Protocol of the Session on October 16, 2014

Frau Gurr-Hirsch wiederum applaudiert heute gegen ein Kon zept, das ihr Fraktionsvorsitzender vor einem Jahr vorgelegt hat. Darin hat die CDU ausdrücklich erklärt, sie werde die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung nicht wieder ein führen. Heute applaudiert sie jedoch, nachdem Herr Kern ge nau das gefordert hat.

Kollege Strobl wiederum nutzt wirklich jedes Thema bei je der laufenden Kamera, um – Entschuldigung – permanent sei ne Unkenntnis in Sachen Bildungspolitik zu dokumentieren. Die Aussage zur sechsjährigen Grundschule fand ich phantas tisch. Morgens kam die Meldung, Herr Strobl wolle sie. Mit tags nimmt er diese Aussage auf Druck der Fraktion wieder zurück.

(Staatssekretär Ingo Rust: Aha!)

Außerdem wird uns vorgeworfen, wir würden die Berufsschu len vernachlässigen. Dabei wird völlig vergessen, dass diese Landesregierung es geschafft hat, das Unterrichtsdefizit an den Berufsschulen in den vergangenen drei Jahren zu halbie ren. Da ist viel Leistung hineingeflossen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Georg Wacker CDU: Zulasten der kleinen Klassen im ländlichen Raum!)

Mitten im Sommerloch kam dann die dpa-Meldung: Kollege Wolf möchte das Schulsystem völlig umkrempeln und wieder zurück auf null. Wie? Keine Antwort. Auch ohne Konzept schafft er es selbst in der Sommerpause, massive Unruhe in die Schulen hineinzubringen. Der Kommentar des „Staatsan zeigers“ beispielsweise war vernichtend. Die Überschrift lau tete: „Profilierung auf dem Rücken von Schülern.“ Im Text heißt es:

Das ist unverantwortlich,...

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Nicht nur der Vorsitzende des Landeselternbeirats zeigt sich – Zitat – „ziemlich geschockt“. Auch Herr Kern hat am An fang seiner Rede Herrn Wolf ganz elegant einen mitgegeben.

Ich kann ihm nur zurufen – er ist leider nicht mehr im Raum –: Herr Wolf, um es mit Ihren Worten von gestern zu sagen: Ei ne kraftvolle Zukunftsoffensive sähe anders aus.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Fazit: Die SPD ist immer gesprächsbereit.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das haben Sie ge rade deutlich signalisiert! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Mit wem sollen wir denn sprechen?)

Ich kann für die Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern in unserem Land nur hoffen, dass die CDU nicht weiterhin in ihrem Schulchaos versinkt. Wenn

jemand am heutigen Tag Schulfrieden braucht, dann ist das vor allem die CDU in ihren eigenen Reihen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Kultusminister Stoch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich den Debattentitel gelesen habe, habe ich zunächst einmal erwo gen, ob es nicht dabei bleiben sollte, dass die Fraktionen – die se hat die FDP/DVP konkret angesprochen – ihre Meinung zu dem Vorstoß der FDP/DVP äußern.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Ich kann mir vorstel len, dass Ihnen das recht gewesen wäre!)

Ich glaube aber, es entspricht durchaus auch Ihrer Erwartung, dass von meiner Seite zu Ihrem Konzeptpapier, das Sie vor wenigen Wochen vorgelegt haben, eine Stellungnahme abge geben wird.

Ich denke, uns allen ist klar, dass ein Bildungssystem nie still steht, dass ein Bildungssystem von der Veränderung lebt. Denn ein Bildungssystem ist immer Teil einer sich stark ver ändernden Gesellschaft. Deswegen muss jedes Bildungssys tem ständig die richtigen Antworten auf die Herausforderun gen und die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbe dingungen suchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nun einmal mit Fakten zu belegen, dass wir, als wir 2011 an die Regierung kamen, an verschiedenen Stellen dringenden Bedarf zur An passung und zur Regelung vorgefunden haben.

