Protocol of the Session on December 7, 2006

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Braun.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute in Deutschland über die Integration von Menschen mit Migrationshinter

grund sprechen, dann sprechen wir über Versäumnisse der Vergangenheit, Herausforderungen der Gegenwart und eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges. Das gilt übrigens in ganz besonderem Maße für Baden-Württemberg, denn unser schönes Bundesland ist ein Einwanderungsland par excellence,

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Weil die CDU re- giert!)

ein Umstand, den Sie von der konservativen Seite über Jahrzehnte geleugnet haben. Dennoch sprechen die Zahlen des Statistischen Landesamts für sich.

In keinem anderen Flächenland in Deutschland leben so viele Menschen mit Migrationshintergrund wie in BadenWürttemberg: 2,7 Millionen. Jeder vierte Baden-Württemberger hat einen Migrationshintergrund; bei Minderjährigen sogar jeder dritte.

Diese Menschen gehören einfach dazu, haben vielfach einen deutschen Pass und bereichern unser Land kulturell, sozial und auch im wahrsten Sinne des Wortes – sie zahlen Steuern und Sozialabgaben, arbeiten als Facharbeiter, Erzieherin, Arzt oder Pflegekraft, als Entwicklungsingenieur oder Rechtsanwältin – und tragen so zum Bruttoinlandsprodukt bei. Viele mittelständische und große Unternehmen bauen auf ihre interkulturelle Kompetenz, und oftmals sind sie selbst als Unternehmer und Arbeitgeber tätig. Dies alles ist bei uns in Baden-Württemberg Realität, aber es ist nur der schöne Teil der Realität.

Der andere Teil hat mit Ihrer jahrzehntelangen Realitätsverweigerung zu tun. Herr Rüttgers würde vermutlich von einer Ihrer Lebenslügen sprechen. Denn wer Einwanderung leugnet, braucht sich um Integration kaum zu kümmern. Die Folgen können Sie hier bei uns in Baden-Württemberg besichtigen: 7,6 % der jungen Ausländer verlassen die Schule ohne qualifizierten Abschluss.

(Abg. Hans Heinz CDU: Die wenigsten in ganz Deutschland! Das ist der geringste Anteil in Deutschland!)

36 % der jungen Migranten und 43 % der jungen Ausländer haben keine abgeschlossene Berufsausbildung – hier bei uns in Baden-Württemberg.

(Abg. Hans Heinz CDU: Kein Bundesland hat günstigere Werte! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Die anderen Bundesländer haben mehr!)

Die Erwerbslosenquote von Menschen mit Migrationshintergrund ist mit 13 % doppelt so hoch wie die der Nichtmigranten – hier bei uns in Baden-Württemberg. Das ist eine Dokumentation politischen Versagens.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg. Hans Heinz und Dieter Hillebrand CDU)

Darüber brauchen wir nicht zu streiten; das ist Realität: schwarz auf weiß belegt vom Statistischen Landesamt.

(Abg. Hans Heinz CDU: Da müssen Sie einmal den Vergleich suchen! – Zuruf des Abg. Karl Zimmer- mann CDU)

Die Frage ist: Was haben Sie daraus gelernt? Wo sind Ihre politischen Antworten? Wir wollten Ihnen die Gelegenheit geben, dies darzulegen, und haben deshalb den Antrag gestellt.

Ich muss Ihnen sagen: Die Stellungnahme ist enttäuschend. Sie haben kein Konzept. Schlimmer noch: Sie wissen noch nicht einmal, was Sie wollen.

(Abg. Hans Heinz CDU: Sie haben keine Ahnung! Das ist immer das Gleiche!)

In Ihrer Stellungnahme, Herr Minister, zählen Sie so ziemlich jedes Förderprogramm auf, an dem Sie in irgendeiner Form beteiligt sind. Ich will hier an dieser Stelle gar nicht darüber streiten, in welcher Höhe und ob das im Einzelfall so gerechtfertigt ist. Aber eines müssen Sie sich doch vorhalten lassen: Hier ein Modell und dort ein Modell, da eine Beteiligung und dort noch eine Beteiligung – das ist ein Sammelsurium, ein Flickwerk, aber kein Konzept, geschweige denn ein umfassendes, schlüssiges und nachhaltiges Integrationskonzept. Es wird den Menschen nicht gerecht, und das ist auch nicht gut für unser Land; denn wir sind nicht in der Lage, auch nur auf eine einzige Begabung verzichten zu können. Das Schlimmste ist: Dieses Sammelsurium ist sogar noch der beste Teil Ihrer Stellungnahme.

So richtig unterirdisch ist der erste Teil. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Die Frage ist ganz klar und verständlich gestellt. Ich zitiere:

… welche konkreten thematischen und inhaltlichen Schwerpunkte die Landesregierung zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik, insbesondere zum angekündigten Integrationsplan setzt und wie sie diese finanzieren wird

Klarer geht es nicht. Was für eine Steilvorlage! Das ist nahezu ein Geschenk an Sie. Jede Regierung mit einem bisschen Gestaltungswillen würde sich die Finger danach lecken. Und was machen Sie? Sie eiern herum und verstecken sich hinter dem Bund: Man könne noch keine Schwerpunkte setzen, heißt es da, man warte noch die Ergebnisse des Nationalen Integrationsplans ab, der für Sommer 2007 angekündigt sei. Anderthalb Jahre nach der Landtagswahl will die Landesregierung damit beginnen, sich Gedanken zu ihrer Integrationspolitik zu machen!

