Protocol of the Session on November 5, 2009

Dass man jetzt nach nur einem Jahr schon sagt, man sollte selbst an den regulären Gymnasien das neunjährige Gymnasium wieder einführen, zeigt, dass man dort im Grunde schon weiter ist, als Sie es hier offensichtlich sind.

Ich will auch auf andere Bundesländer verweisen: Wir werden am Ende Schlusslicht sein,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wir sind die Avant- garde, nicht das Schlusslicht!)

weil wir nur noch das reine G 8 anbieten, und wir werden in wenigen Jahren erleben – wir sind auf dem besten Weg dahin –, dass es in allen anderen Bundesländern neben dem achtjährigen auch einen neunjährigen gymnasialen Bildungsgang gibt.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Vielleicht gibt es da dann auch bloß acht Jahre! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: In der DDR hatten sie auch nur acht Jah- re! – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Ende.

Ich frage mich: Warum will man hier aus Verbohrtheit und Sturheit den baden-württembergischen Landeskindern partout etwas verwehren, was mittlerweile überall sonst – teilweise als Korrektur zu G 8 – eingeführt wird?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 14/3267. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das Zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.

Damit ist Punkt 8 der Tagesordnung erledigt.

Punkt 9 der Tagesordnung wurde auf Antrag abgesetzt.

Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und Antwort der Landesregierung – Integration und Gesundheit – Drucksache 14/3133

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Besprechung fünf Minuten je Fraktion, für das Schlusswort fünf Minuten.

Das Wort erteile ich Frau Abg. Mielich für die Fraktion GRÜNE.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne die Debatte über das Thema „Integration und Gesundheit“, das vor allem die Situation der Migrantinnen und Migranten hier in Baden-Württemberg behandelt, …

(Unruhe – Zurufe: Lauter! – Glocke der Präsiden- tin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

… mit einem Zitat aus einem Vortrag der Fachkonferenz „Migration und Gesundheit“ in Freiburg:

Ein älterer Türke mit schlechten Deutschkenntnissen berichtet seinem Arzt von Herzschmerzen. Dieser veranlasst daraufhin zahlreiche kardiologische Untersuchungen einschließlich eines stationären Aufenthalts in einer Fachklinik. Alle Bemühungen bleiben ohne Ergebnis, bis ein hinzugezogener türkischer Landsmann erklärt, dass im türkischen Kulturkreis Herzschmerzen Heimweh bedeuten.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Im Französischen auch!)

Das halte ich für eine sehr treffende Beschreibung. – Herr Dr. Noll, ich würde heute gern einmal eine Debatte führen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: In der er ruhig ist!)

in der es ohne Zwischenrufe geht. Das fände ich wunderbar.

(Beifall der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das kann man nicht versprechen! Kommt darauf an, was Sie sagen!)

Das geschilderte Beispiel halte ich für sehr treffend, weil es deutlich macht, dass es vor allem darum geht, das unterschiedliche Verständnis der Kulturen für die Gesundheit zu begreifen und uns darauf einzustellen.

Unsere Große Anfrage zu Migration, Integration und Gesundheit hatte zum Ziel, abzufragen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg leben, wie ihre Altersstruktur und ihr gesundheitlicher Zustand insgesamt ist und vor allem welchen Zugang die Menschen mit Migrationshintergrund zum Gesundheitssystem haben, ob dieser über

haupt in Anspruch genommen wird und, wenn nicht, was die Gründe dafür sind.

Es hat sich herausgestellt, dass es vor allem darauf ankommt, die soziale Herkunft insgesamt zu berücksichtigen, wenn es eine Anhäufung bestimmter Krankheiten gibt. Übergewicht bei Kindern etwa betrifft nicht in erster Linie Kinder mit Migrationshintergrund, sondern ist vor allem auf den sozialen Hintergrund zurückzuführen.

Erstaunlich ist, wie ich finde, dass Kinder mit Migrationshintergrund z. B. deutlich weniger Allergien haben als Kinder mit deutschem Hintergrund. Das finde ich bezeichnend.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist doch klar!)

Es hat sich herausgestellt – das zeigt die Große Anfrage sehr deutlich –, dass Migrantinnen und Migranten – neben der hohen Zahl von übergewichtigen Kindern – häufig medizinisch fehl-, unter- oder überversorgt sind. Das gilt ganz besonders für die Medikamentenversorgung. Das hat den Hintergrund, dass es, z. B. bei Diabeteserkrankten, oft an Einsicht fehlt, Medikamente auch noch zu nehmen, wenn es eigentlich keine Krankheitssymptome mehr gibt.

Das Zweite ist, dass Migrantinnen und Migranten Präventionsangebote weniger nutzen.

Das Dritte ist, dass psychische Erkrankungen und Frühverrentungen bei Migrantinnen und Migranten deutlich häufiger auftreten.

Die Antwort der Landesregierung auf unsere Frage, was die Landesregierung macht, was mit den Daten, die gesammelt worden sind, passiert, zeigt klar: Der Zusammenhang von Migration und Gesundheit ist ein Schwerpunkt. Denn mittlerweile hat jeder vierte Bewohner bzw. jede vierte Bewohnerin in Baden-Württemberg einen Migrationshintergrund. Bei diesem hohen Anteil muss etwas passieren. Die Frage ist, was passiert.