Ein ganz wesentlicher Veränderungsfaktor für unsere Gesell schaft und damit für unsere Bildungssysteme ist der demogra fische Wandel. Die Schülerzahlen nehmen bereits seit einigen Jahren erheblich ab. Die Schulen, insbesondere die im länd lichen Raum – dort überwiegend Haupt- oder später Werkre alschulen –, verlieren an Zulauf. Mehrere Hundert dieser Schulstandorte sind von den Schulträgern still und leise ge schlossen worden.

Es kann nicht sein, dass wir angesichts der weiterhin abneh menden Schülerzahlen in den nächsten Jahren diesen Prozess einfach geschehen lassen. Deswegen ist es richtig, dass sich die Regierung zu ihrer Verantwortung bekennt und unter Be rücksichtigung der Subsidiarität gemeinsam mit den Schul trägern die richtigen Modelle für kommunale und regional sta bile schulische Strukturen schaffen möchte.

Ein weiterer Faktor ist aber auch – Herr Kollege Kern, aber auch Herr Kollege Schebesta, da gebe ich Ihnen recht – ins besondere die Qualität in unseren Schulen. Wenn wir aber in den Ländervergleichen – sei dies auf nationaler oder auf in ternationaler Ebene – den Spiegel vorgehalten bekommen, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht mehr in allen Bereichen gut oder gar herausragend sind. Daher müs sen wir alle doch die Frage stellen, wie wir an diesen Stellen richtig reagieren.

Als Beispiel nenne ich den IQB-Ländervergleich aus dem Jahr 2013. Dort ging es um Neuntklässler, die im Jahr 2012 in Ma thematik und Naturwissenschaften geprüft wurden. Knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler erreichte nicht das fest gesetzte Leistungsmaß, und zwar insbesondere in den Schu len jenseits des Gymnasiums.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Wir müssen vielmehr konkret die Frage stellen, wie wir an diesen Stellen besser werden, und vor allem den Blickpunkt darauf richten, wie wir die Kinder und Jugendlichen in den Schulen optimal fördern können, um sie auf ein glückliches, selbstbestimmtes Leben vorzuberei ten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gerade wenn Sie sehen, dass es um die Qualität geht, wird es Sie auch nicht wundern, dass Handwerk und Industrie die Landesregierung aktiv unterstützen, wenn es um diese not wendigen Veränderungen geht. Nicht ohne Grund fordert der baden-württembergische Handwerkstag bereits seit über zehn Jahren eine Reform im Bildungsbereich.

(Staatssekretär Ingo Rust: Ja!)

Deshalb bitte ich Sie alle eindringlich – ich sehe das Angebot der FDP/DVP im Hinblick auf einen Schulfrieden auch als ei ne Möglichkeit –, die Frage der äußeren und der inneren Dif ferenzierung nicht zum Ideologiestreit zu stilisieren, sondern allein an der pädagogischen Frage zu messen, wie wir für al le Kinder mit ihren unterschiedlichen Lernvoraussetzungen den bestmöglichen Lernfortschritt erreichen können. Das ist ein aktiver Schulfrieden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns einen Blick auf den Bereich des Bildungssystems werfen. Ich glaube, nie mand von uns hier im Haus hat Zweifel daran, dass wir im vorschulischen Bereich einen gewissen Nachholbedarf haben. Der Pakt mit den Kommunen für Familien mit Kindern wird landauf, landab dafür gelobt, dass damit das Thema „Früh kindliche Erziehung und Bildung“ in den Fokus genommen wird, dass die Einrichtungen auch quantitativ ausgebaut wer den und damit auch eine Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen wird. Diese Landesregie rung hat dieses Thema, bei dem Baden-Württemberg nicht an der Spitze lag, aktiv aufgenommen und will es gemeinsam mit den Kommunen im Interesse der Kinder und der Familien lö sen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nehmen wir den Bereich der Grundschulen. Die Grundschu len standen in den vergangenen Jahren – und zwar schon seit einigen Jahren – nicht im Fokus der bildungspolitischen De batte. Die Grundschulen sind ein wichtiger Bereich in der Bil dungsbiografie eines Kindes, in dem eine wichtige Förderung erfolgen muss. Gleichzeitig wissen wir aus vielen nationalen und internationalen Studien, dass auch die Zeit, die Kinder an den Schulen verbringen, wenn sie pädagogisch sinnvoll ge nutzt wird, für alle Kinder, vor allem auch für leistungsschwa che Kinder von erheblichem Gewinn sein kann.

