Protocol of the Session on April 16, 2015

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Käppeler das Wort.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Seit die CDU hier im Land vor nunmehr fast vier Jahren die Oppositionsbänke beziehen musste, hat sie die Realschule für sich entdeckt. Seither lässt sie keine Gelegenheit aus, die Arbeit an den Realschulen zu loben – das darf sie – und lauthals nach mehr Unterstützung für diese Schulart zu schreien – so auch mit ihrem Antrag vom Januar 2014, über den wir uns heute austauschen dürfen.

(Zurufe der Abg. Peter Hauk und Karl Zimmermann CDU)

Wenn man bedenkt, dass die CDU vor unserem Regierungs antritt 2011 genügend Zeit gehabt hätte, die Realschule zu stärken, wie sie es von uns nun fordert, kommt man schon ins Grübeln. Während sie ihrem Lieblingskind Gymnasium gan ze zehn Poolstunden angedeihen ließ, gab es keine einzige für die Realschulen. Das hat sich erst mit dieser Legislaturperio de und der Übernahme der Regierungsverantwortung durch uns geändert.

Aktuell bekommen die Realschulen 2,2, ab dem kommenden Schuljahr sogar sechs Poolstunden. Frau Boser hat gerade aus geführt, wie der Plan weiter aussieht.

Die von der CDU entfachte Diskussion kann man also unge niert als scheinheilig bezeichnen – heute Morgen haben wir über Sein und Schein schon ausführlich diskutiert –, auch vor dem Hintergrund, dass die CDU, Stand heute, kein abge stimmtes Konzept zur Weiterentwicklung der Bildungsland schaft präsentieren kann – ganz im Gegensatz zu uns.

Scheinheilig ist auch die Behauptung, dass sich die Realschu len erst seit dem Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschul empfehlung mit Heterogenität auseinandersetzen müssten. Die Realschule war und ist seit jeher die Schulart mit der hetero gensten Schülerschaft. Dort finden sich sowohl Schülerinnen und Schüler mit Gymnasialempfehlung als auch jene, die es gerade einmal so geschafft haben, eine Empfehlung für die Realschule zu bekommen. So hat das achtjährige Gymnasi um der Realschule bis zu einem Drittel Schülerinnen und Schüler mit Gymnasialempfehlung beschert. Von 1995 bis 2010 sind die Schülerzahlen an den Werkrealschulen von 40 000 auf 23 000 zurückgegangen. In dieser Zeit werden sich manche dieser Schüler auch an den Realschulen gefunden ha ben.

Damit kein falsches Bild von der Entscheidungsfindung der Eltern entsteht, stelle ich noch eine weitere Angabe in den

Raum: Trotz des Wegfalls der Verbindlichkeit der Grundschul empfehlung halten sich rund 90 % der Eltern an die Grund schulempfehlung. Dies ist eine Quote, die sich in den nächs ten Jahren erfahrungsgemäß noch etwas nach oben einpen deln wird. Da bin ich sicher.

In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf die Grundschulen im Land. Dort herrscht naturgemäß die größte Heterogenität, der die Lehrerinnen und Lehrer an vielen Schu len mit Wochenplanarbeit begegnen. Während ein oder zwei Stunden pro Schultag lernen die Kinder selbstorganisiert auf unterschiedlichem Niveau mit unterschiedlichen Aufgaben.

Ich vermute, Ihnen kommt das bekannt vor. Schade, dass die Kinder diese Lernform kaum an Realschulen oder Gymnasi en vorfinden, wohl aber an der Gemeinschaftsschule. Wenn sie dann in die fünfte Klasse des Gymnasiums oder der Real schule kommen, erklärt man ihnen stattdessen, dass sie jetzt richtig lernen und den Kinderkram vergessen sollen. Konti nuität sieht anders aus.

Was die Zunahme der Sitzenbleiberquote angeht, möchte ich Sie doch bitten, die Kirche im Dorf zu lassen. Seltsamerwei se haben rund 180 Realschulen gar keine Sitzenbleiber, wäh rend andere Realschulen nach altpraktiziertem Muster aussie ben. Es stimmt, dass sich die Zahl der Sitzenbleiber erhöht hat, jedoch nicht auf astronomische Höhen und ein Niveau, wie Sie die Menschen glauben machen wollen. Konkret re den wir von einer Zunahme der Sitzenbleiberquote von 0,7 auf 1,8 %.

