Protocol of the Session on June 29, 2005

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir unterhalten uns heute zwar nicht gerade über eine brandaktuelle Große Anfrage der SPD, denn sie stammt vom Januar 2004, aber das Thema ist bedeutsamer, als es die Position der Debatte in der Tagesordnung vermuten lässt.

Es ist tatsächlich so, dass die Zahl psychisch Kranker ansteigt. Dies ist wohl allerdings mehr ein gesellschaftliches Problem als eine Frage der Organisation der richtigen Therapie dieser Erkrankungsformen. Die zunehmende Zahl psychisch Kranker ist auch ein Ausdruck der Überforderung der Menschen im Beruf, in der Schule und in der Partnerschaft.

Die Depression nimmt hierbei eine besondere Rolle ein, denn dieser Bereich weist die höchste Steigerungsrate auf. Wenn sich heute Menschen jeden Tag Gedanken darüber machen müssen, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten, wie sie ihre Miete zahlen sollen und wie ihre Zukunft aussieht, dann hat das auch etwas mit Ängsten zu tun, die bei den Bürgerinnen und Bürgern psychische Erkrankungen fördern. Laut Psychologieprofessor Hans-Ulrich Wittchen von der TU Dresden haben zunehmend mehr Menschen ernsthafte Probleme, mit den Phänomenen einer globalisierten Welt zurechtzukommen: „Permanenter Kampf am Arbeitsmarkt, Angst um Jobverlust, hohe Arbeitslosigkeit und das Zerbrechen sozialer Bindungen machen die Leute krank.“ Hätten die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Zukunft, Vertrauen in die, die politisch handeln, dann hätten wir meines Erachtens sicherlich eine ganze Menge überforderungsbedingter Erkrankungen nicht. Die zukunftslose Politik in Berlin hat sicherlich nicht eben zur Reduzierung der psychischen Erkrankungen geführt.

Die Bundesregierung hat es ja gut gemeint mit den psychisch Kranken – ich sage das in vollem Ernst –: Es wurde versucht, die Behandlung und die Betreuung dieser Menschen durch einige Gesetzesänderungen zu verbessern. Begonnen hat dies mit der Einführung der Soziotherapie im Jahr 2002. Gleichzeitig erfolgte die Ausweitung der Institutsambulanzen. Anschließend folgte die Neufassung des SGB IX, das die Rehabilitation auf neue Beine stellen sollte. Und jetzt am 1. Juli 2005 tritt die häusliche Krankenpflege für psychisch Kranke in Kraft.

Das alles sind für sich betrachtet durchaus diskutable Ansätze, wie man der Situation dieser Menschen gerecht werden kann, vor allem wie ein vernünftiger Therapie- und Betreuungsansatz aussehen könnte. Der Pferdefuß dieser ganzen Bestimmungen ist nur, dass sie nicht, aber auch gar nicht aufeinander abgestimmt sind. Alle genannten Punkte stehen für sich allein im Raum, und der Patient kann schau

en, wie er klarkommt. Und gerade diese Patienten haben krankheitsbedingt die größte Mühe, sich im Dschungel dieser Bestimmungen überhaupt zurechtzufinden. Bei uns blüht ein Wirrwarr von Parallel- und Mehrfachangeboten. Es gibt Patienten, die unter- oder sogar gar nicht versorgt sind. Es gibt andere, die mehrere Leistungen zeitgleich in Anspruch nehmen, ohne, dass dies jemanden interessiert. Das ist gesundheitspolitisches Chaos à la Rot-Grün in Reinform. Alles ist gut gemeint, in Umsetzung und Wirkung aber miserabel.

Ganz dreist ist jetzt die Forderung, das Land solle doch ein Psychiatriegesetz in die Welt setzen. Sie müssen mir einmal vormachen, wie die Landespolitik mit diesem Chaos auf Bundesebene fertig werden soll. Wir könnten ein Landesgesetz gar nicht so schnell anpassen, wie sie sich in Berlin bisher Neuregelungen haben einfallen lassen.

