Protocol of the Session on April 15, 2010

Meine Damen und Herren, wir als Landesregierung überneh men mit großer Freude die Verantwortung für den ländlichen Raum. Dafür stehen wir. Wir lassen uns auch für alles im länd lichen Raum verantwortlich machen.

In Baden-Württemberg steht der ländliche Raum nicht für Strukturschwäche oder Stagnation, sondern für Lebensquali tät und für Innovation. Nirgendwo in Deutschland ist die Ba lance zwischen den Lebensbedingungen in städtischen Räu men und in ländlichen Räumen so ausgeglichen wie in Ba den-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha gen Kluck FDP/DVP: So ist es! – Abg. Edith Sitz mann GRÜNE: Das klang bei Frau Chef aber an ders!)

Als zuständiger Minister wäre es verdächtig, so etwas zu sa gen; das gestehe ich zu. Fragen wir also einmal, was Roland Berger gesagt hat, als er vor zehn Jahren unser Land auf Stär ken und Schwächen hin analysiert hat. Er hat gesagt: Es gibt viel Hochinteressantes in Baden-Württemberg.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Das würde er heute nicht mehr sagen!)

Aber eines war für ihn mit weitem Abstand das erfreulichste und auch überraschendste Ergebnis dieser Untersuchung. Er sagte: Nirgendwo sonst sind die Lebensqualität in städtischen und die in ländlichen Räumen so nah beieinander wie in Ba den-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Lieber Kollege Winkler, das Gutachten ist jetzt zugegebener maßen zehn Jahre alt, aber es wird fortgeschrieben. Wir sind gespannt, was dann herauskommt.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Jawohl!)

Nehmen wir eigene Erfahrungen – Sie sitzen ja nicht nur in Ihrem Dorf, sondern Sie fahren auch durch Deutschland, durch Europa, können also selbst Vergleiche anstellen –, oder nehmen wir Umfragen: Was sagt die Bevölkerung in BadenWürttemberg zum Thema Wohlbefinden, zum Thema Lebens qualität, zu den Fragen, wie stark man sich mit seinem Le bensraum identifiziert und wie stark man sich im Ehrenamt engagiert und sich dadurch mit seinem Lebensbereich identi fiziert? Da haben wir bei uns in Baden-Württemberg Spitzen werte, und die liegen deutlich vor jedem anderen Land, auch deutlich vor unserem Nachbarland.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Wer als Politiker schon der Bevölkerung nicht mehr glaubt, meine Damen und Herren, von dem weiß ich nicht, in wel cher Verbindung er zur eigenen Bevölkerung steht.

Diese erfreuliche Situation des ländlichen Raums in BadenWürttemberg ist nicht nur, aber auch Verdienst einer jahre- und jahrzehntelangen erfolgreichen, integrierten, breit ange legten, nachhaltigen Politik für den ländlichen Raum, einer Agrar- und Strukturpolitik für den ländlichen Raum.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr gut!)

Wer meint, wir würden mit dieser Feststellung und mit dieser Bestätigung durch Gutachten oder auch durch die Bevölke rung zu Selbstzufriedenheit oder Schönrederei neigen, der irrt sich genauso. Wer nachhaltige Politik betreiben will, der muss Veränderungen wahrnehmen, der muss geradezu nach Verän derungen suchen,

(Abg. Alfred Winkler SPD: Bravo! Jetzt sind wir beim Thema!)

und der muss versuchen, vorausschauende Politik zu betrei ben. Wir wären im ländlichen Raum nicht so weit, wie wir heute sind, wenn wir erst im letzten Jahr mit dieser breit an gelegten Politik für den ländlichen Raum begonnen hätten. Wir stehen heute so gut da, weil wir diese Politik seit Jahren und Jahrzehnten machen. Deshalb müssen wir auch weit in die Zukunft schauen, nicht auf den nächsten Wahltermin, auf das nächste Haushaltsjahr. So schleichend, wie sich Verände rungen ergeben, so kontinuierlich müssen wir diese wahrneh men und uns dann auch langfristig politisch immer wieder neu ausrichten.