Wir nehmen diese Zunahme gleichwohl sehr ernst und haben auch vor diesem Hintergrund unser Konzept zur Weiterent wicklung der Realschulen aufgesetzt. Dies wird selbstver ständlich von Fortbildungsmöglichkeiten für die Lehrerinnen und Lehrer begleitet sein, die schon jetzt an einer Realschule unterrichten.

Als kleines Schmankerl am Rande darf ich Ihnen noch verra ten, dass die Sitzenbleiberquote in Bayern höher ist als jene in Baden-Württemberg. Bayern ist jedoch das einzige westli che Bundesland, in dem die Grundschulempfehlung noch ver bindlich ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wenn Sie sich tatsächlich für die Realschulen interessieren, dann hören Sie damit auf, scheinheilige Debatten wie diese zu führen, son dern kehren Sie zur Sachlichkeit zurück.

Herr Kollege Wacker, Sie haben vorhin einige Beispiele zi tiert, wo Realschulen entsprechend protestieren. In einem In terview, einem Gespräch mit dem Realschulleiter Paul Gei selhart aus Ehingen – das ist einer der schwärzesten Wahlkrei se, die wir in Baden-Württemberg haben –

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

heißt es – ich zitiere –:

„Uns geht es gut.“ Das sagt ein zufriedener Leiter der Realschule Ehingen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Dr. Kern das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Beim sogenannten Weiterentwick lungskonzept für die Realschulen gibt es einen zentralen Wi derspruch. Gerade infolge der von Grün-Rot überstürzt abge schafften verbindlichen Grundschulempfehlung hat die Band breite der Begabungen und Leistungsvermögen der Schüler an den Realschulen deutlich zugenommen.

Wenn nun aber die Heterogenität an den Realschulen so stark geworden ist, müsste ein Unterstützungskonzept doch gerade Differenzierung zulassen bzw. sogar fördern. Immerhin sol len die Realschulen nun als Reaktion auf die gestiegene He terogenität den Hauptschulabschluss regulär anbieten können. Wenn zwei Abschlüsse statt einem angeboten werden, ist das schließlich eine grundlegende Form der Differenzierung.

Entsprechend – so würde man erwarten – sollte auch schon bei der Vorbereitung auf die beiden Abschlüsse differenziert werden können. Das heißt, man würde einen Realschulbil dungsgang und einen Hauptschulbildungsgang erwarten oder so etwas wie eine integrierte Gesamtschule, bei der in einzel nen Fächern eine Differenzierung nach Leistungsniveaus vor genommen werden könnte.

Aber hört man dazu den Kultusminister: Pustekuchen! Eine Differenzierung soll eher die Ausnahme als die Regel sein. Man fragt sich: Was soll dieser Zwang zur Heterogenität? Wa rum überlässt man die Entscheidung, ob und, wenn ja, ab wann ein Kurs auf den Hauptschulabschluss und ein anderer auf den Realschulabschluss vorbereitet, nicht den Lehrerin nen und Lehrern, die das Leistungsvermögen ihrer Schüler doch am besten beurteilen können? Herr Kultusminister, bit te beantworten Sie doch einmal diese Frage.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Kern, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Käppeler?

Am Ende gern. – Es ergibt sich doch hier der Verdacht, dass der Kultusminister BadenWürttembergs den Lehrern in seinem Land misstraut. Der Kultusminister befürchtet offensichtlich, dass die Lehrer im Land das tun werden, was ihrer Meinung nach ihren Schülern nützt, und nicht das, was Grün-Rot vielleicht gern hätte.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Nicht die Standard floskeln! Immer nur Unterstellungen!)

Herr Stoch, die Praktiker an den Schulen werden immer das Wohl des Schülers über ideologische Wunschvorstellungen der Regierung stellen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Stattdessen will Grün-Rot aus nicht nachvollziehbaren Grün den alle Schulen und alle Schüler in zwei Säulen einpferchen. Bei einer davon wird immer integrativ unterrichtet, und bei der anderen wird differenziert.