Baden-Württemberg ist einen eigenen Weg gegangen und hat schon vor etlichen Jahren den Landespsychiatrieplan ins Leben gerufen. In diese Planung werden alle Akteure und vor allem die Betroffenen und deren Angehörige eingebunden. Der Plan wird ständig ergänzt und durch den Landesarbeitskreis Psychiatrie intensiv begleitet. Dieser Plan ist besser als jedes Gesetz. Er ist ein lernendes System, das in der Lage ist, Veränderungen unmittelbar aufzugreifen. Wer weiß heute, welches Gesicht und welches Gewicht die einzelnen Versorgungselemente in zwei oder fünf Jahren haben werden? Auf diese Fragen müssen wir nicht nur flexibel reagieren. Wir müssen sie uns immer wieder gemeinsam stellen und Lösungen finden.

Ein Landespsychiatriegesetz würde uns diese Flexibilität nehmen. Es dauert zu lange und es ist viel zu umständlich, in einer sich dynamisch verändernden Krankheitsform und deren sich ebenfalls stets verändernden Anforderungen an Diagnostik, Therapie und Betreuung jedes Mal erst das Gesetz ändern zu müssen. Noch dazu sind viele eben genannten Komponenten gar nicht Länder-, sondern Bundesangelegenheit. Wir können hier in Baden-Württemberg das Sozialgesetzbuch leider nicht selbst ändern.

Wie schlecht bundesgesetzliche Regelungen wirken können, haben wir in Baden-Württemberg bei den Sozialpsychiatrischen Diensten gesehen. Mit der Einführung der Soziotherapie sind die Kassen aus der Pauschalfinanzierung der Dienste ausgestiegen, um keine Doppelleistungen erbringen zu müssen. Leider deckt aber die Soziotherapie nur die Neupatienten sinnvoll ab. Die Bundesregierung hat hier die Dauerpatienten schlicht vergessen und ungewollt eine Behandlungsverschlechterung herbeigeführt, da die Dienste für diese Patienten plötzlich weniger Zeit zur Verfügung hatten.

Unser Weg ist ein anderer. Wir setzen auf eine gemeindenahe Versorgung der Kranken, ergänzt durch ambulante Therapien, eine Betreuung durch die der stationären Behandlung vorgelagerten Institutsambulanzen und dann im stationären Bereich durch unsere psychiatrischen Einrichtungen. Diese Angebote werden ergänzt durch die gemeindepsychiatrischen Dienste, die eine Betreuung vornehmen und den Kranken im Alltagsleben helfen. Das Land fördert über 200 Stellen in ganz Baden-Württemberg, obwohl es sich dem Grunde nach um eine rein kommunale Aufgabe handelt.

Die Weiterentwicklung unseres Weges ist bereits eingeleitet. Bislang wurde auf eine freiwillige Zusammenarbeit im Rahmen eines gemeindepsychiatrischen Verbunds der verschiedenen Leistungsträger gesetzt. Ab dem nächsten Haushaltsjahr werden nur noch dort Landesmittel hinfließen, wo sich verbindlich und am Wohle des Patienten ausgerichtete gemeindepsychiatrische Zentren etablieren. Es wird eine Straffung der Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten und deren Angehörigen geben. In diesen gemeindepsychiatrischen Zentren bringen wir dann auch die Leistungen unter, die man sich in Berlin ausgedacht hat, allerdings in einer sinnvollen Abstufung und in einer funktionsfähigen Patientensteuerung.

Eine wichtige Aufgabe der Zukunft ist die Frage, wie wir den ambulanten Teil der Behandlung besser ins Geschehen einbinden können. Dieser Bereich entzieht sich unserem Landeszugriff, darf aber künftig bei der Steuerung nicht außer Acht bleiben.

Fazit: Baden-Württemberg ist – wie fast immer – besser aufgestellt, hat die intelligenteren Ansätze und die bessere und flexiblere Versorgung der Patienten. Unsere Opposition hat dies – auch wie fast immer – leider bislang nicht erkannt.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Abend. Möge er ohne eine Depression verlaufen, wie sie Sie von der Opposition sicherlich nach dem 18. September befallen wird.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Zahl psychisch Kranker und seelisch behinderter Menschen steigt dramatisch an. Besonders die stark steigende Tendenz dieser Erkrankungen bei jungen Menschen bereitet Grund zur Sorge. Wir müssen uns in der Tat überlegen, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist.

