Meine Damen und Herren, Herr Präsident, nach den ersten Ergebnissen der PISA-Untersuchung 2003 ist zu diesem Thema für heute von der CDU-Fraktion eine Aktuelle Debatte beantragt worden. In Baden-Württemberg ergriffene Maßnahmen sind unter anderem erstens die Einführung von Bildungsstandards als Mindestanforderungen. Hier haben wir eine Vorreiterrolle eingenommen. Ebenso haben wir beim Sprachförderprogramm im Vorschulalter mit der Sprachstandsdiagnose eine Vorreiterrolle eingenommen.
Sie haben doch von 1992 bis 1996, als Sie an der Regierung beteiligt waren, gar nichts hinbekommen. Das wollen Sie ja immer wieder zudecken.
Ja, die Wahrheit wollen Sie nicht hören; das ist mir schon klar, weil die für Sie nicht positiv ist. – Das, was wir hier neu eingeführt und bei dem wir auch eine Vorreiterrolle eingenommen haben, entspricht den von der KMK aufgrund der PISA-Ergebnisse gemeinsam entwickelten Handlungsfeldern. Einiges daraus, zum Beispiel die Stärkung der Kernfächer Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften, hatten wir bereits vorher in Angriff genommen.
Der neue Ländervergleich zeigt, meine Damen und Herren: Baden-Württemberg hat sich in allen Bereichen verbessern können,
die anderen Länder allerdings erfreulicherweise auch, und manche davon konnten sich sogar stärker verbessern als Baden-Württemberg. In drei der vier untersuchten Kompetenzfelder hat sich Sachsen zwischen Bayern und BadenWürttemberg geschoben,
Wichtig ist für mich: Das schlechtere Abschneiden BadenWürttembergs gegenüber Bayern und Sachsen resultiert wiederum vor allem aus einem größeren Anteil von Schülern im unteren Leistungsbereich.
Im internationalen Vergleich bestimmt dies auch das Gesamtbild der deutschen Schulen. Alle Bundesländer – ich betone: alle – haben Nachholbedarf bei der Förderung der Leistungsschwächeren. Der Zusammenhang mit dem Thema „soziale Herkunft“ ist offenkundig. Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist nicht nur in der Spitze schlechter, sondern auch und gerade im Hinblick auf die Förderung der Leistungsschwachen. Baden-Württemberg hat in diesem Bereich besondere Maßnahmen ergriffen. Es ist aber gerade völlig ausgeschlossen, dass sich diese Maßnahmen bereits beim heutigen PISA-Befund auswirken könnten. Sprachlich geförderte Kindergartenkinder haben erst in zehn oder elf Jahren das so genannte PISA-Alter, also das Alter von 15 Jahren, erreicht. Für die Wirkung von Bildungsstandards gilt Ähnliches.
Die bei PISA 2003 festgestellten Kompetenzzuwächse zeigen, dass Bildungsergebnisse auch in relativ kurzen Zeiträumen verbessert werden können.
Gewisser Stolz besteht darauf, dies durch die PISA-Untersuchungen bewirkt bzw. ausgelöst zu haben; dies klingt an anderen Stellen noch deutlicher an.
Größte Vorsicht ist allerdings geboten, meine Damen und Herren, wenn solche Verbesserungen auf PISA zurückzuführen sind. Worauf ist dann zum Beispiel zurückzuführen, dass sich eine Reihe von OECD-Ländern gleichzeitig zum Teil deutlich verschlechtert haben? Bei der Lesekompetenz hat sich der internationale Mittelwert sogar nach unten verschoben. Hier und auch an vielen anderen Stellen besteht noch großer Klärungs- und großer Erklärungsbedarf. In einigen Punkten hängt dies vor allem damit zusammen, dass wir aus den bekannten politischen Gründen bislang nur einen Vor- oder Teilbericht vorliegen haben; Herr Zeller hat darauf hingewiesen. Gerade die Daten, die zu einer Erklärung der zwischen den Ländern beobachteten Unterschiede beitragen können, werden erst am 3. November vorgelegt.
Trotzdem sind von allen Seiten schon wieder die bekannten Rezepte zu hören gewesen. Manfred Prenzel, Leiter des deutschen PISA-Konsortiums, hat ausdrücklich davor gewarnt, meine Damen und Herren, die Bedeutung des Schulsystems und der Dauer des gemeinsamen Lernens für den Erfolg der Schüler zu überschätzen.
Jedes Land muss seinen Weg finden, Herr Zeller. Aber wenn Sie es besser wissen als Herr Prenzel, dann bitte schön!