(Beifall der Abg. Helmut Walter Rüeck und Paul Lo cherer CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So ist es! Dazu tragen wir auch gern weiter bei!)

Wir können in Zukunft – das ist ein alter landwirtschaftlicher Grundsatz – wirklich nur reich ernten, wenn wir heute die richtige Saat ausbringen und sie dann auch entsprechend pfle gen.

Meine Damen und Herren, unser Ziel bleibt weiterhin die möglichst gleichwertige Entwicklung aller Räume, ein fairer Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen Räumen un ter Anschluss auch des ländlichen Raums an die Entwicklung des Wohlstands und das qualitative Wachstum.

Was kommt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf uns zu? In welchen Veränderungen stecken wir schon mittendrin? Es sind drei große Themen – wiederum nicht spezifisch für den ländlichen Raum, aber in der Auswirkung ganz besonders problematisch für den ländlichen Raum.

Das erste Thema ist ein Prozess, der seit Jahren, seit Jahrzehn ten, vielleicht sogar seit es die Menschheit gibt, andauert, ein Prozess der Zentralisierung hin zu immer größeren Einheiten. Der zweite Prozess ist die Globalisierung, und der dritte Pro zess ist der demografische Wandel. Gerade dieser demografi sche Wandel – es ist in der einen oder anderen Rede bereits angesprochen worden – wird sich auf die ländlichen Räume stärker auswirken als auf die Ballungszentren. Die Regel „Mehr Menschen hinein in den ländlichen Raum, dann mehr Fläche, mehr Geld“, die vielleicht bisher gegolten hat, dieses Gesetz der Expansion gilt nicht mehr. Auch auf diese Heraus forderung müssen wir durch ein auf den ländlichen Raum ab gestimmtes gezieltes, qualitatives Wachstum Antworten fin den.

Auch der anhaltende Strukturwandel in der Landwirtschaft verändert weiter den Charakter des ländlichen Raums. Damit wir auch künftig leistungsfähige Strukturen im ländlichen Raum haben, brauchen wir ressortübergreifende Anstrengun gen in vielen Bereichen. Dies betrifft die Auslastung der Grundversorgung und reicht bis hin zur Gebührenentwick lung, wenn wir weniger Einwohner haben, wenn größer di mensionierte Angebote nicht mehr so nachgefragt sind.

Da ist das Thema „Ärztliche Versorgung“. Jetzt bin ich schon beim Wiederholen dessen, was alles völlig richtig gesagt und angemahnt worden ist. Bei diesem Thema geht es nicht nur um den Landarzt, sondern auch um Krankenhausangebote, Krankenhausstrukturen. Da ist das Thema „Ortsnahe Schulen, Kindergärten, Bildungseinrichtungen insgesamt“. Da ist das Thema „Gute Verkehrsanbindungen, Anbindungen und Er schließungen“, sei es durch das Straßennetz oder – vor allem – durch den öffentlichen Personennahverkehr. Da ist das The ma „Anschluss an das schnelle Internet“. Nicht zu vergessen ist auch ein für die Identität im ländlichen Raum ganz wich tiges Thema, nämlich ein ausreichendes, ein vielfältiges kul turelles Angebot.

Unser Haus, das MLR, koordiniert diese ressortübergreifen de Querschnittsaufgabe federführend und entwickelt Lösungs ansätze gemeinsam mit den betroffenen Ressorts und in Ab stimmungen mit den Kommunen und gesellschaftlichen Grup pen. Diese Koordination erfolgt im Kabinettsausschuss Länd licher Raum.

Ich möchte nur auf zwei Beispiele verweisen – ich nenne nur die Überschriften –: Wir arbeiten momentan zusammen mit dem Wirtschaftsministerium an einer Weiterentwicklung der Tourismuskonzeption

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE meldet sich. – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Jetzt frage ich einmal etwas! – Glocke des Präsidenten)

und mit dem Sozialministerium an der Herausgabe eines um fassenden Berichts zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum.