Seelische Behinderungen werden teilweise immer noch mit dem Stigma eines „Sich-gehen-Lassens“ der betroffenen Person belegt. Diese Ungleichbehandlung von Erkrankungen somatischer – also körperlicher – Natur und von seelischen Erkrankungen ist sowohl im gesetzlichen Bereich als auch in der Gesellschaft zu beklagen. Das ist natürlich hinderlich für eine adäquate Versorgung. Wir sollten in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, durch Aufklärung in der Bevölkerung das Verständnis für psychisch kranke Menschen zu fördern, und wir müssen die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger wecken, sich hier haupt- oder ehrenamtlich stärker einzubringen.

Die SPD-Fraktion fordert nun ein Psychiatriegesetz für Baden-Württemberg. Diese Debatte ist nicht neu. Bereits in der 12. Legislaturperiode wurde die Diskussion eingehend geführt. Um eine flexible Ausgestaltung vor Ort zu ermöglichen, hatte man sich damals gegen ein solches Gesetz entschieden. Aus heutiger Sicht erscheint es positiv, dass wir keine Festschreibung geschaffen haben, die zu unflexiblen Strukturen geführt hätte. Ob es sinnvoll wäre, hier entgegen den allgemeinen Bemühungen um den Abbau von Bürokratie und die Schaffung von Freiräumen eine Bürokratisierung und, wie von den Kollegen der SPD angedacht, weitere Berichtspflichten in diesem Bereich neu einzuführen, muss genau überlegt werden.

Baden-Württemberg gibt im Psychiatrieplan, der kontinuierlich fortgeschrieben wird, dezidierte Zielvorgaben für die ambulante und die stationäre Versorgung seelisch behinderter Menschen. Die letzte Neufassung erfolgte im Jahr 2000. Der personenzentrierte Ansatz ist darin vorgegeben. Auch für seelisch Behinderte muss das Leitwort des Jahres für Behinderte „Mittendrin statt außen vor“ nachhaltig gelten und realisiert werden.

Bei ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD gibt die Landesregierung einen beeindruckenden Bericht, wie sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat. Als Stichworte sind zu nennen:

die Weiterentwicklung des gemeindepsychiatrischen Verbunds,

die rückläufige Verweildauer in psychiatrischen Krankenhäusern (von durchschnittlich 200 auf 30 Tage!),

der Ausbau der gemeindenahen Versorgung

oder auch die Schaffung und der Ausbau von speziellen zielorientierten Angeboten.

Das gut ausgebaute System der Selbsthilfegruppen, Angehörigengruppen, Patientenklubs, der Bürger- und Laienhilfen gilt es besonders hervorzuheben.

Zum Abschluss noch einige Worte zu den Sozialpsychiatrischen Diensten: Deren Aus- und Aufbau ist sehr bewusst vom Land finanziell unterstützt worden. Die Integration der SpDi in die gemeindepsychiatrischen Zentren – durch die Doppelstrukturen abgebaut werden sollen – lässt die Absenkung der Fördermittel des Landes zumindest vertretbar erscheinen.

Zudem ist ab dem Zeitpunkt der Halbierung der Landeszuschüsse den SpDi die Möglichkeit eingeräumt worden, die Soziotherapie und auch andere sozialpsychiatrische Leistungen für psychisch Kranke und seelisch Behinderte gegen Entgelt zu erbringen. Dies trug zu einer finanziellen Stabilisierung der Dienste bei. Zu einer Mehrbelastung der Kommunen oder einer Begrenzung des Angebots ist es nicht gekommen, ebenso wenig zu einer Verminderung der finanziellen Unterstützung für die SpDi von kommunaler Seite.

Trotz der genannten Erfolge in den letzten Jahren bleibt die Aufgabe, die Verbesserung der Versorgungsstrukturen weiterzuführen. Eine konkrete Ursachenerforschung, was die Zahlen der psychisch kranken und der seelisch behinderten Menschen – gerade unter jungen Menschen – so rasant steigen lässt und mit welchen präventiven Mitteln der Anstieg zumindest gestoppt werden könnte, erscheint uns gleichermaßen wichtig.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD hat die heute zur Beratung anstehende Große Anfrage aus mehreren Gründen eingebracht. Zum einen, weil die Situation chronisch psychisch kranker und seelisch behinderter Menschen in der Psychiatriepolitik des Landes ein besonderes Augenmerk verdient. Diese Menschen haben im Alltag häufig krankheits- bzw. behinderungsbedingt besondere Schwierigkeiten, auf die im Rahmen der medizinischen Versorgung nicht immer adäquat eingegangen werden kann. Sie

brauchen zum Beispiel Hilfen bei der Tagesstrukturierung, begleitende soziale Hilfen oder schnelle Hilfen in akuten Krisensituationen.

