Protocol of the Session on November 9, 2006

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Letztes Stichwort: Bleiberechtsregelung für geduldete Ausländerinnen und Ausländer, eher bekannt unter „Altfallregelung“. Dass sie kommen muss, darüber sind wir uns in diesem Haus inzwischen einig. Wir meinen darüber hinaus, wir alle sollten eines – ungeachtet einiger Stimmen aus verschiedenen politischen Lagern – akzeptieren: dass nämlich ein dauerhaftes Bleiberecht für Migrantinnen und Migranten mit einer Arbeitserlaubnis verbunden sein muss, und zwar zwingend.

Sie, Herr Minister, sagten der Zeitung „Die Welt“ vor zwei Wochen:

Wer bei uns bleiben will, muss sich selbst ernähren können.

Aber dann muss man auch dafür sorgen, dass er arbeiten darf. Deshalb fordern wir Sie auf, sich für diese Arbeitserlaubnis einzusetzen. Die Innenministerkonferenz muss hier in den nächsten Tagen zu einer tragfähigen und endgültigen Lösung kommen.

Bis diese Regelung allerdings in Kraft tritt, vergeht noch Zeit. Manche, die dann unter die Altfallregelung fallen würden, sind bis dahin von Abschiebung bedroht. Das betrifft beispielsweise Familien, deren Kinder hier geboren und aufgewachsen sind, oder Eltern, die zum Teil gut integriert sind, die sich ehrenamtlich, bürgerschaftlich für andere einsetzen. Beispiele dazu haben Sie vorhin gehört. Sie abzuschieben würde diesen Menschen nicht gerecht. Sie abzuschieben wäre auch politisch widersinnig, wenn sie schließlich ohnehin unter die Altfallregelung fallen würden.

Deshalb fordern wir Sie, Herr Minister, erneut auf: Stoppen Sie die Abschiebung derer, die nach Inkrafttreten der Altfallregelung ohnehin unter diese fallen würden. Darum bitten wir Sie herzlich. Wir stimmen dem Antrag Drucksache 14/506 zu.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Das Wort erhält Herr Abg. Kluck.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bis der Änderungsantrag jetzt auf den Tisch kam, war mir nicht ganz klar, Herr Kollege Wölfle, was die Grünen eigentlich mit diesem Antrag bezweckten. Ich habe damit immer noch ein bisschen Schwierigkeiten. Denn was beim Arbeitsmarktzugang von geduldeten Flüchtlingen nicht klappt, das haben die frühere rot-grüne und die jetzige schwarz-rote Bundesregierung zu verantworten. Kritik an der Landesregierung ist da völlig unangebracht.

Wir teilen die Auffassung der Grünen, dass es durch das sogenannte One-Stop-Government nicht besser geworden ist.

(Das für den Vorredner bereitgestellte Wasserglas wird vom Rednerpult genommen.)

Das war eine gute Idee. Danke, ich trinke kein Wasser.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen – Vereinzelt Bei- fall – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Er ist wenigs- tens ehrlich! – Abg. Reinhold Gall SPD: Probieren Sie doch erst einmal! Sie wissen gar nicht, was drin ist! – Abg. Stephan Braun SPD: Nicht jedes Wäs- serle ist Wasser!)

Dieses Verfahren der Vernetzung wurde ja eingeführt, um das alles zu erleichtern, damit es schneller geht. Es hat das Gegenteil bewirkt. In der Tat, das funktioniert nicht. Sogar dann, wenn jemand in einem Betrieb tätig ist und dort eine andere Aufgabe übernimmt, müssen die Akten wieder ans Ausländeramt zurück. Das ist völlig unsinnig. Diese Akten werden zwischen Ausländerbehörden und der Agentur für Arbeit hin- und hergeschickt. Die Verfahrensdauer, die man damit eigentlich verkürzen wollte, ist dann mindestens gleich lang.

(Dem Redner wird ein Glas Mineralwasser ans Rednerpult gestellt. – Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt trinken Sie ein Bier!)

Das Bundesinnenministerium will aber daran festhalten. Darauf haben wir keinen Einfluss. Beschweren Sie sich darüber also bitte in Berlin.

(Abg. Stephan Braun SPD: Es gibt doch eine In- nenministerkonferenz, oder nicht?)