Deswegen hat sich die Landesregierung entschieden, in Zei ten der Haushaltskonsolidierung einen Vorstoß zu machen, im Bereich der Grundschulen den Ganztagsausbau zu forcieren, einen Ganztagsausbau, bei dem niemandem aufoktroyiert wird, zwangsweise in eine Ganztagsgrundschule gehen zu müssen. Wir haben ein Rahmenkonzept erstellt, in dem vor Ort im Sinne der Subsidiarität das richtige Konzept zwischen Schulleitung, Kollegium, Elternschaft und Schülern gefunden werden muss. Das ist Bildungspolitik, wie wir sie verstehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nun kommen wir zu dem Bereich, in dem offensichtlich noch so getan wird, als ob hier Welten aufeinanderprallten. Wenn es um den Begriff Schulfrieden geht, dann geht es in aller Re gel um die Frage: Wie werden die Kinder, wenn sie in Klas se 5 in die weiterführende Schule, in die Sekundarstufe I ge hen, unterrichtet?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit ich dieses Amt übernommen habe, versuche ich, bei jeder dieser Fragen auf den Kern des Problems vorzustoßen und vor allem die päda gogische Dimension in den Mittelpunkt zu rücken. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es ist zu viel des Pathos, wenn wir von „kriegerischen Zuständen“ oder von Schulfrieden reden. Denn letztlich geht es doch um die Frage: Wie fördern wir Kinder in der Sekundarstufe I im Hinblick auf ihre unterschiedliche Leistungsfähigkeit?

Herr Kollege Schebesta hat vorhin das Thema „Äußere, inne re Differenzierung“ ganz konkret angesprochen. Es kann doch nicht sein, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass hier zwei Welten aufeinanderprallten.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Das machen doch Sie! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die prallen aufei nander! Selbstverständlich!)

Teilweise wird dies leider z. B. durch Äußerungen von Herrn Wolf befördert. Es kann doch nicht ernsthaft sein, dass bei der Frage, ob wir mit Mitteln der inneren Differenzierung, der Binnendifferenzierung, arbeiten oder ob wir Mittel der äuße ren Differenzierung – sei dies in Zügen oder Kursen – anwen den,

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

zwischen richtig und falsch unterschieden wird. Es geht hier doch allein um die Frage der pädagogischen Bewertung. Mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frage

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist eine zent rale Frage!)

sollten im Kern Pädagogen beantworten, die die Qualität be werten können.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das sind wir!)

Deswegen bringt es überhaupt nichts, wenn im vergangenen Jahr aus parteitaktischen Gründen versucht wurde, einen Vor stoß zu einem Schulfrieden abzulehnen, weil man glaubt, mit diesem Thema im Wahlkampf Profit ziehen zu können. Es

bringt überhaupt nichts – da gebe ich der FDP/DVP vollkom men recht –, wenn Eltern in Unsicherheit leben, was denn nun der richtige Weg sei, weil auf politischer Ebene über richtig und falsch in einer Weise gestritten wird, dass die Eltern das Gefühl haben, es gehe nicht mehr um den Inhalt, sondern le diglich um Ideologie. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da mit werden wir den Sorgen der Eltern nicht gerecht.