Protocol of the Session on October 10, 2007

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz für das Sozialministerium.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch bei dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ geht es um ein Querschnittsthema. Es umfasst gleichstellungspolitische, familienpolitische, wirtschaftspolitische und arbeitsmarktpolitische Aspekte. Es ist mir auch wichtig, bei diesem Thema zu betonen, dass es bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur um die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung geht, sondern in der Tat um ein Thema, das uns in Zukunft auch noch beschäftigen wird: um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Ich finde es jetzt einfach typisch für die SPD, dass sie dieses Problem zunächst einmal so aufgreift, dass sie plakativ Wohltaten verteilt, ohne in einem zweiten Schritt nach der Finanzierung zu fragen und ohne danach zu fragen, welche Eigenkräfte in der Gesellschaft da sind, die bei der Lösung dieses Problems mithelfen können.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, eine verantwortliche Sozialpolitik schaut auch nach den Finanzierungsgrundlagen; sie verteilt nicht nur, sondern fragt auch danach, wie notwendige Mittel verteilt werden, und stellt die Frage: Welche Kräfte haben wir in der Gesellschaft, und wie können wir diese Kräfte mobilisieren, bevor wir – ich sage es konkret – zehn Pflegetage mit Lohnersatzleistung festlegen?

Ich denke, die Antworten auf die parlamentarischen Anfragen zu diesem Thema zeigen, dass die Landesregierung erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, auch im Bereich der Pflege. Wir haben dieses Thema in die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes aufgenommen, um für Wirtschaft, Verwaltung und Non-Profit-Unternehmen Handlungsstrategien zu entwickeln. Da geht es oft um Organisation und nicht nur um das Verteilen des Geldes.

Wir sind uns auch dessen bewusst, dass das Land als Arbeitgeber bei diesem Thema eine Vorbildfunktion zu übernehmen hat, denn wir können nur dann von anderen Arbeitgebern größere Anstrengungen für eine bessere Balance zwischen Arbeitswelt und Lebenswelt fordern, wenn wir selbst in unserem eigenen Zuständigkeitsbereich vorbildlich und glaubwürdig sind. Ich habe die gesetzlichen Empfehlungen des Chancengleichheitsgesetzes schon bei Tagesordnungspunkt 1 erwähnt. Hier wird der Rahmen für eine frauen- und familienbewusste Personalpolitik vorgegeben. Der Ministerrat hat Ende 2005 Handlungsempfehlungen beschlossen. Wir werden Ende 2008 einen ersten Bericht über den Stand der Umsetzung geben.

Frau Lösch hat es angesprochen: Solche Dinge brauchen natürlich Zeit. Wir können bei diesem Thema nicht mit einfachen Maßnahmen das Steuer herumreißen und meinen, dann hätten wir alles, was wir möchten. Das ist – ich glaube, da sind wir uns auch einig – ein länger währender Bewusstseinsprozess. Aber wir werden darüber berichten.

Vereinbarkeit von Beruf und Kindern: Wir wissen aus Umfragen – das ist auch schon erwähnt worden –, dass die meisten jungen Familien und jungen Frauen beides wollen. Die Verteilung der Erwerbsarbeit und der Familienarbeit auf beide Schultern, auf die Schultern von Frauen wie von Männern, braucht natürlich entsprechende Rahmenbedingungen. In der öffentlichen Diskussion über die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird die außerhäusliche Kinderbetreuung häufig irgendwie als ideologisches Gegenmodell zur Betreuung von Kindern in der eigenen Familie verstanden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Ich wehre mich gegen ein solches Schwarz-Weiß-Denken, denn wir müssen der Pluralität der gesellschaftlichen Realität gerecht werden.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Es geht darum, dass Frauen und Männer wählen können,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wo ist Mappus? – Ge- genruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das interes- siert ihn nicht! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Da sollte der einmal zuhören! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Noch sind Sie nicht Fraktions- vorsitzender!)