Die FDP/DVP-Fraktion wird dem Änderungsantrag Drucksache 14/506 der Fraktion GRÜNE nicht zustimmen. Unser Innenminister hat mehrfach erklärt, dass er eine sinnvolle Bleiberechtsregelung anstrebt. Wir werden ihn gegebenenfalls daran erinnern. Aber eines Parlamentsbeschlusses dazu bedarf es nicht.

Die von den Grünen begehrte generelle Aussetzung der Abschiebung halten wir für nicht sachgerecht. Wir haben ja die Härtefallkommission, die eine sehr gute Arbeit leistet. Das möchte ich hier auch einmal sagen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Sie berücksichtigt auch humanitäre Gesichtspunkte.

(Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Sie hat bisher in allen schwierigen Fällen wirklich vernünftige Entscheidungen gefällt, die dann auch vom Innenministerium in die Tat umgesetzt wurden. Dafür möchte ich noch einmal ausdrücklich Danke sagen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die FDP/DVP-Fraktion ist auch der Auffassung, dass das Vorrangprinzip beim Zugang zum Arbeitsmarkt grundsätzlich Bestand haben muss. Freie Arbeitsplätze müssen zuerst Deutschen und EU-Bürgern angeboten werden, bevor sie von anderen wahrgenommen werden können.

Allerdings wird § 11 der Beschäftigungsverfahrensverordnung – das ist auch ein schreckliches Wort – unserer Meinung nach zu restriktiv gehandhabt. Er regelt, in welchen Fällen die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung versagt werden kann. Für uns ist klar, dass Betrug, Täuschung, Passvernichtung und Ähnliches nicht durch eine Arbeitserlaubnis belohnt werden dürfen. Aber wir dürfen die Hürden auch nicht zu hoch aufbauen, weil das zu Mehrkosten für den Staat, für die Sozialsysteme und nicht selten natürlich zu einer Zunahme der Schwarzarbeit führt. Außerdem würden zumindest manche dieser Jobs, die Ausländer machen, von Deutschen oder EU-Bürgern sowieso nicht ausgeübt.

Wir begrüßen das Vorhaben der Innenministerkonferenz, endlich eine aufenthaltsrechtliche Lösung für langjährig in Deutschland lebende Kinder und ihre Familienangehörigen sowie für Alleinstehende, die lediglich geduldet sind, zu beschließen. Die mit dem Zuwanderungsgesetz – damals noch unter Ihrer Ägide gemacht – verbundene Hoffnung auf eine aufenthaltsrechtliche Klärung für diese Menschen hat sich leider nicht erfüllt. Das hat der Evaluierungsbericht vom Juli bestätigt. Als die Bundesregierung ihn in Auftrag gab, hat sie gleichzeitig eine Regelung für diesen Personenkreis angekündigt. Auf die warten wir jetzt. Immerhin handelt es sich um etwa 190 000 Geduldete, von denen etwa 100 000 schon seit mehr als sechs Jahren in Deutschland sind, die also eventuell unter eine solche Regelung fallen würden.

Wir Liberalen wollen eine Regelung, die einem großen Teil dieser Personengruppe einen gesicherten Aufenthaltstitel gibt. Er muss den vollwertigen Zugang zu Ausbildung, Studium, Arbeitsmarkt und Integrationsförderung sicherstellen. Dabei darf es keinen Ausschluss von Flüchtlingen aus bestimmten Ländern – da gibt es solche Bestimmungen wie die, dass ein Iraker nicht darunter fällt, und Ähnliches – geben.

(Abg. Stephan Braun SPD: Was tun Sie dafür?)

Aber klar ist, dass auch wegen der regional unterschiedlichen Arbeitsmarktlage und der Nachrangigkeit des Zugangs zur Erwerbstätigkeit bei Geduldeten für den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts eine angemessene Frist gewährt werden muss. Dabei ist entscheidend, dass die Arbeitsaufnahme bundesweit und ohne Vorbedingung ermöglicht wird.

Es wird Ausschlussgründe geben – das ist richtig –, z. B. bei kriminellen Handlungen. Wir sind aber der Meinung, dass Straftaten, die nur Verstöße gegen das Ausländerrecht beinhalten, also das versehentliche Verlassen des Duldungsbereichs, nicht herangezogen werden dürfen.

(Abg. Stephan Braun SPD: Was tun Sie dafür, dass es so wird?)

