Protocol of the Session on December 4, 2008

wir uns als Eltern, als Familien, aber auch als Gesellschaft, als Politiker immer bewusst sein. Unser aller Sorge muss ihrem Aufwachsen, ihrer gedeihlichen Entwicklung gelten.

Natürlich liegt diese Aufgabe primär bei den Eltern. Als Gesellschaft, als Politiker haben wir die Aufgabe, Eltern bei ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen. Das heißt, wir müssen sie durch geeignete Rahmenbedingungen, z. B. bei der Kinderbetreuung, begleiten.

Die weit überwiegende Zahl der Eltern müht und sorgt sich redlich und liebevoll, ihren Kindern den Weg ins Leben zu ebnen.

(Beifall des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das ist so. – Doch leider müssen wir in Einzelfällen auch immer wieder feststellen und erleben, dass Eltern ihrer Fürsorgepflicht nicht oder nur unzureichend nachkommen. An dieser Stelle ist die Politik, ist der Gesetzgeber gefragt. Denn die Kinder haben Anspruch auf unseren Schutz und auf unsere Aufmerksamkeit.

Nun verfügen wir in Baden-Württemberg bereits über ein tragfähiges Unterstützungsnetz mit verschiedenen Präventionsmaßnahmen und Hilfestrukturen. Frau Ministerin Dr. Stolz hat bereits darauf hingewiesen und u. a. das Projekt „Guter Start ins Kinderleben“ genannt. Ich will aber auch noch an das Programm STÄRKE im Rahmen der Landeserziehungsoffensive oder auch an die aufsuchenden Hilfen für Familien in Risikosituationen ebenso wie an die Neukonzeption der Einschulungsuntersuchungen erinnern.

Gleichzeitig sind wir uns sicher darin einig, dass es stets gilt, Belastungssituationen in Familien und Gefährdungssituationen für Kinder möglichst frühzeitig zu erkennen und abzufangen. Früherkennungsuntersuchungen leisten dazu schon heute einen wichtigen Beitrag.

Mit dem nun vorgelegten Kinderschutzgesetz wollen wir die Eltern noch stärker in die Pflicht nehmen, von diesen Früherkennungsuntersuchungen auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Die Steigerung der Teilnahme an den Untersuchungen und die Möglichkeit zur nachholenden Untersuchung sind ein weiterer Baustein – die Ministerin hat es bereits benannt – zur Verbesserung der Gesundheitsprävention und des Kinderschutzes.

Gleichzeitig machen wir aber auch noch einmal sehr deutlich, dass die Schweige- und Geheimhaltungspflicht und der Datenschutz nicht daran hindern dürfen, Kindern und Jugendlichen in Gefährdungssituationen wirksam zu helfen, sei es über Hilfsangebote oder über das Einschreiten des Jugendamts.

Nun gibt es sicher noch weitere Maßnahmen, die geeignet sind, Kinder zu schützen und Familien zu helfen; einige habe ich eingangs genannt. Allerdings bedürfen nicht alle einer gesetzlichen Regelung. Damit die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen jedoch von Staats wegen auch über die reine Freiwilligkeit hinaus eingefordert werden kann, bedarf es der gesetzlichen Verankerung dieser Pflicht.

Ich bin überzeugt: Das Wohl unserer Kinder ist uns allen gemeinsam ein Herzensanliegen. So bitte ich Sie, liebe Kolle

ginnen und Kollegen, im Interesse unserer Kinder und unserer Jugendlichen sehr herzlich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Wonnay für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir beraten heute den Entwurf des Gesetzes zum präventiven Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg – kurz Kinderschutzgesetz – in erster Lesung. Dazu möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, auch wenn Sie jetzt vieles ergänzend angekündigt haben, eingangs sehr klar und deutlich für unsere Fraktion sagen: Sie versprechen mit diesem Gesetzentwurf mehr, als Sie halten.