wie sie die Lebensbereiche Beruf und Familie konkret ausgestalten. Zu dieser Wahlfreiheit gehört – da gibt es in der Landesregierung überhaupt keinen Dissens – ein Ausbau der Betreuungseinrichtungen, damit tatsächlich Wahlmöglichkeiten bestehen. Denn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist sicher auch für das Gemeinwohl vorteilhaft. Wir brauchen eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Wir müssen das Potenzial der ausgebildeten Frauen auch volkswirtschaftlich mehr nutzen. Wir müssen aber natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass sich immer mehr junge Menschen gegen Kinder entscheiden. Indem wir Betreuungsangebote schaffen, erhoffen wir uns, dass die Entscheidung für Kinder von mehr jungen Menschen getroffen wird. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. Aber Wahlfreiheit bedeutet natürlich auch, auf die Situation der Frauen und Männer Rücksicht zu nehmen, die sich für ein anderes Modell entscheiden.

Lieber Kollege Kretschmann – er ist gerade draußen –, ich denke, wir haben bis 2013 noch ein bisschen Zeit, über diese Ausgestaltung zu diskutieren. Ich glaube, da dürfen wir auch ein bisschen fantasievoll sein, z. B. wenn wir auch die Zeit des Zuhausebleibens zum Zwecke der Kindererziehung bei der Rente besser berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Ich glaube, damit würden wir dem wesentlichen Anliegen vieler Frauen, die sich für eine kurze Auszeit entscheiden, wesentlich entgegenkommen. Da bedarf es keiner ideologischen Schwarz-Weiß-Diskussionen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Jawohl!)

sondern eines differenzierten Eingehens auf die Lebenssituation.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Keine Rol- lenspiele! Bravo!)

Es ist die öffentliche Betreuungsinfrastruktur angesprochen. Ohne Zweifel brauchen wir diese; da gibt es überhaupt keine Diskussion. Wir haben im Kindergartenbereich schon lange eine Vollversorgung an Plätzen. Es besteht mancherorts noch ein Bedarf an längeren durchgehenden Öffnungszeiten. Da muss sich noch ein bisschen das Bewusstsein durchsetzen, dass sich hier auch die Nachfrage verändert hat.

Einen Nachholbedarf haben wir – das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen – vor allem bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Aber es darf nicht übersehen werden, dass wir dank der Anstrengungen freier und kommunaler Träger, aber auch durch unsere Landesförderung in den letzten Jahren wirklich eine ganz dynamische Entwicklung der Betreuung verzeichnen konnten. Nach aktuellen Zahlen haben wir derzeit 32 000 Betreuungsplätze für Kleinkinder. Das entspricht einer Versorgungsquote von etwa 11 %.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

Wir wollen weiter – das ist auch schon angesprochen worden – bedarfsgerecht ausbauen. „Bedarfsgerecht“ heißt, dem Bedarf

vor Ort entsprechend. Da gibt es in der Tat unterschiedliche Bedarfe. Dort, wo andere Netzwerke bestehen, wo vielleicht auch familiäre Strukturen noch mehr helfen können, ist der Bedarf vielleicht nicht so groß wie in einer Universitätsstadt. „Bedarfsgerecht“ heißt, dass wir nicht starre Quoten über das Land verteilen wollen, sondern es den Kräften vor Ort überlassen wollen, entsprechend dem Bedarf auszubauen. Das Land wird diesem Ausbau mit der Förderung zur Seite stehen. Ich gehe davon aus, dass wir in der Tat bis 2013 bei einer Betreuungsquote von etwa 30 bis 35 % – unterschiedlich im Land – angelangt sind. Wenn dann weiterer Bedarf besteht, werden wir auch weiter an dieser Aufgabe arbeiten.

