Es ist allerdings schon ein Unterschied, ob irgendwelche Leute Privatschulen gründen, bei denen schon von vornherein das Einhalten des Verbots der Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern infrage gestellt ist, weil sie zu hohe Gebühren verlangen.
(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es! – Abg. Hei- derose Berroth FDP/DVP: Wie hätten Sie es denn gern?)
Jetzt kommt das Entscheidende: Für uns, die wir natürlich in erster Linie für das staatliche Schulwesen verantwortlich sind, muss es doch eine Herausforderung sein, wenn in immer stärkerem Maße
Privatschulen gegründet werden und das sogenannte Bildungsbürgertum nicht mehr seine Innovation und Kraft einbringt, um die Schulen, auf die es seine Kinder bisher geschickt hat, besser zu machen, sondern sich einfach daraus verabschiedet und eigene Schulen gründet. Das muss ein Alarmsignal sein, das zeigt: Im staatlichen Schulwesen stimmt etwas nicht. Das ist die Botschaft, die davon ausgeht, und die wollen Sie nicht hören.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie sieht es mit den Abschlüssen an Privat- schulen aus? Sagen Sie einmal etwas dazu!)
Betrachten wir doch z. B. die Waldorfschulen: Das sind integrative Schulen seit eh und je, Schulen, die Sie mit dem Begriff „Einheitsschulen“ denunzieren. Auch diese integrativen Waldorfschulen in unserem Land haben eine Zahl an Anmeldungen, die dreimal so hoch ist wie die Zahl an Schülern, die sie aufnehmen können.
(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ist das jetzt schlecht? – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die machen aber auch nicht alle Abitur! Sie machen Hauptschulab- schluss, Realschulabschluss und Abitur! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)
Ich komme noch einmal zum Begriff der Einheitsschule. Wer eine Einheitsschule will, das sind Sie. Sie wollen am drei gliedrigen Schulsystem festhalten, das möglichst einheitliche homogene Gruppen vor sich hat.
Die Einheitsschule ist Ihr Konzept und nicht unseres. Selbstständige und freie Schulen sind Schulen der Vielfalt, wo Kreativität an erster Stelle steht. Genau das wollen wir und nicht den Weg, den Sie jetzt gehen.
Sie gehen weiterhin den Weg des Dirigismus und des Obrigkeitsstaats, um möglichst diffizil in den Schulalltag hineinzuregieren. Das kann es nicht sein.
Ich war kürzlich beim Arzt. Insofern kann ich mich frei zu Visionen bekennen. Meine Vision ist, dass sich in einem Schul system der Zukunft Schulen in freier Trägerschaft und staatliche Schulen im Kern gar nicht mehr unterscheiden,
(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: So ist es! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Und alle dieselben schlechten Ergebnisse haben!)
weil wir die Schulen in staatlicher Trägerschaft so weit kommunalisieren, in die Selbstständigkeit entlassen, dass sie vor Ort selbst kreativ sein und das Schulsystem entwickeln können, das ihnen richtig erscheint und die Voraussetzungen erfüllt, die wir für eine individuelle Förderung brauchen.
Es ist die richtige Vision. Es geht nicht darum, Schulen in freier Trägerschaft und staatliche Schulen gegeneinander auszuspielen,
sondern darum, das staatliche Schulwesen so fit zu machen, es mit den Ressourcen auszustatten, diesen Schulen die Möglichkeiten und Freiheiten zu geben, die sie brauchen, damit sich dort Kreativität entwickeln kann. Wir könnten – meine Fraktion macht das am laufenden Band – Vertreter von Schulen aus anderen Ländern einladen, die uns das in hervorragender Weise vormachen. Das kann ich Ihnen nur empfehlen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Mit welchem Er- folg, Herr Kretschmann? Gucken Sie auf die Ab- schlüsse, und vergleichen Sie die mit denen an den staatlichen Schulen! Gucken Sie auf die Abschluss- noten! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Oh, Herr Röhm, mussten Sie als Schulleiter auch in den Land- tag kommen?)
