Protocol of the Session on November 8, 2006

Das ist jetzt sicherlich nicht das einzige Argument. Ein weiteres Argument: Alle Länder um uns herum haben signalisiert oder setzen dies schon um – es wird ja wieder kritisiert, wir seien zu spät dran – –

(Abg. Alfred Winkler SPD: Das war ein Noll-Ar- gument!)

Baden-Württemberg hat Grenzen nicht nur zu anderen Nationalstaaten, sondern auch zu anderen Bundesländern. Die Bewohner dieser Grenzregionen zwingen wir ja möglicherweise, jenseits unserer Landesgrenzen einzukaufen, wenn sie außerhalb der bei uns geltenden Ladenöffnungszeiten einkaufen möchten. Auch da sind wir keine Insel.

Wir hören auf die Menschen.

(Abg. Ute Vogt SPD: Auf die Beschäftigten sollte man hören!)

Ja, zu diesen Menschen gehören die Kunden, die Beschäftigten und die Ladeninhaber. Sie alle sind für uns wichtig. Deswegen setzen wir uns auch mit allen Argumenten seriös auseinander.

Schon der Titel Ihres Gesetzentwurfs, „Ladenschlussgesetz“, unterscheidet sich deutlich vom Titel unseres Gesetzentwurfs, der nämlich lautet: „Gesetz zur Ladenöffnung“.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Rudolf Haus- mann SPD: Ja, toll! – Abg. Reinhold Gall SPD: Ganz toll! Diese Leistung war bestimmt Ihre Idee!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal:

(Abg. Reinhold Gall SPD: Ich wäre schon froh, wenn ich jederzeit zum Zahnarzt könnte! Die meis- ten Praxen haben dann nämlich geschlossen!)

Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu folgender Einsicht zu gelangen: Geschäfte macht ein Selbstständiger, ein Unternehmer nur dann, wenn er sein Geschäft offen hält, und nicht dann, wenn er es geschlossen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Rein- hold Gall SPD)

Das wissen Einzelhändler übrigens auch – ich sage das, weil Sie immer auf die Familienbetriebe abheben. Es gibt viele in Familienbetrieben ausgeübte Handwerksberufe, deren Angehörige schon immer wussten, dass es nicht ausreicht, wenn sie abends schon um 18 Uhr den Schlüssel umdrehen. Sie wissen vielmehr, dass sie, wenn sie unternehmerisch tätig sind, nicht die Arbeitszeiten haben, die ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin hat.

Wir nehmen das ernst, aber wir müssen, wenn wir immer wieder Freiheit für unternehmerisches Handeln einfordern, schon auch sagen: „Ja, wir geben euch und Ihnen jetzt diese Freiheit. Wir geben auch den Kunden die Freiheit, zum Einkaufen zu gehen, wenn ihrer Meinung nach der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.“

Noch einmal – und auch in dieser Hinsicht sind wir in einer Gesellschaft, die eine andere ist, als sie es zum Zeitpunkt der Ladenschlussgesetzgebung des Bundes möglicherweise war –:

(Abg. Alfred Winkler SPD meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Heute gibt es im Grunde genommen ganz andere Möglichkeiten. Denken Sie etwa an Tankstellen und alle möglichen anderen Einrichtungen, bei denen die Kunden sozusagen mit den Füßen abstimmen. Gerade das bringt doch die Wettbewerbsverzerrung, die unserem Einzelhandel dann massiv schadet.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Glocke des Präsidenten – Abg. Reinhold Gall SPD: Da wird doch gar nicht abgestimmt!)

Herr Kollege Dr. Noll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Winkler?

Nein, jetzt nicht. Eine Nachfrage darf er dann stellen, wenn ich meine Ausführungen beendet habe.

(Zuruf von der SPD)

Wenn Sie dann beim Thema Ladenöffnung wieder von „Konsumterror“ reden, dann verstehe ich nicht, warum Sie gleichzeitig immer die lahmende Binnenkonjunktur kritisiert haben.

(Abg. Ute Vogt SPD: Die Leute haben doch nicht mehr Geld! Sie geben doch nicht mehr Geld aus, wenn länger geöffnet ist!)

Irgendwo muss man sich einmal entscheiden, ob man das wirklich für „Konsumterror“ hält, wenn eine Stadt eine LateNight-Shopping-Aktion durchführt, damit die Leute die Stadt beleben und mit ihren Familien einkaufen gehen können.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das ist doch sowieso nur Kruscht, was die kaufen! Da kauft man doch bloß Kruscht aus Taiwan! – Zurufe und Unruhe)

Ja, gut, wenn Sie sagen, alles, was die Leute beim LateNight-Shopping kaufen, sei Kruscht, dann sind Sie wohl wieder der Gutmensch, der sagt: „Wir müssen die Menschen davor schützen, Kruscht einzukaufen.“ Das ist aber nicht unsere Sicht der Dinge, sondern wir meinen, diese Bewertung sollte man den Menschen überlassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Ute Vogt SPD: Die können doch das Geld auch nur einmal ausgeben!)