Auch bei selbst verschuldeter Aufenthaltsdauer wollen wir Kindern, die ausschließlich bei uns zur Schule gegangen sind, im Interesse des Kindeswohls ein Bleiberecht ermöglichen. Jetzt ist der Bundesinnenminister in der Pflicht, endlich einen Kompromiss herbeizuführen. Noch einmal: Die FDP/DVP-Landtagsfraktion unterstützt eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge, die sozial

und wirtschaftlich integriert sind, und das gilt ganz besonders für Kinder und Jugendliche.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Seid ihr jetzt an der Regierung oder nicht?)

Das Wort erhält Herr Innenminister Rech.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Kluck, um eines, mit Verlaub, gleich vorweg zu sagen: Bei der Frage Bleiberechtsregelung, Altfallregelung ist jetzt zunächst nicht der Bundesinnenminister in der Pflicht, denn der ist, wie er selbst immer wieder betont, Gast in der Innenministerkonferenz. Das heißt, die Innenminister müssen jetzt sagen, was sie wollen. Die Innenminister – das ist die hohe Hürde – müssen sich einigen – also Einstimmigkeitsprinzip. Deswegen wage ich nicht vorherzusagen, wie es ausgeht. Ich kann zu dieser Frage die Position Baden-Württembergs deutlich machen, und das tue ich auch. Viele der Vorstellungen, die wir in unserem Eckpunktepapier eingebracht haben, sind übrigens in die Beratung der Innenministerkonferenz schon eingeflossen. Deswegen können wir auch im Grundsatz zustimmen. Man muss schauen, was noch an Einzelheiten besprochen wird. Ich denke jedoch, wir sind auf einem guten Weg, und ich bin zuversichtlich. Aber, wie gesagt, die Innenminister der Länder müssen jetzt einen Knopf dran machen, Herr Kollege Kluck.

Ich komme vielleicht hinterher noch mit zwei, drei Sätzen auf die Bleiberechtsregelung zurück.

Aber zurück zum Thema. Die Frage des Zugangs von Geduldeten zum Arbeitsmarkt hat ja eine lange Geschichte. Das ist auch in rechtlicher Hinsicht eine komplizierte Materie. Aber wir müssen uns dieser Sisyphos-Arbeit stellen, weil es in der Tat um Menschen geht. Da ist eine auf dem Papier sehr trockene Materie aller Mühen wert, damit wir zu gerechten Regelungen kommen. Diese Frage hat eine lange Geschichte und war auch ständig einem Wechsel unterworfen.

Ich will es ganz kurz darstellen. Bis 1991 hatten wir eine Wartezeit von fünf Jahren. Die wurde zunächst auf ein Jahr verkürzt und später ganz aufgehoben. Im Herbst 1994 wurde die Regelung wieder eingeführt. Ab Juni 1997 war neu einreisenden Asylbewerbern und geduldeten Ausländern der Zugang zum Arbeitsmarkt völlig verwehrt. Begründet wurde dies, nebenbei bemerkt, damit, dass die begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten nur noch solchen Arbeitnehmern zur Verfügung stehen sollten, die bereits dem inländischen Arbeitsmarkt angehörten oder ein Zugangsrecht wie EU-Arbeitnehmer hatten. Dann im Dezember 2000 wurde Geduldeten wiederum nach einer Wartezeit von einem Jahr der Zugang zum Arbeitsmarkt eingeräumt. In den letzten Jahren ist es da also wirklich hin- und hergegangen.

Jetzt zum Zuwanderungsgesetz. Wie es der Bundestag zunächst Anfang des Jahres 2002 und dann nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal Anfang 2003 beschlossen hatte, war eine Arbeitsaufnahme für Geduldete überhaupt nicht vorgesehen. Dem Entwurf des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily lag nämlich die Überlegung zugrunde, dass kein Bedarf für einen Arbeitsmarktzu

(Minister Heribert Rech)

gang von Geduldeten besteht, da denjenigen, die weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden können und dies auch nicht selbst zu vertreten haben, die Möglichkeit eingeräumt wurde, einen Aufenthaltstitel zu erwerben. Diejenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen und folglich keinen Aufenthaltstitel erhalten können, sollten auch nicht arbeiten dürfen. Sie sollten vielmehr ihrer Ausreisepflicht nachkommen. Das war die Überlegung.