Denn es handelt sich bei dem, was Sie mit diesem Gesetzentwurf heute vorlegen, um einen losen Baustein. Dessen Zielsetzung unterstützen wir durchaus. Aber wir sind hier in Baden-Württemberg – im „Kinderland“, wie Sie immer so gern sagen – noch weit weg von einem umfassenden, systematischen Kinderschutzkonzept. Das ist es, was wir brauchen; wir brauchen nicht nur einen losen Baustein.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Für die Kinder, die in ihren Familien keine ausreichende Unterstützung bekommen oder die sogar Gewalt erfahren, hat der Staat eine besondere Verantwortung, sein Wächteramt auszuüben. Deshalb, sehr geehrte Frau Ministerin, teilen wir selbstverständlich die Einschätzung, dass die verpflichtenden Untersuchungen ein notwendiger Schritt sind. Das hätten Sie schon längst einführen können. Andere Bundesländer haben das getan. Diese haben dann allerdings umfassende Kinderschutzgesetze vorgelegt und dabei nicht nur auf die Pflichtuntersuchungen gesetzt, sondern vor allem frühe, aufsuchende, niedrigschwellige Hilfen einbezogen, und sie haben dies zur Grundlage für eine Kinderschutzkonzeption gemacht. Sie kündigen an, das tun zu wollen. Sie hätten es aber schon längst tun können, und Sie hätten es auch schon längst tun müssen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Völlig zu Recht haben im Anhörungsverfahren zu diesem Gesetzentwurf der Landesfamilienrat, der Zusammenschluss aller Familienverbände im Land Baden-Württemberg, die Liga der freien Wohlfahrtsverbände, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Kinderschutzbund genau dieses umfassende Konzept eingefordert. Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, dass Sie hier auf das sogenannte Kinderschutzkonzept verweisen, das wir angeblich schon hätten. Gerade haben Sie eingeräumt, dass vieles in diesem umfassenden Kinderschutzkonzept erst noch kommen muss. Ein Sammelsurium unverbundener Einzelmaßnahmen und Modellprojekte ist eben kein Ersatz für ein umfassendes Kinderschutzkonzept, wie wir es dringend brauchen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Ich möchte, weil Sie immer wieder auf das Programm STÄRKE verweisen – Frau Kollegin Krueger hat das eben auch wieder getan –, den Aspekt der aufsuchenden Hilfe schon noch einmal sehr eindringlich ansprechen. Genau dort sind Verlässlichkeit und schnelle Handlungsfähigkeit, die in solch schlimmen Situationen notwendig sind, bisher nicht gegeben. Ich will jetzt gar nicht von den Bildungsgutscheinen reden. Wir wissen, dass wir mit diesen Gutscheinen die Risikofamilien gerade nicht erreichen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das wissen wir schon jetzt!)

Das Programm STÄRKE bietet Möglichkeiten, die ich gar nicht kleinreden will. Aber für den Bereich der Risikofamilien ist der andere Teil dieses Pakets, den Frau Krueger ja auch genannt hat, wichtig. Ich möchte einmal aus der Homepage des Sozialministeriums, Thema „Familien mit Kindern“, Rubrik „Antworten auf häufig gestellte Fragen zu STÄRKE“, zitieren. Eine Frage dort lautet:

Können Eltern in besonderen Lebenssituationen

das ist genau das, wovon wir im Hinblick auf den Kinderschutz sprechen –

genauso sicher damit rechnen, weitere Zuschüsse zu erhalten, wie Gutscheininhaber auf die Einlösung ihres Gutscheins vertrauen können?

Die Antwort des Sozialministeriums lautet:

Leider nicht, da die Jugendämter am Jahresanfang einen bestimmten Anteil der Programmmittel erhalten und diese zunächst für die Gutscheineinlösung verwendet werden müssen. Die Jugendämter bestimmen …

die Konditionen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Hört, hört!)

Dies wird sich nach den örtlichen Strukturen und Handlungsbedarfen richten. Sobald die jährlich zur Verfügung gestellten Mittel des Programms erschöpft sind, können Zuschüsse aus STÄRKE für Familien in besonderen Lebenssituationen erst wieder im nächsten Jahr gewährt werden.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren: Familien in einer solchen Notsituation, Kinder in einer solchen Notsituation können nicht bis zum nächsten Jahr warten.

(Beifall bei der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: So ist es! Unmöglich! Hilfe nach Haushaltslage! – Abg. Katrin Altpeter SPD: Genau!)

Deswegen ist das eben kein verlässlicher Baustein.

Wir wollen über das, was Sie heute vorschlagen, Frau Minis terin, hinaus – da werden wir Sie sehr ernst nehmen und prüfen, ob Sie Ihren Worten tatsächlich auch die entsprechenden Taten folgen lassen –, also über den Bereich der Pflichtuntersuchungen hinaus eine Gesamtkonzeption, die vor allem auf die aufsuchende, niederschwellige Arbeit setzt. Wir wollen dazu insbesondere auch die Familienhebammen stärken. Da werden Sie dann schon unter Beweis stellen müssen, wie ernst es dem Land wirklich ist. Das gilt beispielsweise für die Fort

bildung zur Familienhebamme ebenso wie für die Finanzierung, um die Arbeit der Familienhebamme verlässlich zu regeln.