Wir sollten auch denen, um die es geht, wenn sie Waren anbieten, die Freiheit geben, nicht nach Belieben des Gemeinderats der jeweiligen Kommune zu entscheiden,

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Es geht jetzt nur um das Binnenkonjunkturargument!)

wann sie ihre Waren oder Dienstleistungen anbieten dürfen, sondern – und da sehe ich die Chance – daran zu arbeiten, dass man zu mehr Miteinander kommt, damit man sich vor Ort branchenbezogen abstimmt. Das muss auf freiwilliger Basis geschehen,

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Das kann man auf kommunaler Ebene am besten!)

denn es gibt unterschiedliche Branchen. Vermutlich kauft man morgens um sechs kein Goldcollier, während der Juwelier dann abends um 22 Uhr tatsächlich Kunden erwartet.

Lasst uns doch da mehr Freiheit!

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Aber wo? Ich wäre schon froh, wenn ich sonntags zum Zahnarzt gehen könnte!)

Das Thema Arbeitnehmerschutz ist selbstverständlich an anderer Stelle geregelt. Das ist bei den Arbeitszeiten in Tarifverträgen geregelt. Übrigens: Gerade die großen Ketten werden möglicherweise mehr Schwierigkeiten haben – sie müssen sich mit dem Betriebsrat auseinandersetzen –, diese Möglichkeiten zu nutzen. Da sehe ich wiederum die Chance, dass kleinere Unternehmen Nischen besetzen können. Lassen Sie uns das doch auch als Chance sehen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Thema „Familie und Beruf“: Was ist denn so schlimm daran, wenn der Vater abends daheim ist und die Frau dadurch die Chance hat, noch etwas hinzuzuverdienen?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Jetzt sagen Sie: Die sollen abends immer gemeinsam zu Hause sein. Das ist doch nicht mehr die Realität, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Noll, kommen Sie bitte zum Ende.

Ja, ich komme zum Ende und lasse dann noch die Nachfrage zu.

Der Sonntagsschutz ist uns genauso wichtig. Er hat Verfassungsrang. Daher haben wir im Sinne eines Kompromisses, mit dem wir einerseits Kunden und Anbietern Freiheit geben wollen und nicht regulieren wollen, wer wann welchen Kruscht oder auch nicht Kruscht kauft, sondern denen das freistellen wollen, aber andererseits beim Sonntagsschutz zum Verfassungsgebot stehen, eine gewisse Einschränkung vorgesehen, die aber in der Realität überhaupt keine Auswirkung hat. Denn mir persönlich ist keine Kommune bekannt, die in der Vergangenheit vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr für die ganze Stadt zugelassen hat,

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Bis zu vier! – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Die haben das alle nicht gele- sen!)

sondern in aller Regel reichen zwei bis ausnahmsweise drei verkaufsoffene Sonntage aus, um den Interessen der Händler und der Gewerbe- und Handelsvereinigungen vor Ort gerecht zu werden. Wir wollen also einerseits den Schutz des Sonntags wahren, aber andererseits Flexibilität ermöglichen und nicht zu sehr einengen.

Letzte Bemerkung: Wer von Deregulierung redet, darf nicht einen solchen Gesetzentwurf vorlegen. Ich möchte ein Beispiel bringen. Da steht z. B. drin, einen Warenautomaten, der „in räumlichem Zusammenhang“ zu einer Verkaufsstelle aufgestellt ist – also z. B. ein Blumenautomat bei einem Blumengeschäft –, darf ein Mitarbeiter grundsätzlich nicht außerhalb der für diese Verkaufsstelle geltenden Öffnungszeiten befüllen.

(Abg. Ute Vogt SPD: Da können Sie einen Ände- rungsantrag stellen! Den nehmen wir an!)

Wenn der Automat aber am Friedhof steht, dann darf der Mitarbeiter selbstverständlich von seinem Arbeitgeber gezwungen werden, außerhalb der Öffnungszeiten diesen Automaten am Friedhof zu befüllen.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Am besten wären Blumenautomaten in der Wüste, weil es dort keine Blumen gibt!)

Das ist nur ein kleines Beispiel für Überregulierung pur, die Sie in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben haben.

Noch einmal: Die Zeiten haben sich geändert. Niemand muss rund um die Uhr seinen Laden geöffnet haben, niemand muss rund um die Uhr einkaufen.