Nach der geltenden Regelung in der Beschäftigungsverfahrensverordnung – so heißt sie, Herr Kollege Kluck, ich habe auch meine Schwierigkeiten damit – ist ebenso wie nach altem Recht ein Arbeitsmarktzugang von Geduldeten nach einjährigem Aufenthalt dann möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die ich jetzt aufzählen will: wenn sie sich nicht nach Deutschland begeben haben, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, wenn sie es nicht zu vertreten haben, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihnen nicht vollzogen werden können, und wenn die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen einer sogenannten Vorrangprüfung festgestellt hat, dass sich durch die Beschäftigung keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben und deutsche Arbeitnehmer sowie bevorrechtigte ausländische Arbeitnehmer für die Beschäftigung nicht zur Verfügung stehen – so die komplizierte Formulierung und so die Rechtslage.

Genau so wird in Baden-Württemberg verfahren. Die Ausländerbehörden wurden über den Inhalt der Regelungen ausführlich informiert, meine Damen und Herren, und Bedarf für weitere Klarstellungen gibt es danach nicht.

Die Regierungspräsidien berichten uns – das deckt sich auch mit unseren eigenen Erfahrungen –, dass es ein Trugschluss sei, zu glauben, dass durch eine erleichterte Zulassung von Geduldeten zum Arbeitsmarkt öffentliche Mittel eingespart werden könnten. Zunächst klingt das ja sehr plausibel – auf den ersten Blick. Durch eine Änderung der Zulassungspraxis erhöht sich aber nicht die Zahl der Arbeitsplätze. Konkret heißt das: Der Geduldete, dem die Arbeitsaufnahme nicht erlaubt wird, bezieht zwar weiterhin öffentliche Unterstützung, aber an seiner Stelle erhält – häufig jedenfalls – ein anderer den Arbeitsplatz, der nun seinerseits keine öffentlichen Unterstützungsleistungen mehr benötigt. Geduldete im Rahmen der Vorrangprüfung mit Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis gleichzustellen würde eine Änderung der Beschäftigungsverfahrensverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales voraussetzen.

Ich selbst kann eine solche Änderung allerdings auch nicht befürworten. Wer die Abschaffung des Vorrangprinzips für Geduldete nach vier Jahren Aufenthalt fordert – denn darauf würde die Änderung letztlich hinauslaufen –, soll auch ganz klar sagen, was das bedeutet. Er soll sagen, dass damit der Weg dafür frei gemacht würde, dass dauerhaft hier ansässige Arbeitnehmer von Geduldeten aus ihren Arbeitsplätzen verdrängt werden können. Gerade bei Beschäftigungen mit geringen Qualifikationsanforderungen, um die es hier in erster Linie geht, kann dies nicht in Betracht kommen.

Noch eine Anmerkung zu dem von Ihnen, Herr Kollege Kluck, zitierten One-Stop-Government – ich würde es ein

mal als „Verwaltung aus einer Hand“ übersetzen. Zur Erläuterung, meine Damen und Herren: Das Verfahren für die Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung ist durch dieses One-Stop-Government natürlich nicht gerade einfacher geworden; das müssen wir einräumen. Früher musste sich ein Geduldeter, der arbeiten wollte, an die Arbeitsagentur wenden. Von dort hat er dann die Erlaubnis bekommen, zu arbeiten – oder eben auch nicht. Heute muss er zunächst zur Ausländerbehörde, die dann bei der Arbeitsagentur anfragt und ihm schließlich die Antwort der Arbeitsagentur übermittelt, sobald sie ihr vorliegt.

Aber man muss auch Folgendes sehen: Das One-Stop-Government ist eine der zentralen Neuerungen, die das Zuwanderungsgesetz eingeführt hat, und es ist schon verständlich, wenn sich der Bund davon jetzt nicht schon wieder so ohne Weiteres verabschieden möchte, sondern sich im Evaluierungsbericht dafür ausspricht, zunächst die Möglichkeiten für eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Ausländerbehörden und den Arbeitsagenturen, insbesondere durch verstärkten EDV-Einsatz, auszuschöpfen. Das liegt ja nahe. Ich glaube also nicht, dass der Bund jetzt schon bereit ist, hier grundsätzlich über Neuerungen nachzudenken, sondern dass er zunächst einmal an eine Verbesserung des Verfahrens denkt.