Protocol of the Session on February 3, 2010

Was passiert eigentlich in den anderen Bereichen, im Bereich der Gewaltkriminalität, der Schwerstkriminalität, der Bandenkriminalität, der organisierten Kriminalität und vor allem auch im Bereich der Wirtschaftsdelikte? Wo bleiben da die personellen Verstärkungen? Setzt man hier nicht einseitig nur auf ein Pferd und vielleicht sogar auf das falsche? Vor allem gibt es uns zu denken, wenn wir in diesen Tagen lesen, dass nach fünfjähriger Ermittlungsarbeit ein Strafverfahren

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist unglaublich!)

gegen einen Medienunternehmer, der Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes mit einer riesigen Schadenssumme geschädigt hat, nicht zur Anklage zugelassen wurde.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Dem die Lizenz entzogen wurde!)

Es wurde fünf Jahre lang ermittelt, und die Staatsanwaltschaft ist nicht in der Lage, dieses Verfahren nach den fünf Jahren abzuschließen. Das hat zur Folge, dass die Anklage nicht zugelassen wird, weil versäumt wurde, vor Ablauf der Verjährungsfrist Anklage zu erheben.

(Abg. Ingo Rust SPD: Was?)

Hier besteht aus unserer Sicht gewaltiger Handlungsbedarf, Herr Minister.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Da hat er recht!)

Es sind im Wesentlichen zwei Felder, auf die sich unsere Ablehnung des Haushalts gründet.

Damit bin ich beim ersten Punkt, bei der Privatisierung. Ich weiß natürlich, dass Privatisierung vielschichtig und der Begriff ein sehr allgemeiner ist. Ich beginne einmal mit der Privatisierung des Gerichtsvollzugs, die Sie nach wie vor anstreben. Hierbei geht es allerdings um eine Beleihung. Dennoch will ich dies unter dem Oberbegriff der Privatisierung zusammenfassen. Dies ist in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Sie sind auf dem Weg hin zur Privatisierung. Wir gehen diesen Weg nicht mit. Wir sind der Auffassung, diese hoheitlichen Aufgaben sollen beim Staat, bei den Gerichtsvollziehern des Landes verbleiben.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

Sie haben ein Pilotprojekt zum Outsourcing beim Forderungsmanagement in die Wege geleitet; Forderungen des Landes werden dabei durch private Inkassofirmen geltend gemacht. Wir halten auch das für einen falschen Weg. Wir sind der Meinung, dass staatliche Behörden wie z. B. die Landesoberkasse in der Lage sind, dies durchzuführen, sofern dies richtig organisiert wird. Oder sollten Sie etwa darauf setzen, dass private Unternehmen etwas machen können, was der Staat nicht darf oder sich nicht trauen darf? Fischt man möglicherweise in einer Grauzone und distanziert sich gleichzeitig davon? Das können wir nicht akzeptieren. Das gehört in staatliche Hand.

Weiter geht es mit der Privatisierung von Haftanstalten. Die Haftanstalt in Offenburg wird teilprivatisiert betrieben mit einem Anteil an privaten Maßnahmen, der weit über das hinausgeht, was schon früher in den Haftanstalten gang und gäbe war. Wir sehen hier ein Einfallstor für immer mehr privaten Einfluss bei hoheitlichen Aufgaben. Damit ist für uns die Grenze erreicht. Das lehnt die SPD-Fraktion ab.

(Beifall bei der SPD)

Dabei befinden wir uns in guter Gesellschaft. Auch der Bund der Strafvollzugsbeamten sieht das so und spricht von einer „Lidlisierung des Strafvollzugs“. Für diejenigen, die mit diesem Begriff nicht so viel anfangen können: Man könnte auch von einer „Aldiisierung“ sprechen.

(Abg. Ingo Rust SPD: Oder „Schleckerisierung“!)

Das heißt, die Sicherheit – so sehen es die betroffenen Bediens teten – ist auf Dauer gefährdet, wenn man diesen Weg weitergeht. Mit uns ist das nicht zu machen.

Herr Minister, wir haben den Eindruck, Sie verfahren in Ihrem Haus nach der Maxime: Private machen alles billiger und besser als der Staat. Das ist ein Staatsverständnis, das wir nicht teilen. Im Übrigen sind viele Äußerungen gerade vonseiten Ihrer Partei zum Staatsverständnis zu kritisieren. Ein Discounter-Staatsverständnis aber, so wie es hier zum Ausdruck kommt, lehnen wir entschieden ab.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Grund, weshalb wir Ihrem Haushaltsvorschlag nicht folgen können, betrifft den Führungsstil und den Umgang mit Bediensteten der Landesverwaltung, insbesondere der Richterschaft. Ich will nur einige wenige Beispiele für die massiven und erfolgreichen Proteste gegen Ihre Regelungen zur Richterbeförderung nennen.