Herr Minister, gestat ten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Mielich?

Minister für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbrau cherschutz Rudolf Köberle: Das mache ich gern, liebe Kol legin.

Bitte, Frau Abgeordne te.

Sehr geehrter Herr Minister Köberle, Sie haben eben von der demografischen Entwick lung gesprochen und dies auch ausgeführt. Ich möchte gern ein paar konkrete Antworten haben, z. B. auf die Frage, wel che Initiativen Sie unternehmen werden, um den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land, der bekanntermaßen grotten schlecht ist, voranzubringen.

(Widerspruch bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ojemine! – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sagen Sie das einmal dem Herrn Salomon! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Wohl kaum in Baden- Württemberg!)

Viele Gemeinden sind wirklich schlecht angebunden, und es ist gerade im Zusammenhang mit der demografischen Ent wicklung enorm wichtig, dass der ÖPNV dort besser ausge baut wird. Planen Sie da etwas?

Bitte, Herr Minister.

Minister für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbrau cherschutz Rudolf Köberle: Liebe Kollegin, aus Ihrer Fra gestellung spricht nicht gerade Kenntnis der Realität in Ba den-Württemberg

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Genau! – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Es ist die Frage, wer die Kenntnis hat!)

und auch nicht Kenntnis des ländlichen Raums. Ich zähle Pfaf fenweiler zum ländlichen Raum. Wenn Sie die Bevölkerung dort einmal fragen,

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr richtig! – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Ein Bus pro Stunde ist zu wenig! – Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

dann erfahren Sie, wie die verkehrliche Anbindung Pfaffen weilers vor zehn, vor 20, vor 30 Jahren war. Was für Ihre Ge meinde gilt, gilt für ganz Baden-Württemberg. Seit das Land für den öffentlichen Personennahverkehr zuständig ist, also genau seit 1996, hat sich das Angebot im ÖPNV im Landes durchschnitt um die Hälfte gesteigert, gerade im ländlichen Raum.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Es kommt darauf an!)

Wir hatten noch nie ein so gutes Angebot und haben noch nie so viel Geld für den ÖPNV ausgegeben. Wir haben noch nie so viel investiert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dass Sie anmahnen, dass es auf der Tagesordnung bleibt, ist nicht notwendig, weil es bei uns auf der Tagesordnung ist.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Wenn Sie in den vergangenen Monaten oder wenigen Jahren verfolgt hätten, wie häufig sich die Landesregierung gerade zu diesem Thema gemeldet hat, zu dem Zusammenhang zwi schen dem demografischen Wandel und der Entwicklung der Schülerzahlen – die Schüler sind im ländlichen Raum das Rückgrat des ÖPNV, des Bus- und des Schienenverkehrs –, hätten Sie feststellen können und müssen,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Sehr gut!)

dass Sie uns bei diesem Thema nicht ermahnen müssen, son dern dass wir in die Zukunft schauen, dass wir schon Jahre an diesem Thema dran sind, in dieses Thema investieren, immer wieder Fragen stellen, Innovationsprozesse initiieren. Wie wird sich das Thema weiterentwickeln, wenn wir generell we niger Einwohner haben, wenn wir auch im ländlichen Raum den ÖPNV attraktiv gestalten müssen, aber auch finanzierbar gestalten wollen?

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel und Hagen Kluck FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal aus dem Kabinettsausschuss Ländlicher Raum auf das schauen, was in dieser und der nächsten Legislaturperiode auf uns zukommt. Wir müssen Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir diese ressortübergreifenden Themen noch stärker administrativ be wältigen können. Wir müssen heute fragen: Wie sieht der ländliche Raum in 20, in 25 oder in 30 Jahren aus?

Um Antworten geben zu können, brauchen wir ganz sicher wissenschaftlichen Sachverstand, den besten Sachverstand, den wir aus dem Land und von außerhalb des Landes organi sieren können. Wir brauchen die Einbeziehung der Betroffe nen, und wir brauchen dann eine Weiterentwicklung in den Konzeptionen und in unseren Fördersystemen.