Noch einmal das Schlussfazit: Ein Baustein allein reicht nicht. Mit dem sind Sie spät genug dran. Wir brauchen endlich ein umfassendes Kinderschutzkonzept.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch für die Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jährlich sterben nach Angaben der Bundesstiftung Kinderzukunftsnetz etwa 150 Kinder in Deutschland an den Folgen anhaltender Vernachlässigung oder Misshandlung. Dabei besteht das größte Risiko im ersten Lebensjahr.

Auch in Baden-Württemberg weist die Kriminalstatistik einen Anstieg der Zahl der Fälle von Kindesmisshandlung um 30 % in den letzten zehn Jahren auf. So waren es im letzten Jahr 333 Fälle, die bekannt geworden sind. Da in vielen Fällen Misshandlungen und Vernachlässigungen von Kindern natürlich nicht bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden, sondern – wenn überhaupt – lediglich Jugendschutzorganisationen und Jugendämter eingeschaltet werden, muss insgesamt von einer weit höheren Zahl ausgegangen werden.

Auch die Zahl der Familien, die Erziehungshilfen in Anspruch genommen haben, ist seit dem Jahr 2000 bundesweit um 54 % gestiegen. In Baden-Württemberg stieg sie laut Aussage des Statistischen Landesamts sogar um knapp 70 %.

Wir haben in Baden-Württemberg bisher viele unterschiedliche Maßnahmen, die dem Kinderschutz dienen. Beispiele sind genannt worden. Wir haben z. B. das Programm STÄRKE, das Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“, wir haben die Neukonzeption der Einschulungsuntersuchung. Das heißt, wir haben ein unverbindliches Sammelsurium von Maßnahmen und Konzepten, die in einem Kinderschutzkonzept gesammelt sind.

Meine Damen und Herren, das sind viele Einzelmaßnahmen, die aber nur Teilbereiche abdecken und die keine Antwort auf die Frage geben, wie ein Gesamtkonzept für Baden-Württemberg aussieht, das auch Kindern in schwierigen Lebensverhältnissen ein gesundes Aufwachsen ermöglicht und das vor allem im ersten Lebensjahr ansetzt.

(Beifall der Abg. Renate Rastätter und Theresia Bau- er GRÜNE – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Die Landesregierung hat im Sommer als Reaktion auf die verschärfte Problemlage einen Gesetzentwurf zum Kinderschutz vorgelegt, der im Anhörungsverfahren von den meisten Verbänden als völlig unzureichend kritisiert wurde. Diese Einschätzung teilen wir. Auch wir halten diesen „Schmalspurgesetzentwurf“ für komplett untauglich, um den Kinderschutz in Baden-Württemberg wirksam voranzubringen.

(Beifall bei den Grünen)

Der Grund: Nur ein einziger Punkt wird in diesem Gesetzentwurf geregelt. Das sind die Vorsorgeuntersuchungen. Schlanke Gesetzentwürfe sind prinzipiell richtig. Aber einen Gesetzentwurf, der sich wirklich nur auf einen einzigen Punkt reduziert, halte ich hier wirklich für absolut unzureichend. Ich finde, dass sich ein Gesetzentwurf, der den Kinderschutz in Baden-Württemberg regeln soll, nicht nur auf das Thema Vorsorgeuntersuchung reduzieren darf, sondern eigentlich ein Gesamtkonzept zum Kinderschutz enthalten müsste. Da fehlen die wichtigsten Punkte.

(Beifall der Abg. Theresia Bauer und Franz Unter- steller GRÜNE)

Frau Stolz, Sie haben vorhin gesagt: „Das Gesetz ist nur ein Baustein des Kinderschutzkonzepts.“ Ich finde, andersherum wird ein Schuh daraus: Das Kinderschutzkonzept muss Bestandteil des Kinderschutzgesetzes sein, weil ein Gesetz viel weitreichender ist als ein unverbindliches Kinderschutzkonzept. Was hindert Sie daran, was hindert uns daran, die genannten Maßnahmen in das Kinderschutzgesetz einzufügen? Warum müssen wir das Kinderschutzgesetz auf nur einen einzigen Punkt reduzieren, nämlich auf das Thema Vorsorgeuntersuchung?