Das ist der richtige Weg. Diese Beispiele aus anderen Ländern zeigen: Die Schulen machen das alle mit großem Erfolg.
Deswegen sage ich noch einmal, was wir in der Schuldebatte vor einigen Monaten gesagt haben: Das Erste, was wir von Ihnen, von der CDU und ihrem Kultusminister, verlangen, ist, dass Sie dort neue und auch integrative Schulformen zulassen, wo Schulträger dies verlangen. Das kann man doch wohl von Ihnen erwarten! Dort, wo Menschen kreativ sind – Elternschaft, Lehrerschaft, Kommune – und neue Schulmodelle in ihrer Stadt oder Gemeinde wollen, kann man doch erwarten, dass Sie das einfach genehmigen, dass Sie dies zulassen und es nicht behindern. Statt mit ihnen zu reden, beordern Sie je
Das sind unsere Erwartungen an Sie. Wenn Sie, Herr Kultusminister Rau, das einmal tun, werden wir hier in diesem Land einen erheblichen Schritt vorangekommen sein.
(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP und Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Jetzt darf doch nur noch der Fraktionsvorsitzende reden! – Unruhe)
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Eines darf ich zunächst noch einmal historisch klarstellen, Herr Ministerpräsident, und ich möchte Ihnen dabei gern auch etwas Nachhilfe geben.
Die SPD ist aus der Bildungsbewegung hervorgegangen, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem sie als reine Lehrerpartei überhaupt keine Chance gehabt hätte, Mitglieder zu gewinnen. Insofern ist der umgekehrte Schluss richtig: Wir haben in unseren Reihen Gott sei Dank so viele Lehrer, weil wir als Bildungspartei seit fast 150 Jahren ernst genommen werden, und nicht umgekehrt.
Zur Gründung der SPD aus der Arbeiterbildungsbewegung wäre es nie gekommen, wenn es damals und immer schon Bildungsgerechtigkeit gegeben hätte. Nehmen Sie uns also bitte ab, dass die Bildung eines der Themen ist, die wir mit Herzblut verfolgen und bei denen wir Kompetenz einbringen, und versuchen Sie nicht, uns durch so billige Rhetorik abzubügeln.
Nun zu Ihrem Angebot, Herr Ministerpräsident: Wir treten gern in einen konstruktiven Dialog mit Ihnen ein. Ich möchte an vier Punkten kurz aufführen, worüber ich mit Ihnen dabei gern diskutieren würde.
Ich würde mit Ihnen gern über das Thema „Jugendarbeitslosigkeit in Baden-Württemberg“ diskutieren. Aus meiner Heimatstadt kann ich Ihnen Folgendes berichten: Dort hatten wir noch vor wenigen Jahren eine Jugendarbeitslosenquote im zweistelligen Bereich und waren damit Schlusslicht in BadenWürttemberg. Nach Einführung von Hartz IV und der Konzentration der dadurch frei gewordenen Mittel in den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit weist diese Stadt fast die günstigste Jugendarbeitslosenquote landesweit auf. Das hat aber nichts mit einer Verbesserung des Bildungssystems zu tun. Vielmehr haben wir zusätzlich zu den 800 bis 1 000 jungen Leuten, die wir jedes Jahr neu in BVJ, EQJ und welche Programme auch immer zur Überbrückung einspeisen, damit sie nicht auf der Straße stehen müssen, noch einmal etwa 800 Praktikumsplätze bei den unterschiedlichsten Trägern und Institutionen geschaffen, um die Jugendlichen von der Straße zu holen.
Aber diese Entwicklung hat doch nichts mit der Qualität Ihres Bildungssystems zu tun, sondern mit anderen Maßnahmen.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: An allen Schulen sind Praktika vorgeschrieben! Z. B. BOGY oder an- dere Praktika! – Gegenruf der Abg. Ursula Hauß- mann SPD)