gusaugen verfolgen, wie die EU-Kommission die Stärkung der Rechte der Kommunen in diesem Grundlagenvertrag in der europäischen Praxis achtet und umsetzen wird. Das ist keineswegs ausgemacht. Das wird nicht konfliktfrei verlaufen. Das gibt keine kuschelige Veranstaltung. Bisher jedenfalls hat die Kommission auf vielen Feldern sehr entschieden die Auffassung vertreten, dass Kommunen die Aufgaben letztendlich nicht selbst zu erfüllen haben, sondern sie vergeben sollen, dass alle öffentlichen Aufgaben den Marktbedingungen unterworfen werden sollen.
Jetzt haben wir eine andere Situation, und jetzt muss sich die Kommission neu positionieren. Das fordern und erwarten wir auch. Beides muss in Zukunft möglich sein, sowohl die öffentliche Aufgabenerfüllung – und diese für uns mit deutlichem Vorrang – wie auch die privaten Dienstleistungsangebote. Das ist ja auch bereits Bestandteil kommunaler Praxis.
Es gibt eine Reihe von konkreten Problemen auch hier in Baden-Württemberg. Ich will diese kurz nennen, um deutlich zu machen, worauf es dabei ankommt.
Stichwort „Kleinräumige Strukturen in unserem Bundesland“: Nach wie vor gibt es in Baden-Württemberg über 1 000 kleine Gemeinden, und wir alle wollen, dass diese Zahl erhalten bleibt. Ich glaube nicht, dass irgendjemand in diesem Hause einer Gemeindegebietsreform, etwa nach dem Vorbild Nord rhein-Westfalens, das Wort reden möchte.
Wenn wir dies erhalten wollen, werden wir allerdings – auch als Land und als Landtag von Baden-Württemberg – die interkommunale Zusammenarbeit als eine der Schlüsselaufgaben der Zukunft begreifen müssen. Wir werden die interkommunale Zusammenarbeit in ihren vielfältigen Möglichkeiten auch auf gesetzlicher, auf landesgesetzlicher Ebene ausbauen und stärken müssen.
Die Politik der EU-Kommission der letzten Jahre – Beispiel Zweckverbandsgemeinde Hinte; es gab ja den berühmten „Fall Hinte“ – hätte dem dauerhaft einen Riegel vorschieben können. Wenn so etwas in Europa gängige Politik werden würde, könnten wir unsere Zweckverbände landauf, landab faktisch auflösen. Die Form der gemeinsamen kommunalen Aufgabenerfüllung in Zweckverbänden, etwa bei der Wasserversorgung oder im Abwasserbereich, wäre nicht mehr möglich.
Das Gegenteil ist richtig: Interkommunale Zusammenarbeit ist ein Zukunftsmodell, das wir brauchen, wenn die kleinen Kommunen überlebensfähig bleiben sollen. Deswegen ist es unsere gemeinsame Aufgabe, im europäischen Kontext dafür zu sorgen, dass es auch in Zukunft Vergabefreiheit bei der originären interkommunalen Zusammenarbeit gibt. Da stehen wir, wie gesagt, als Land in der Verantwortung.
Zum Vergaberecht insgesamt: Die Konfliktfelder sind bekannt. Wir haben hingenommen und akzeptiert, dass oberhalb der sogenannten Schwellenwerte letztlich das europäische Ver gaberecht gilt. Das ist für die Kommunen in vielen Fällen schwierig genug. Aber geradezu verrückt wäre doch eine Entwicklung, wie sie die Kommission im Juli 2006 mit dem Papier zu den sogenannten Unterschwellenvergaben eingeleitet
hat. Eine solche Politik würde, wenn sie umgesetzt würde, dazu führen, dass 90 % aller kommunalen Auftragsvergaben und 80 % des Vergabevolumens künftig nach EU-Vergaberecht zu erfolgen hätten – mit unglaublich hohem bürokratischen Aufwand, schlechten wirtschaftlichen Ergebnissen und mit Unzumutbarkeiten für die kommunale Selbstverwaltung. Auch hier gilt die Forderung: europäisches Vergaberecht innerhalb zugebilligter Größen, aber keine Ausdehnung auf den Kleinstbereich normaler kommunaler Aufgabenerfüllung.
Das Gleiche gilt für die sogenannten Inhouse-Geschäfte. Auch das ist eine zukunftsfähige Organisationsform zur Aufgaben erledigung in den Kommunen, an die manche auf europäischer Ebene ja immer noch heranwollen; sie haben bislang noch nicht davon abgelassen. Das ist durch diesen Grundlagenvertrag nicht geregelt.