Das sogenannte Weiterentwicklungskonzept für die Realschu len macht einmal mehr die Notwendigkeit eines stabilen Schulfriedens in Baden-Württemberg deutlich. Es kann nicht

gut sein, wenn eine Landesregierung ihr schulisches Lieb lingskind durchdrücken will und dazu Strukturen nach eige nem Gutdünken ändert und Ressourcen entsprechend den ei genen Vorlieben zuteilt.

Nein, die am Bildungswesen Beteiligten brauchten das Ge genteil: verlässliche Rahmenbedingungen und eine faire wie auskömmliche Ausstattung ihrer Schule mit Personal und Fi nanzmitteln.

Diese Landesregierung aber knüpft die bessere Ausstattung der Realschulen an die Bedingung, dass diese ihre eigenen pä dagogischen Grundsätze zugunsten der Gemeinschaftsschul pädagogik über den Haufen werfen. Nachdem es durch die Vordertür nicht geklappt hat und die Realschulen sich bei der Einführung der Gemeinschaftsschule bockig gezeigt haben, versucht Grün-Rot nun, den Realschulen ihre pädagogische Überzeugung, also ihre pädagogische Freiheit, mit Lehrerwo chenstunden abzukaufen.

Diese Entmündigung der Realschulen durch die Hintertür ist nicht nur in höchstem Maß unfair, sondern demotivierend für Eltern, Lehrer und Schüler, Schulleitungen und Schulträger, die nun gegen ihre Überzeugungen handeln müssen.

Seitens der FDP/DVP-Fraktion kann ich nur nochmals an die Landesregierung appellieren: Verzichten Sie auf die pädago gische Bevormundung der Realschulen. Verzichten Sie auf Heterogenitätszwang, Differenzierungsquote, Verbot von Sit zenbleiben und die Abschaffung von Noten in der Orientie rungsstufe. Herr Kultusminister, achten Sie die pädagogische und schulorganisatorische Freiheit der für das Bildungswesen Verantwortlichen vor Ort, indem Sie endlich in die Gänge kommen, Ihre Zuschauerposition verlassen und sich aktiv für einen Schulfrieden in unserem Land einsetzen.

(Zuruf von den Grünen: Ah!)

Die Menschen in unserem Land erwarten dies zu Recht von Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Käppeler.

Herr Dr. Kern, Sie haben für die FDP/DVP vorgetragen, dass Sie an der Realschule gern zwei Züge einrichten würden: einen Hauptschulzug, einen Real schulzug. Wie organisieren Sie das, wenn Sie in einer Real schule zwei Klassen haben und darunter neun Schüler, die ei ne Hauptschulempfehlung haben? Wie möchten Sie das orga nisieren? Erklären Sie mir das bitte einmal.

(Abg. Gerhard Kleinböck SPD: Das ist ja nicht sein Problem!)

Das tue ich sehr gern. – Herr Käppeler, tun Sie mir doch einmal den Gefallen und le sen Sie tatsächlich unser Schulfriedenskonzept, das wir vor gelegt haben. Auch heute habe ich versucht, es Ihnen zu er klären. Aber so ganz allmählich weiß ich auch nicht mehr, wie oft ich das hier noch vortragen soll.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er war zu lange im Schuldienst!)

Nicht wir wollen vorschreiben, wie es die Schulen vor Ort or ganisieren sollen, sondern die Schulen vor Ort sollen das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob sie es integrativ oder differenziert machen wollen. Das ist doch die Freiheit, die die Schulen brauchen. Wenn wir eine Realschule haben, bei der es schulorganisatorisch Sinn macht, Klassen zusammenzule gen, dann soll sie das Recht haben, dies zu tun. Wenn es aber keinen Sinn macht, die Klassen zusammenzulegen, dann sol len die Schulen auch das Recht haben, zu differenzieren. Das möchte die FDP/DVP. Nehmen Sie das bitte doch einmal zur Kenntnis.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullin ger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Für die Landesregie rung erhält jetzt Herr Kultusminister Stoch das Wort.