Protocol of the Session on June 9, 2010

Die SPD kommt gern zu Spatenstichen, aber es ist Aufgabe der Regierung, den Men schen zu sagen: Wir haben nicht so viel Geld. Es sind genau Sie und Ihre Mitglieder, Ihre Abgeordneten, die durch die Lan de reisen und Straßen fordern

(Abg. Reinhold Gall SPD: So ist es! Genau!)

und die genau den Eindruck erwecken, als ob unbegrenzt Stra ßenbau finanzierbar wäre.

Ich habe es erst vor Kurzem wieder erlebt. Staatssekretär Wi cker steht vor einer geschlossenen Halle mit 1 000 Leuten und sagt: Wir brauchen diese B 27.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Recht hat er!)

Er erweckt damit den Eindruck, als ob morgen der Spaten stich erfolgen würde. Das ist doch das Dilemma zwischen Ih rem Anspruch und Ihrer Wirklichkeit.

(Zurufe der Ministerin Tanja Gönner und des Abg. Jörg Döpper CDU)

Da ist die Unehrlichkeit der CDU ganz, ganz tief verankert.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Walter das Wort.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wie viel Zeit hat er denn noch? – Gegenruf des Abg. Jörg Döpper CDU: Eine Sekunde! – Unruhe)

Drei Minuten und 20 Sekunden.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich unterhalte mich mit Ihnen sehr gern auch über das Thema Verkehrspolitik. Ich denke aber, wir sollten hier eine ernsthafte Debatte führen.

Sie reden vom Stauland. Damit haben Sie recht. Wir haben in Baden-Württemberg viele Staus. Die Fragen lauten nur: Wes halb haben wir so viele Staus? Haben wir nicht 40 Jahre lang die falsche Verkehrspolitik gemacht? Ich habe auch keines wegs – wie von Ihnen behauptet – die Arbeit früherer Gene rationen schlechtreden wollen. Ich habe mich nur auf die Er kenntnisse bezogen, die Hans-Jochen Vogel schon 1972 hat te. Wir sollten doch im Jahr 2010 genauso klug sein wie die Menschen im Jahr 1972.

Ich möchte, dass wir uns darüber Gedanken machen, wie wir eine andere Infrastruktur hinbekommen, wie wir eine andere Mobilität hinbekommen, eine Mobilität, die die Menschen nicht in den Stau führt und die auch umweltfreundlicher ist als diejenige Mobilität, die wir heute haben.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, es geht auch um Folgendes: Alle Ballungsräume haben das gleiche Problem.

(Zuruf des Abg. Manfred Groh CDU)

Daimler macht das beispielsweise in Ulm schon vor. Ich ha be das gesagt.

Meine Damen und Herren, alle Ballungsräume dieser Welt stehen vor denselben Problemen. Wenn wir wollen, dass das, was wir hier produzieren und anbieten, ein Exportschlager wird, dann können wir nicht nur mit den Autos ankommen, die wir bisher gebaut haben.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist okay! Gar kein Thema! – Zuruf von der CDU: Das ist eine Binsen weisheit, lieber Kollege!)

Denn diese haben es immer schwerer, auf dem Weltmarkt zu bestehen. Das heißt, wir brauchen eine andere Mobilität, auch hier.

(Zurufe – Unruhe)

Mein Gott, jetzt hört doch einmal zu! Das vergangene Jahr hundert ist doch vorbei, auch wenn ihr es nicht wahrhaben wollt.

Es geht doch darum, wie dieser Standort weiterentwickelt wird. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel. Was für Straßen wol len Sie hier in der Region Stuttgart denn noch bauen?

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ihr seid auch gegen den Ausbau der Schiene hier!)

Nein, das sind wir nicht.

(Unruhe)

Wir sind für den Ausbau der Schiene, aber wir sind dagegen, dass man für ein unsinniges Projekt Milliarden Euro in einem Tunnel vergräbt.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Wenn man das hört, seid ihr gegen alles! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sie wollen den Wend linger Albaufstieg nicht!)

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Sie haben den Albaufstieg ge nannt. Da sind wir der Meinung: Dazu brauchen wir die Re gionalbahn.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Regionalbahn? – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Was für eine Regional bahn?)

Wissen Sie, warum die Finanzierung nicht gesichert ist? Weil dieses Geld für Stuttgart 21 vergraben wird.

Das ist doch Unsinn!

(Stellv. Präsident Wolfgang Drexler klopft auf die Tischplatte. – Heiterkeit bei allen Fraktionen – Bei fall bei Abgeordneten aller Fraktionen – Zurufe: Bra vo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo, Herr Präsident! – Abg. Manfred Groh CDU: Das war es dann! – Lebhafte Unruhe)

Meine Damen und Herren, welche Institution, welche Person ist befugt, dem Präsidenten eine Rüge zu erteilen?

(Beifall bei den Grünen – Heiterkeit bei allen Frakti onen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist nicht notwendig! Das ist in diesem Fall auch gar nicht not wendig!)

Herr Kollege, ich neh me meinen Ausbruch mit Bedauern zurück.

(Heiterkeit – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir haben ihn mit Begeisterung aufgenommen! – Verein zelt Beifall)

Ja, ich weiß: Bei Stuttgart 21 ist jeder pawlowsche Hund ein Dreck gegen unseren Präsi denten.

(Heiterkeit bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das müssen Sie aber auch zurücknehmen! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, es gibt etwas, was ich mir wünschen würde. Sie haben sich hier hingestellt und haben gesagt, es sei ökonomisch und ökologisch falsch, die sen Zuschuss zurückzufahren. Von Ihnen hätte ich erwartet – Sie sind doch auch Umweltministerin, auch wenn ich, ehrlich gesagt, schon eine Weile nichts mehr zu diesem Thema gehört habe – –

(Ministerin Tanja Gönner: Sie sollten einmal Ihre Oh ren putzen! – Heiterkeit)

Nein. Zurufe von der Regierungsbank sind auch nicht er laubt.

(Heiterkeit)

In Umweltschützerkreisen redet man zum Teil schon von der „Exumweltministerin“, die nur noch Atomlobbyistin und Lob byistin für den Straßenbau ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Ha no, ha no, ha no!)

So ist es. Deswegen erwarte ich von Ihnen, Frau Ministerin, da Sie für das Thema Verkehr und das Thema Umwelt zustän dig sind, dass von Ihnen Vorschläge dazu kommen, wie die Mobilität in Baden-Württemberg umweltfreundlicher wird, und dass Sie nicht nur das alte Klagelied „Oh, wir bekommen weniger Geld für den Straßenbau“ singen. Das wäre ein Um denken in der Politik Baden-Württembergs und würde den Weg nach vorn zeigen. Aber da haben wir leider nichts fest gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Herr Präsident, beenden Sie das Trauerspiel!)

Meine Damen und Herren, diese Debatte hat gezeigt: Weder in der SPD noch in den Regierungsfraktionen gibt es jeman den, der die Erkenntnisse von Hans-Jochen Vogel 38 Jahre später umsetzen will. Das ist natürlich sehr bedauerlich.

(Glocke des Präsidenten)