Die Wasserversorgung ist ein weiteres Beispiel. Es soll niemand glauben, dass dieses Thema mit dem Grundlagenvertrag erledigt wäre. Es gibt in Brüssel nach wie vor selbstverständlich den Plan und die Absicht, bei der Wasserversorgung zumindest in Teilbereichen eine Privatisierung einkehren zu lassen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Vertrag von Lissabon hat die kommunale Daseinsvorsorge gestärkt. Aber es bleiben Aufgaben, auch für die Landesregierung. Diese Aufgaben heißen: Stärkung der Mitwirkungsrechte der Regionen und Kommunen im Rahmen der Lissabon-Strategie, aber auch die konsequente Beteiligung der Kommunen an der Erarbeitung und Umsetzung wichtiger Programme, die diese Regierung verantwortet, wie z. B. ESF.
Ganz zentral ist die Forderung, gegenüber der Kommission mithilfe des Europaparlaments, mithilfe der Bundesregierung und mithilfe aller Willigen, denen die kommunale Selbstverwaltung ein Anliegen ist, in den nächsten Monaten und Jahren durchzusetzen, dass die kommunale Organisationseinheit nicht durch zusätzliche Regeln für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte eingeschränkt wird und dass es Vergabefreiheit bei den von mir genannten wichtigen Zukunftsmodellen kommunaler Zusammenarbeit gibt. Die Kommunen selbst sind auch gefordert.
Wenn hierüber, meine Damen und Herren, in diesem Haus Konsens besteht, dann, denke ich, sind wir gut aufgestellt, um diese Aufgaben in Zukunft gemeinsam zu erfüllen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit der Daseinsvorsorge sicherlich ein Thema angesprochen, das den Kern unserer staatlichen Tradition über die vergangenen hundert und mehr Jahre in Deutschland berührt und das auch ein wesentliches Element unserer gemischtwirtschaftlichen Ordnung im Lande ist.
Die Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und der Berichtsantrag der Fraktion der SPD sind zwar vor den Beschlüssen der
Regierungskonferenz von Lissabon verfasst worden; ihre Diskussion kommt aber heute zur rechten Zeit; denn die Regierungschefs haben ja mit ihrer Haltung in Lissabon für sich manifestiert, dass die Daseinsvorsorge, insbesondere die kommunale, für sie einen hohen Stellenwert hat und sie hierfür eigene Regulierungen und den Vorrang der gewachsenen eigenen Kultur an Trägerschaften im jeweiligen Land wünschen.
Klar ist aber auch, dass die Intention der Kommission, ihr Wettbewerbs-, ihr Beihilfe- und ihr Vergaberecht für die Daseinsvorsorge zur Anwendung zu bringen, damit nicht fallen gelassen wird und auch politisch virulent bleibt. Der Herr Europaminister hat dies ja in einem Beitrag für die Verbandszeitschrift des Landkreistags Baden-Württemberg auch mit dem Begriff „Spannungsfeld“ umschrieben – übrigens ist das ein in seiner Art wie gewohnt fulminanter Aufsatz.
Ich möchte im ersten Teil meiner Ausführungen zunächst der Frage nachgehen, wie wir die Rolle der Daseinsvorsorge zwischen Markt und Staat sehen. Ich möchte danach den beiden Fragen nachgehen, wie sich unsere Position zu der sich bald stellenden Frage der Wasserversorgung darstellt und welche Schritte wir im Landtag als Nächstes gehen sollten bzw. was wir von den Parlamenten im Bund und in Europa fordern sollten.
Zur ersten Frage, Daseinsvorsorge zwischen Markt und Staat: Die Sozialdemokraten bekennen sich grundsätzlich zum öffentlichen Eigentum als notwendige Ergänzung oder auch als eigenständig übernommene Rolle für die Funktionsfähigkeit einer sozialen und marktwirtschaftlichen Ordnung.
Ordentliche Ordnungspolitik ist eben keineswegs allein das Privileg einer marktradikalen Orientierung. Ordentliche Ordnungspolitik kann auch richtig sein für eine gemischtwirtschaftliche Ordnung, meine Damen und Herren.
Gerade im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in der Kommunalwirtschaft stärkt öffentliches Eigentum die Wettbewerbsordnung und stabilisiert Wettbewerb. Sparkassen, Stadtwerke, kommunale Wohnungsbaugesellschaften sind Beispiele, die dies eindrücklich belegen.
Sozialdemokraten fordern bei der Aufgabenerfüllung im Bereich der Daseinsvorsorge deshalb eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und nicht ihre Aushöhlung.
Kommunale Wirtschaftsunternehmen beweisen tagtäglich, dass Gemeinwohlorientierung und Effizienz eben nicht im Gegensatz zueinander stehen. Diesen Beweis bleiben übrigens bereits liberalisierte, betriebswirtschaftlich und privatwirtschaftlich organisierte Sektoren der Daseinsvorsorge bislang eher schuldig.
Die Kommunen bilden das Fundament bei der Erbringung der gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge. Sie prägen dadurch wesentlich die Lebensbedingungen und die Lebensqualität unserer Bürger. Die öffentliche Kontrolle garantiert eine gemeinwohlorientierte Aufgabenerfüllung, und sie sorgt auch für regionale Wertschöpfung. Sie sorgt zudem dafür, auf kommunale Besonderheiten spezifisch reagieren zu können.