Das, was die Landesregierung anbietet, ist nach unserer Auffassung nicht der richtige Weg. Denn das, was die Landesregierung anbietet, bedeutet, dass man das bestehende Gesundheitssystem bzw. die Gesundheitsversorgung, die Arbeit der Gesundheitsämter verstärkt für die Menschen mit Migrationshintergrund öffnet. Das wird z. B. in Stuttgart sehr umfassend gemacht. Es gibt viele Broschüren, die in unterschiedlichen Sprachen vorgehalten werden, um auch Beratungstätigkeiten für die Menschen in deren Muttersprache durchzuführen. Aber letztendlich bleibt es dabei, dass die Präventionsangebote, die Beratungsangebote von den Menschen mit Migrationshintergrund deutlich weniger wahrgenommen werden.

Das heißt, unser Ansatz ist eher, zu schauen, wo es Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die deutlich bessere Erfolge erzielen. Da gibt es eine ganze Menge. Ein ganz wichtiges Projekt, das in vielen anderen Bundesländern seit Jahren praktiziert wird, ist das Projekt „MiMi – Mit Migranten für Migranten“. Das ist ein Projekt, bei dem Migranten entsprechend geschult werden, um in ihrer Community und mit ihrem ethnischen Hintergrund die Menschen anzusprechen. Sie haben einen besonderen Zugang, wenn es darum geht, Beratung nach vorn zu bringen, Prävention zu fördern oder auch nur eine Anlaufstelle zu sein, wenn es darum

geht, zu gucken, wo man die richtige medizinische Versorgung bekommen kann.

Ich nenne einmal ein Beispiel: Wir haben seit Jahren auch in Deutschland die besondere Diskussion über Genitalverstümmelungen. Es ist mittlerweile so, dass Genitalverstümmelung, wenn sie hier in Deutschland stattfindet, strafrechtlich verfolgt wird. Unser Ziel ist – dazu wird Herr Dr. Goll morgen im Bundesrat eine Initiative starten –, dass in diesen Fällen auch die internationale Strafverfolgung, also die Strafverfolgung im Ausland, möglich ist. Dies im Bundesrat durchzusetzen ist wirklich eine gute Initiative.

In unseren Augen geht es aber nicht nur darum, dass man dort die Strafverfolgung installiert, sondern es geht vor allem darum, dass man mit den Frauen ins Gespräch kommt, und zwar bevor es zu diesen Verstümmelungen kommt. Dadurch werden die ethnischen und kulturellen Besonderheiten und Hintergründe viel stärker in den Blick genommen. Das können wirklich nur Menschen tun, die dieselbe Herkunft haben.

(Beifall der Abg. Edith Sitzmann und Renate Rastät- ter GRÜNE)

Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass es ganz wichtig ist, dieses Projekt „MiMi – Mit Migranten für Migranten“ tatsächlich nach vorn zu bringen.

Wir haben dazu noch einen Folgeantrag eingebracht. Das Land hat am Anfang gesagt, die Initiierung eines solchen Projekts auf Landesebene sei eigentlich eine ganz gute Idee, und man könne durchaus darüber nachdenken und bei möglichen Partnern nachfragen. Dann hat sich aber in der aktuellen Behandlung des Antrags in der letzten Ausschusssitzung letztendlich herausgestellt, dass das Land sagt, es sei zwar wünschenswert und wunderbar, aber ihm fehlten leider die Gelder. Es geht letztlich um eine Anschubfinanzierung, die wirklich minimal ist.

Wir hätten uns da sehr viel mehr deutliche Worte gewünscht; vor allem hätten wir uns mehr Taten gewünscht. Es wäre einfach eine Initiative gewesen, die man hätte ergreifen können, um mit sehr wenig Geld sehr viel zu bewirken. Denn letztendlich führen fehlende Prävention, schlechte Früherkennung oder medizinische Unter- oder Überversorgung dazu, dass es zu hohen Folgekosten kommt. Diese führen wiederum dazu, dass das Gesundheitswesen insgesamt teurer anstatt billiger wird.

Wir hätten mit dieser Möglichkeit eine gute Chance gehabt, eine Maßnahme zu ergreifen, die für die Menschen sehr sinnvoll gewesen wäre und die letztendlich dazu geführt hätte, dass es für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, die es gibt, eine deutliche Qualitätsverbesserung gegeben hätte.

In diesem Sinn bedauere ich dieses Ergebnis der Großen Anfrage. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir weiterhin am Ball bleiben und weiter mit Ihnen darüber diskutieren werden, um dieses Konzept noch umsetzen zu können.

Schönen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Teufel für die Fraktion der CDU.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ein guter Mann!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist das Flächenland mit dem höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Knapp ein Viertel der 10,7 Millionen Baden-Württemberger gehören zum Personenkreis der Migranten. Menschen mit Migrationshintergrund sind keine einheitliche und leicht zu definierende Gruppe. Sie kommen aus verschiedenen Herkunftsländern oder sind bereits in Deutschland zur Welt gekommen, entstammen jedoch einer zugewanderten Familie.