Wir wollen nicht – auch die Betroffenen wollten das nicht –, dass möglichst pflegeleichte Beamte in Führungspositionen kommen. Das ist nicht unsere Absicht. Wir wollen qualifiziertes Personal in allen Bereichen der Justiz. Selbst der Anschein von Vetternwirtschaft in diesem Bereich muss vermieden werden.

(Beifall bei der SPD)

Ich erinnere an den erfolgreichen Aufstand auch des Präsidialrats gegen eine Stellenbesetzung auf Vorrat, die wir für nicht rechtens halten, sowie an den Protest aus der Richterschaft,

insbesondere des früheren OLG-Präsidenten aus Karlsruhe, der sich gegen den Versuch richtete, fünf Richterstellen sozusagen wegzunehmen und sie dem Ministerium zuzuordnen, und zwar ohne ausreichende Information und Beteiligung der Richterschaft.

Wir wissen natürlich, dass dabei auch manche schrillen Töne im Spiel waren. Das heißen wir auch nicht gut. Es gibt uns aber zu denken, wenn die Spitzen der Justiz so reagieren, und zwar nicht nur in einem Einzelfall, sondern in der Breite und sehr häufig. Herr Minister, die Kommunikation zwischen den Justizbediensteten und Ihrem Haus funktioniert nicht. Sie ist gestört. Die Justizbediensteten fühlen sich von Ihnen und Ihrem Haus nicht ausreichend vertreten.

Damit bin ich bei einem aktuellen Thema. Derzeit wird über die Selbstverwaltung der Justiz diskutiert. Es gibt Bestrebungen etwa des Deutschen Richterbunds, die Justiz zu verselbstständigen und sie von dem Justizressort abzulösen. Wir sehen die Vorschläge für entsprechende Gesetzentwürfe durchaus kritisch, weil wir der Auffassung sind, dass die Ministerverantwortlichkeit vor diesem Haus, vor dem Parlament richtig platziert ist. Das Zusammenspiel von Parlament und Regierung muss so sein. Aber Sie sollten sich dieser Diskussion offen stellen und nicht wie bisher sehr barsch und abweisend reagieren. Sie sollten tun, was wir in der Vergangenheit zu einem großen Teil vermissten, nämlich einen konstruktiven Dialog mit der Richterschaft, mit den Führenden in der Justiz führen und pflegen. Wir appellieren an Sie, so vorzugehen.

Den Weg, den Sie in den beiden Bereichen, die ich skizziert habe, bisher gegangen sind, gehen wir nicht mit. Deshalb lehnen wir den Justizhaushalt ab.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erhält Herr Abg. Oelmayer das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist der neunte Justizetat, den ich hier in diesem Haus mitberaten darf. Aus meiner Sicht gibt es dafür ein sehr kritisches und dramatisches Umfeld, eine sehr dramatische finanzpolitische Grundlage. Ich darf versuchen, Ihnen anhand einiger Beispiele zu erläutern, was ich gerade eingangs gesagt habe.

Der Justizetat umfasst 1,4 Milliarden €. Er braucht 723 Millionen € Zuschuss. Wir machen während der Laufzeit dieses Staatshaushaltsplans im Jahr 2010 2,6 Milliarden € neue Schulden und im Jahr 2011 2,1 Milliarden € neue Schulden, wobei dies sicher noch nicht das Ende der Fahnenstange sein wird, insbesondere dann nicht, wenn die Steuererleichterungen in dem Maße durchgreifen, wie sie konzipiert wurden.

Warum erzähle ich Ihnen das? Einfach deshalb, weil man natürlich als rechtspolitischer Sprecher mittlerweile gewohnt ist, mit einem solchen Justizetat umzugehen, weil man weiß, dass dieser Justizetat nicht einmal 5 % des Gesamtetats des Landes Baden-Württemberg ausmacht.

Des Weiteren muss man das alles in Relation zueinander sehen. Wir sparen im Justizetat mehrheitlich getragen – vieles tragen wir mit – im Jahr 2010, also in diesem Jahr, 18,4 Mil

lionen € – das sind insgesamt 1,3 %, bezogen auf den Justiz etat –, und im Jahr 2011 20,4 Millionen €, also 1,5 %. Das hört sich nun gar nicht so schlimm an, aber bezogen auf die Gesamtausgaben ist das natürlich doch schon ein herber Einschnitt und führt dazu, dass die Stellenabbauprogramme, auch wenn sie ein bisschen abgemildert werden können, trotzdem voranschreiten und dass hinsichtlich neuer Stellen in der Richterschaft – da gibt es zwei neue Stellen, habe ich gelesen – oder auch bei der Staatsanwaltschaft – auch da gibt es nur in ganz geringem Umfang Erhöhungen – so gut wie gar nichts geht.