Wir erwarten umgekehrt von den Kommunen dafür auch einiges: einen gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Zugang zu solchen Diensten, ein flächendeckendes und hochwertiges Angebot zu angemessenen Preisen und öffentlich wahrgenommene Verantwortung, auch über faire Ausschreibungen.
Unsere Position als SPD ist: Wir wollen diese starke und anspruchsvolle Stellung unserer öffentlichen und kommunalen Daseinsvorsorge auch im Spannungsfeld mit den europäischen Wettbewerbs-, Beihilfe- und Vergaberegelungen gewahrt sehen.
Die Landesregierung gibt zum Antrag der Fraktion der SPD und zur Großen Anfrage der Fraktion GRÜNE zur Stellung der Daseinsvorsorge im neuen Grundlagenvertrag der EU, Herr Minister, vorläufige Antworten. Aber diese Antworten sind tatsächlich nur vorläufige.
Klar und gut ist: Die Kommunen und Regionen werden im neuen Vertrag explizit genannt, und die kommunale Selbstverwaltung ist erstmals verankert. Die Daseinsvorsorge im Besonderen wird in einer Protokollnotiz zum Vertrag von Lissabon mit weitem Ermessensspielraum für die Kommunen und Regionen und für die Nationalstaaten beschrieben. Das ist das, was Kollege Sckerl als Fortschritt und Stabilisierung beschrieben hat.
Die Antwort der Regierung verweist allerdings auch zu Recht darauf, dass abzuwarten bleibt, was die Kommission daraus folgert – etwa bei der interkommunalen Zusammenarbeit – und welche Urteile der Europäische Gerichtshof, insbesondere zum Vergabe- und Beihilferecht, vielleicht künftig fällen wird. Hier ist weiterhin Wachsamkeit geboten.
Für uns ist klar: Die noch vage Abgrenzung zwischen „Diens ten von allgemeinem Interesse“ und „Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ sollte klarer gezogen werden.
Dienste von allgemeinem Interesse sind öffentliche Güter wie etwa Bildung oder auch soziale Dienstleistungen, in welchen die Kommission unsere kontinentaleuropäische Kultur nicht nur berücksichtigen, sondern als leitenden Gedanken auch respektieren sollte. Demzufolge darf kein Regulierungsanspruch mit wirtschaftlichen Vorzeichen erhoben werden.
Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – die zweite Gruppe, um die es im Wesentlichen geht, also etwa die Wasser- und Energiewirtschaft – benötigen hinsichtlich der gewachsenen Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, auch der Inhouse-Vergabe über Beteiligungsgesellschaften und der Ausschreibungspflicht für Konzessionen, praktikable Lösungen für unsere Städte und Gemeinden. Diese Lösungen wollen wir selbst definieren und herbeiführen. Diese richtig verstandene Subsidiarität ist für uns wichtig. Sie enthebt uns allerdings nicht der Pflicht, in der politischen Debatte hier im Lande auch darüber Auskunft zu geben, was wir öffentlich und privat in der Wirtschaft behandelt sehen wollen.
Man kann deshalb bei der einmütigen Ablehnung aller Vorschläge aus Brüssel seitens der CDU und der FDP/DVP manchmal nicht ganz den Eindruck loswerden, dass damit nur eine nicht wahrgenommene eigene Verantwortung für eine
ausreichende öffentliche Daseinsvorsorge hierzulande kaschiert werden soll. Wer Daseinsvorsorge in öffentlicher Verantwortung, bei Wohnungen und Studienplätzen, bei Bahnfahrten und bei Datenautobahnen, bei Strompreisen und bei der Wasserqualität haben will, der muss auch hierzulande politisch aktiv etwas zur öffentlichen Daseinsvorsorge tun, meine Damen und Herren.
Baden-Württemberg hat ein Interesse daran, dass die Wasserversorgung in öffentlicher Hand bleibt bzw. in einigen Fällen wieder dahin zurückkommt. Der Versuch der EU-Kommission, nach der Energieversorgung nun auch die Wasserwirtschaft dem Wettbewerbsrecht und dem Marktprinzip zu unterwerfen, stößt auf unsere Ablehnung.
Die Konsequenz wäre absehbar: Globale Konzerne teilten sich die Märkte nach ihren renditepolitischen Überlegungen auf.
Bei der Wasserversorgung muss die Verantwortung aus vielerlei bereits im Allgemeinen genannten Gründen, aber auch aus den noch folgenden Gründen bei den Kommunen bleiben: Der Bürger muss sich über seine Rechnung oder seinen defekten Anschluss auf dem Rathaus beschweren können und nicht in der Warteschleife eines Callcenters in Irland Nerven und Zeit verplempern.