderheitsvoten eingebracht; sie sind abgelehnt worden. Wir haben aber – das gehört mit zur Wahrheit – im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir uns für diese Le gislaturperiode das Ziel setzen, das strukturelle Unterrichts defizit abzubauen und in den Abbau der Bugwelle einzustei gen.

Sie können uns natürlich vorwerfen, dass wir unsere damali ge Handlungsempfehlung jetzt nicht in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Aber wir haben – das müssen im Prinzip auch alle Bildungspolitiker akzeptieren – in der Koalition vereinbart, keine neuen Stellen ins System zu bringen, son dern aus dem System die bildungspolitischen Reformen zu finanzieren – eingedenk der Tatsache, dass wir bis zum Jahr 2019/2020 einen ausgeglichen Haushalt brauchen und struk turelle Defizite im Haushalt abbauen müssen. Das ist für alle Bildungspolitiker eine schwierige Aufgabe,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Allerdings!)

aber – ich sage es ganz offen – dem ist das Ganze auch ge schuldet.

Aber eines gehört auch zur Ehrlichkeit, Frau Schmid. Als wir im letzten Jahr die Regierung übernommen haben, standen wir vor der Situation, dass Sie in Ihrem Haushalt 2011 711 Stellen gestrichen hatten. Wir haben sie wieder hineingenom men. Das hat dazu geführt, dass allein bei den beruflichen Schulen 139 Stellen im System geblieben sind. Wir haben sie drin gelassen. Diese Stellen haben auch dazu geführt, dass das strukturelle Unterrichtsdefizit auf einem historischen Tiefstand – dieser Stand ist natürlich noch immer viel zu hoch –

(Abg. Viktoria Schmid CDU: Jetzt steigt es halt wie der!)

von 4,1 % ist.

Zu Ihrer Aussage, die CDU habe immer daran gearbeitet, das strukturelle Unterrichtsdefizit abzubauen: Sie sollten sich viel leicht noch einmal einige Zahlen anschauen. Das Defizit be trug 2001 7 %, fiel 2006 auf 4,4 %, ist wieder auf 4,6 % ge stiegen – vielleicht war der Berg zu hoch – und lag 2010 bei 4,4 %.

(Zurufe der Abg. Peter Hauk und Viktoria Schmid CDU)

Sie haben der neuen Landesregierung ein Defizit von 4,4 % übergeben. Ich möchte gar nicht auf die Jahre davor zurück blicken. Wenn das eine Anstrengung war, was Sie in den ver gangenen zehn, 15 Jahren in diesem Bereich unternommen haben, dann war das jedenfalls keine sehr große.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Abg. Lehmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Schmid?

Bitte, Frau Abgeordne te.

Herr Lehmann, Sie wissen aber schon, dass das strukturelle Unterrichtsdefizit auch von einer Verschiebung der Schülerströme von den Teilzeitschulen in Richtung der Vollzeitschulen ausgegangen ist, was einen et wa dreifachen Ressourcenbedarf mit sich bringt?

(Abg. Georg Wacker CDU: Aha!)

Es ist ja nicht nur Misswirtschaft, sondern es gibt ganz kon krete Gründe dafür.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das weiß er!)

Das weiß ich.

(Zurufe von der CDU: Aha! – Abg. Viktoria Schmid CDU: Natürlich weiß er das!)

Frau Schmid, ich bin seit 2006 im Landtag. Lesen Sie einmal meine Reden nach. In der ersten Rede, die ich 2006 gehalten habe, habe ich auf diese Problematik hingewiesen.

Darüber, dass das Land im Bereich des Übergangssystems, nämlich der Vollzeitschulen, einen Riesenberg aufgebaut hat, der nicht zu Anerkennung geführt hat, haben wir schon oft ge sprochen. Da hat das Land etwas laufen lassen. Ich denke, das war ein großer Fehler.

Wir müssen jetzt – in dieser Frage stehe ich auch beim Minis terpräsidenten – aufgrund der Haushaltssituation durch Struk turreformen auch im Bereich der beruflichen Bildung aus dem System die Synergien heben, um zu einem leistungsfähigen, schlanken, für die jungen Menschen guten System zu kom men und um junge Menschen wieder vermehrt einer dualen Ausbildung zuzuführen.

Da sind die Anstrengungen in den vergangenen Jahren mei nes Erachtens zu gering gewesen. Wir haben jetzt zu viele jun ge Menschen in vollzeitschulischen Ausbildungsgängen. Wir müssen sie jetzt motivieren, in eine duale Ausbildung zu ge hen. Da müssen wir eine Kehrtwende machen. Wir müssen dieses Übergangssystem reformieren. Der Druck ist jetzt vor handen – ich denke, er liegt auf allen Bildungspolitikern –, entsprechende Reformen einzuleiten. Ich lade Sie dazu ein, diese Reform konstruktiv zu begleiten. Ich denke, eine der wichtigsten Aufgaben, die wir in den nächsten Jahren im In teresse der jungen Leute hier in Baden-Württemberg haben, ist, ein zukunftsfähiges, robustes Bildungssystem zu haben, in dem keine Bildungsverlierer produziert werden, sondern die nötigen Entwicklungen vorangetrieben werden.

Wir haben auch – das wissen Sie – in den Beratungen des Haushalts für 2012 nicht nur erreicht, dass wir die begonne nen Maßnahmen der Enquetekommission weiterfinanzieren, sondern wir gehen da Schritt für Schritt behutsam weiter vor. Wir werden auch im Hinblick auf die Problemlage, dass wir im Bereich der Berufsfachschulen einen stärkeren Zulauf von jungen Leuten bekommen, die das Berufsvorbereitungsjahr besucht haben, angepasste Angebote machen und sicherstel len, dass mehr Ganztagsangebote, mehr Gruppenteilung, mehr individuelle Förderung aus dem System heraus geleistet wer den. Da sind wir dran. Das werden wir tun. Ich glaube, das ist

auch gut so. Denn wir müssen hier viel stärker eine gezielte Förderung einführen.

Das Zahlenspiel, das Sie gemacht haben, muss man ehrlich betrachten. Die hohe Zahl an Neueinstellungen im letzten Schuljahr war natürlich auch auf die Absenkung des Klassen teilers, die weit über 200 Deputate ausmacht, zurückzuführen. Wenn wir hier jetzt – auch das können Sie kritisieren – 640 Deputate neu vergeben und vereinbart haben, dass zusätzlich 100 Referendare für das gymnasiale Lehramt an die berufli chen Schulen abgeordnet werden, können Sie fragen: Warum machen Sie das?

Wir haben aber auch festgelegt – das ist, glaube ich, verant wortungsvoll –, den Referendaren, die jetzt in der ganz schwie rigen Situation des Wegfalls des doppelten Abiturjahrgangs ihre Ausbildung beenden, eine berufliche Perspektive zu ge ben und deswegen hier eine entsprechende Umschichtung vor zunehmen. Diese ist durchaus nicht immer fachlich begrün det. Aber sie ist wichtig und auch sachlich begründet, weil es hier auch darum geht, jungen Leuten mit einer guten Ausbil dung für das gymnasiale Lehramt eine berufliche Chance zu geben. Ich weiß als Berufsschullehrer, dass viele gern im Be reich der beruflichen Schulen bleiben, weil diese vielleicht et was weniger anstrengend und viel flexibler aufgestellt sind als die Gymnasien.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ältere Schüler ha ben sie!)