Sie verweisen auf Gremien, in denen Sie vertreten sind, aber Sie verweigern eine Aussage darüber, was Sie in diesen Gremien wollen, welche Ziele Sie dort verfolgen. Sie schicken doch nicht nur Beobachter dorthin! Haben Sie wirklich keinen Gestaltungswillen? Und das als Vertreter eines der größten Flächenländer und eines Einwanderungslandes par excellence! Herr Goll, Sie sind Integrationsbeauftragter. Sie können mit diesem Papier überhaupt nicht zufrieden sein.

Deshalb schlage ich vor: Kommen Sie nach vorn,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das wird er tun!)

und sagen Sie, was Sie wirklich wollen,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sagen Sie doch, was Sie wollen! – Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

woran es hakt und an wem es hakt. Wir helfen Ihnen – vielleicht.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Danke für das Hilfsangebot!)

Klar ist auf jeden Fall: Integration ist eine Herausforderung der Gegenwart und eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges. Das Parlament muss sich dieser Aufgabe verstärkt zuwenden. So wie bisher darf es nicht weitergehen. Deshalb fordern wir Sie auf und werden dies auch beantragen, dem Parlament jährlich einen Integrationsbericht vorzulegen, der hier zu debattieren ist.

Über die Handlungsfelder, die zu bearbeiten sind, werde ich in der nächsten Runde sprechen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Werner Wölfle GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Föll.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Der ist heute noch nicht im Landtag integriert! – Gegenruf der Abg. Ute Vogt SPD: Was? Der arme Herr Föll? – Abg. Klaus Herrmann CDU zu Abg. Karl Zimmermann CDU: Wen hast du gemeint? – Abg. Karl Zimmer- mann CDU: Ach so, das kam ein bisschen spät! Ich meinte natürlich Herrn Braun!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Integration von Migranten ist ganz ohne Zweifel eines der Schlüsselthemen für das gute Zusammenleben der Menschen in unserem Land, insbesondere natürlich in unseren Städten, wo ja der Anteil der Migranten besonders hoch ist. Allein in der Landeshauptstadt Stuttgart haben 34 % der Einwohner einen Migrationshintergrund; bei den unter 25-jährigen sind es über 40 %.

Das Bild allerdings, das Sie gezeichnet haben, Herr Kollege Braun, ist ein Bild, das bei Weitem nicht der Wirklichkeit entspricht.

(Abg. Stephan Braun SPD: Das sagt das Statisti- sche Landesamt, Herr Kollege!)

In diesem Land und in den Städten dieses Landes funktioniert die Integration Tag für Tag im Großen und Ganzen. Das ist die Realität; hunderttausendfach funktioniert sie Tag für Tag in diesem Land.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Genau!)

Nicht ohne Grund hat beispielsweise die Landeshauptstadt 2003 den UNESCO-Preis „Cities for Peace“ für die vorbildliche Integrationspolitik erhalten. Dies ist eine Gemeinschaftsleistung von Stadt und Land, so wie auch die übrigen Städte und Gemeinden in diesem Land gemeinsam mit dem Land Integrationspolitik betreiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Natürlich gibt es Handlungsfelder. Das ist doch überhaupt keine Frage, und das will doch auch niemand in Abrede stellen. Natürlich ist die Veröffentlichung des Statistischen Landesamts, wonach 36 % der jungen Migranten nicht über

eine berufliche Ausbildung verfügen, ein Zeichen dafür, dass es Handlungsfelder gibt. Das ist ganz ohne Zweifel wahr. Aber das ist zunächst einmal eine Rückschau in die Vergangenheit. Es zeigt natürlich nicht auf, was das Land Baden-Württemberg gemeinsam mit den Städten und Gemeinden in den vergangenen Jahren bereits an großen Anstrengungen unternommen hat, um die Integration von Migranten zu verbessern.

Ich will vier Beispiele nennen:

Da ist zunächst einmal die Sprachförderung, das Erlernen der deutschen Sprache, sowohl in den Schulen als auch in den Kinderbetreuungseinrichtungen, die vom Land aktiv angegangen und von den Städten und Gemeinden in diesem Land aufgegriffen und umgesetzt wird.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das läuft doch aus!)

Da ist der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung,

(Zuruf des Abg. Stephan Braun SPD)

der dieses Thema aufgreift. Auch das Konzept „Schulreifes Kind“ greift diese Thematik auf, nicht zuletzt auch im Bereich derer, die über unzureichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Das sind Migranten, aber es sind nicht nur Migranten; auch dies muss man, glaube ich, in aller Offenheit sagen.

(Glocke der Präsidentin)