Okay, das will ich ja nicht bestreiten. – Der Weg, den Baden-Württemberg eingeschlagen hat, ist daher ein richtiger Weg. Die neuen Befunde bekräftigen dies eindeutig. Die eingeleiteten Reformvorhaben werden greifen, meine Damen und Herren. Insbesondere hinsichtlich der frühen, vor allem sprachlichen Förderung sind allerdings noch gewisse Verbesserungen erforderlich.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die gute Nachricht nach dem Ländervergleich zu PISA 2003 ist doch, dass kein Land zurückgefallen ist und dass sich die Unterschiede zwischen den Ländern nicht vergrößert haben, sondern tendenziell eher kleiner werden. Vor allem haben solche Länder zugelegt, die bei PISA I sehr schlecht abgeschnitten hatten und weit unter dem OECD-Durchschnitt lagen. Darüber, meine Damen und Herren,
können wir uns im Interesse der Schüler und Schülerinnen dieser Länder, deren Lebenschancen und berufliche Chancen sich dadurch auch verbessern, doch freuen.
Wir dürfen allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass die Kompetenzzuwächse der deutschen Schüler und Schülerinnen im internationalen Vergleich weitgehend darauf zurückzuführen sind, dass die Leistungen der schwächeren Schüler am Gymnasium besser geworden sind, während die Leistungen der Schüler und Schülerinnen an Hauptschulen gleich geblieben sind – also gleich schlecht – bzw. sich eher noch verschlechtert haben. Das muss doch bei Ihnen, meine Damen und Herren, als Anhängern des dreigliedrigen Schulsystems die Alarmglocken klingeln lassen!
Bedenklich ist auch, das Baden-Württemberg im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern keine nennenswerten Leistungszuwächse zu verzeichnen hat. Sachsen ist an BadenWürttemberg vorbeigezogen; Thüringen und Sachsen-Anhalt haben Baden-Württemberg fast eingeholt. Das sind auch Länder – zum Beispiel Thüringen –, die sich längst aus der Dreigliedrigkeit verabschiedet haben. Aus dem Besuch des Schulausschusses in Thüringen wissen wir, dass die dortige Regionale Schule, ein Zusammenschluss von Hauptschule und Realschule, sehr gut ankommt, angenommen wird und ganz offensichtlich gute Leistungen hervorbringt.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Tatsache, aber auch der Tatsache, dass Baden-Württemberg mit den Mathematikleistungen international auf Platz 13 liegt und in der Lesekompetenz auf Platz 9, mutet es schon etwas eigenartig an, dass Kultusministerin Schavan davon spricht, wir würden in wenigen Jahren an der Weltspitze sein. Ihr Wunsch und ihr Drang, immer am besten und immer die Erste zu sein, zeugen hier wirklich von einem mangelnden Realitätssinn.
(Abg. Wacker CDU: Das ist doch gerade Ihre For- derung! – Abg. Alfred Haas CDU: Was ist daran denn falsch?)
Meine Damen und Herren, wenn ich die Frage, wo BadenWürttemberg im internationalen Vergleich steht, kurz und prägnant beantworten will, dann kann ich das mit der „Zeit“-Etikettierung tun. Die „Zeit“ hat in einem Schaubild dargestellt: Baden-Württemberg: „gut“ und „ungerecht“. Gut, weil mit den Leistungen im internationalen Maßstab durchaus mitgehalten werden kann; ungerecht, weil in Baden-Württemberg in ganz extremer Weise die soziale Herkunft mit dem Bildungserfolg und dem Kompetenzgewinn der Schüler zusammenhängt. Das heißt doch, die fehlende
soziale Gerechtigkeit ist das Kernproblem der baden-württembergischen Bildungspolitik. Das zieht sich wie ein schwarzer Faden auch durch die zehnjährige Amtszeit von Kultusministerin Schavan.
Ich frage Sie: Ist es sozial gerecht, wenn in Baden-Württemberg ein Kind aus unteren sozialen Schichten oder ein Kind mit Migrationshintergrund bei gleicher Begabung wie ein Kind aus einem Akademikerhaushalt eine dreimal geringere Chance hat, ins Gymnasium zu kommen? Herr Kollege Wacker, nur in Bayern ist diese Relation noch schlechter. Dort hat ein Kind, das nicht aus einem Akademikerhaushalt kommt,
Ist es sozial gerecht, wenn 20 % der Jugendlichen in Baden-Württemberg nur auf unterstem Kompetenzniveau lesen und rechnen können? Ist es sozial gerecht, wenn Sie zwar mit viel Geld ein Hochbegabtengymnasium einrichten, wenn Sie die gymnasiale Schulzeit verkürzen und die Durchlässigkeit unter den Schularten und die Orientierungsstufe abschaffen, aber gleichzeitig die Hauptschule zu einer Schule machen, in die niemand mehr gehen will und die nur noch durch eine Zwangseinweisung von Schülerinnen und Schülern am Leben zu erhalten ist?
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Seimetz CDU: Die ist lange genug tot- geredet worden!)