(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Ich möchte noch darauf hinweisen – wir haben unter TOP 1 schon darüber gesprochen –, dass das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ nicht allein an Versorgungsquoten von Kinderbetreuungseinrichtungen aufgehängt werden sollte. Das kann es nicht sein. Denn der Wunsch nach Berufstätigkeit muss natürlich auf einen Arbeitsmarkt treffen, der dann diese Arbeitskräfte auch aufnimmt. Wir haben hier in BadenWürttemberg eine hohe Frauenerwerbsquote – wir haben das vorhin schon angesprochen –, die durchweg höher liegt als im Bundesdurchschnitt. Das zeigt umso mehr, dass es nicht an der Versorgungsquote von Kinderbetreuungseinrichtungen allein liegen kann.

Vielmehr geht es – ich bin dem Kollegen Mentrup sehr dankbar, dass er dies sehr deutlich gesagt hat – um einen Mentalitätswechsel in der Wirtschaft. Denn was hilft die Betreuungseinrichtung, wenn die Frau bzw. der Mann, weil sie Mutter ist bzw. weil er Vater ist, per se keine Chance in der Wirtschaft hat? Ich denke, die Wirtschaft muss hier auch im eigenen Interesse ihren Beitrag leisten, dass Beruf und Familie unter einen Hut gebracht werden können. Wir sehen uns als Landesregierung hier in einer sensibilisierenden, moderierenden und motivierenden Rolle.

Ich kann feststellen, dass Betriebe – einfach auch aus der Not des Fachkräftemangels heraus – zunehmend ein neues Bewusstsein an den Tag legen, eine familienorientierte Personalpolitik betreiben und ein wachsendes Interesse zeigen, z. B. Betriebskindergärten einzurichten. Ich gebe zu, dass hier das Problem des Ausgleichs zwischen Wohnort und Standortkommune in manchen Fällen noch nicht gelöst werden konnte. Aber wir sind uns in der Landesregierung einig, dass letztlich, wenn die Gesetze nicht eingehalten werden, die Kommunalaufsicht eingreifen muss. Die Gesetzeslage ist in dieser Hinsicht klar.

Aber wir brauchen eben auch ein Bewusstsein in der Wirtschaft, vor allem, was flexible Arbeitszeiten und neue Arbeitszeitmodelle betrifft. Das gilt nicht nur für die Zeiten der Kindererziehung, sondern auch für die zunehmend wichtiger werdende Aufgabe der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Ein ganz wichtiger Bereich ist sicher die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung. Hier laufen einige Initiativen auch im Hochschulbereich, und zu diesem sehr wichtigen Thema wird Herr Kollege Dr. Frankenberg noch ergänzende Bemerkungen machen.

Liebe Kollegen, zwischen dem demografischen Wandel, der erstrebten Chancengleichheit von Frauen und Männern und

der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und von Beruf und Pflege bestehen in der Tat komplexe Wechselbeziehungen. Ich kann Ihnen versichern, dass die Landesregierung in dem Umfang, in dem sie hier Einfluss nehmen kann, die entsprechenden Stellschrauben beeinflussen wird und dass wir auch weiterhin an dieser Herausforderung arbeiten werden. Ich denke, dass wir das mit Erfolg tun werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Minister Professor Dr. Frankenberg für das Wissenschaftsministerium.

(Abg. Georg Wacker CDU: Der Minister lässt es sich nicht entgehen, zu den Frauen zu sprechen!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Her ren! Ich darf die Ausführungen von Frau Kollegin Stolz um Anmerkungen zum Hochschulbereich ergänzen. Ich glaube, wir alle wissen, dass wir mehr Wissenschaftlerinnen an den Hochschulen brauchen und dass für Frauen eine wissenschaftliche Karriere keine Entscheidung gegen eine Familie – und vor allem nicht gegen Kinder – bedeuten sollte. Wir wissen aber auch alle – deswegen bin ich der Anfrage des Kollegen Hoffmann dankbar –, dass die Hochschulen insgesamt für alle Berufsgruppen, einschließlich der an den Kliniken Tätigen, familiengerechter werden sollten und auch werden können.