Vor diesem Hintergrund führen wir heute die Debatte über den Justizetat und über die Frage: Wie entwickelt sich Justiz, und wo kann sich Justiz in Baden-Württemberg in welcher Form entwickeln?

Der Justizminister hat seinem Bericht zum Staatshaushaltsplan ein Zitat von Goethe vorangestellt – ich schlage es im Bericht nach –:

Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.

Dem würde ich voll und ganz beipflichten. Die Frage ist nur: Was bauen wir, wie groß sind die Steine, und welche Baumaßnahmen sind da noch möglich?

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Wenn es Kies ist, reicht es nicht mehr!)

Kollege Stickelberger hat einige der Baumaßnahmen beschrieben. Herr Kollege Hitzler, wenn Ihnen das, was vonseiten der Opposition zur Frage der Privatisierung oder zur Übertragung der Bewährungshilfe auf einen privaten Träger geäußert wird, zu wenig ist, will ich das bei dieser oder jener Gelegenheit gern nachholen. Ich will Ihnen nur sagen: Die Linie, dass wir im Kernbereich der Justiz keine Reformmaßnahmen durchführen, stattdessen aber überall dort sozusagen outsourcen, wo man aus Sicht des Ministeriums outsourcen kann oder wo eine Mehrheit in diesem Haus ein Outsourcen für sinnvoll hält, diese Linie tragen wir auch als Fraktion GRÜNE nicht mit.

Wir wollen keine Privatisierung, keine Übertragung – Herr Minister, ich formuliere es gleich einmal vorsichtig, weil Sie nachher sowieso wieder darauf einsteigen und sagen werden, das sei gar keine Privatisierung – der Bewährungshilfe auf einen privaten Träger und tragen das deswegen nicht mit, weil wir aufgrund unserer Vorstellungen sowie unseres Staats- und Verfassungsverständnisses der Meinung sind, dass dort in Grundrechte eingegriffen wird. Grundrechtseingriffe aber müssen dem Staat vorbehalten bleiben; die können wir nicht privatisieren.

(Beifall bei den Grünen)

Dasselbe gilt für den Bereich der Gerichtsvollzieher. Herr Kollege Stickelberger hat es richtig gesagt. Dasselbe gilt in den Justizvollzugsanstalten, und zwar dort, wo Beamtinnen und Beamte in Grundrechte der Inhaftierten eingreifen. Auch dort sehen wir die Grenze da gezogen,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Der private Zahnarzt wird nicht behelligt, oder wie?)

wo Grundrechtseingriffe durch Menschen vorgenommen werden, die nicht auf die Verfassung vereidigt sind, Kollege Zimmermann. Wir sagen, so etwas darf nicht möglich sein. All das sind Maßnahmen, die Sie reformieren, Herr Minister; das ist doch unbestritten.

Wir tragen allerdings diese oder jene Reformmaßnahme auch mit. Die Übertragung der Notariate und des Notariatswesens auf den freiberuflichen Berufsstand ist natürlich eine Maßnahme, die wir mittragen. Diese Maßnahme hätte aus unserer Sicht viel früher kommen können.

(Zuruf von den Grünen: So ist es!)

Die Frage, die Sie bis heute nicht beantwortet haben, die man aber in Ihren Berichten nachlesen und aus den Zahlen, die Sie vorgelegt haben, ersehen kann, ist, wie die 132 Millionen € Einnahmen, die wir derzeit durch die Notariate erzielen, kompensiert werden sollen. Woher diese Finanzvolumina zukünftig kommen sollen, darauf haben Sie bisher keine Antwort gegeben.

(Beifall bei den Grünen)

Das führt mich im Ergebnis dazu, zu sagen: Sie müssen auch einmal in Ihrem Haus schauen – Kollege Stickelberger hat das zu Recht angesprochen –, ob die Frage einer selbstverwalteten Justiz vielleicht zumindest in der Weise angegangen werden kann, dass man das z. B. wie im Schulbereich und in anderen Bereichen diskutiert: Ich meine die dezentrale Budgetierung. Warum muss denn für das Amtsgericht XY und vielleicht sogar für dessen Zweigstelle – was Sie jetzt Gott sei Dank abgeschafft haben – von zentraler Stelle aus vorgegeben werden, welcher Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch dort angeschafft wird und welcher nicht? Ich glaube, das können die vor Ort besser entscheiden.