Gerade bei der Exzellenzinitiative ist bei der dritten Förderlinie, nämlich in Freiburg, Heidelberg und Konstanz, die Frage, wie wir den Anteil von Frauen unter den Wissenschaftlern steigern können und ob wir dies wollen, ein sehr wichtiges Thema gewesen. Für die Hochschulen, die dies wollen, besteht die Frage, welche Strategien sie hierfür haben und was dies im Hinblick auf die Kinderbetreuung an Hochschulen für Studierende, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für Wissenschaftlerinnen bedeutet.

Herr Kretschmann, in Bezug auf Ihre Ausführungen zum entgangenen Gewinn

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die waren gut, oder? – Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Das war gut, Herr Minister!)

ich werde sie jetzt in einen etwas anderen, aber meiner Meinung nach wichtigeren Kontext setzen – denke ich, dass es diesen entgangenen Gewinn an den Hochschulen in zweifacher Hinsicht gibt

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

und dass wir beides vermeiden sollten. Das Erste ist, dass es nicht dazu kommen sollte, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen später beklagen müssen, dass sie die Chance, Kinder zu haben, nicht hätten nutzen können, weil die entsprechenden Bedingungen nicht gegeben waren. Es wäre ein entgangener Gewinn, der besonders schmerzen müsste, aufgrund solcher Umstände auf Kinder verzichten zu müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Der zweite entgangene Gewinn ist der Gewinn, der den Hochschulen und der Gesellschaft insgesamt entgeht. Das wäre dann der Fall, wenn wir den Gewinn nicht nutzen könnten, den herausragende Wissenschaftlerinnen für eine Hochschule bedeuten, wenn wir solche Frauen nicht berufen würden und wenn sie nicht kämen, weil entsprechende Programme oder Einrichtungen an den Hochschulen fehlten. Das wäre ein entgangener Gewinn für die Hochschulen und letztlich auch für die Gesellschaft.

Was tun wir? Wir haben ein Schlieben-Lange-Programm eingerichtet, das es vor allem Wissenschaftlerinnen ermöglicht, ihre wissenschaftliche Karriere mit eigenen Kindern fortzusetzen, und dazu verhilft, die wissenschaftliche Karriere nicht unterbrechen zu müssen. Denn es ist klar, dass dann, wenn eine Frau eine „Kinderpause“ einlegt, dies gerade in einem Beruf, in dem ständig neue Erkenntnisse gewonnen werden, zu einem Karriereknick führen muss.

Das Zweite sind Kinderbetreuungsprogramme für Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen, die wir natürlich gemeinsam mit den kommunalen Trägern einrichten müssen. Hierbei geht es nicht nur um Plätze, sondern auch um außergewöhnliche Betreuungszeiten. Wir wissen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu anderen Zeiten, aber oft auch länger arbeiten als normale Arbeitnehmer. Daher geben wir Mittel, um die Betreuungsangebote in der entsprechenden Art und Weise auszubauen. Wir richten auch zunehmend Dual-Career-Programme ein, um Wissenschaftlerpaaren – die gibt es auch immer öfter – gemeinsame Karrieren an Hochschulen zu ermöglichen.

Aufgrund der Großen Anfrage der CDU-Fraktion haben wir noch einmal in allen unseren Einrichtungen detailliert nachgefragt, wie die Kinderbetreuungssituation aussieht. Man kann sagen, dass die Studentenwerke eigentlich ausreichend Betreuungsplätze für Kinder von Studierenden zur Verfügung stellen, die drei Jahre und älter sind. Für Kinder von wissenschaftlichem Personal gibt es schon wesentlich weniger Chancen. Und das Hauptproblem – das ist ein sich durchziehendes Problem – ist die Betreuung von Kindern im Alter von unter drei Jahren. Gerade für diese Altersgruppe haben wir ein neues Programm jetzt erstmals ausgeschrieben, nämlich die Kinderbetreuung für das wissenschaftliche Personal an den Hochschulen in Baden-Württemberg. Wir haben 18 Anträge bewilligt. 247 neue Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige, vor allem für Kinder von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sind eingerichtet worden. Dabei geht es um drei wesentliche Aspekte.