Zum anderen müssen wir leider feststellen, dass die Zahl psychisch kranker Menschen zunimmt. Die Landesregierung führt in ihrer Antwort aus, dass es im Land rund 36 000 anerkannt Schwerbehinderte gibt, deren Behinderung auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen ist, dass landesweit rund 8 000 psychisch Behinderte Eingliederungshilfe erhalten und dass etwa 25 000 Personen mit psychischer Behinderung durch Nachsorgeeinrichtungen und Beratungsdienste, unter anderem durch die Sozialpsychiatrischen Dienste, auf die noch einzugehen sein wird, betreut werden.

Kürzlich hat die Deutsche Angestellten-Krankenkasse ihren Gesundheitsreport 2005 der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser Gesundheitsreport hatte ein alarmierendes Ergebnis. Obwohl der Krankenstand bei den Erwerbstätigen von 2003 auf 2004 von 3,5 auf 3,2 % sank, nahm gegen den Trend die Zahl der psychischen Erkrankungen weiter zu. Fast 10 % der Fehltage bei den aktiv Berufstätigen gehen darauf zurück. Die Analysen zeigen, dass seit 1997 sowohl die Krankheitsfälle als auch die Krankheitstage alarmierend zugenommen haben. Von 1997 auf 2004 stieg die Zahl der Fälle bei psychischen Erkrankungen um 70 %.

Vor diesem Hintergrund muss die Gesundheitspolitik des Landes ein besonderes Augenmerk auf diese Personengruppe richten. Ziel muss es sein, die ambulante und wohnortnahe Versorgung dieser Menschen zu verbessern. Die SPD fordert dazu seit langem eine bessere Vernetzung und Koordination der verschiedenen Versorgungsangebote innerhalb eines verbindlichen Rahmens. Ein solcher Rahmen könnte ein Landespsychiatriegesetz sein.

Baden-Württemberg ist neben Bayern das einzige Bundesland, in dem die Hilfen für psychisch kranke Menschen nicht durch ein Landesgesetz geregelt sind. Der Landesarbeitskreis Psychiatrie hat sich vor diesem Hintergrund bereits in der letzten Legislaturperiode klar und eindeutig für ein Landespsychiatriegesetz ausgesprochen und die Landesregierung aufgefordert, die notwendigen gesetzgeberischen Schritte zügig voranzutreiben. Leider hat die Landesregierung in ihrer Antwort auf diese Große Anfrage die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes erneut bestritten und sich damit abermals gegen den Rat der Experten gestellt.

Ein weiterer Grund, diese Große Anfrage einzubringen, ist für die SPD die nach wie vor ungeklärte Zukunft der Landesförderung der Sozialpsychiatrischen Dienste. Im Nachtragshaushalt 2003 hat die Landesregierung die Landeszuschüsse für die Sozialpsychiatrischen Dienste um die Hälfte gekürzt. Seitdem stehen für die Dienste nur noch Landesmittel in Höhe von 2,1 Millionen € zur Verfügung. Noch Mitte der Neunzigerjahre förderte das Land eine Fachkraftstelle im Sozialpsychiatrischen Dienst mit rund 20 000 €, mittlerweile beträgt der Fördersatz mit rund 10 000 € nur noch die Hälfte. Das Land hat die Finanzierung auf Träger und Kommunen abgewälzt und sich damit aus seiner gesundheitspolitischen Verantwortung gestohlen.

Wegen der Kürzungen ist die Zahl der in den Sozialpsychiatrischen Diensten tätigen Fachkräfte um mehr als 10 %

gesunken. Und dies angesichts einer steigenden Zahl von psychischen Erkrankungen!

Wie es im Jahr 2007 weitergehen soll, ist weiter unklar. In der „Stuttgarter Zeitung“ vom 19. März dieses Jahres war nachzulesen, dass das Ministerium plant, künftig nur noch dann zu fördern, wenn sich Sozialpsychiatrische Dienste, Institutsambulanzen, Tagesstätten und Anbieter von Soziotherapie zu einem Verbund, einem so genannten gemeindepsychiatrischen Zentrum, zusammenschließen. Der Bericht zitiert einen Psychiatrieexperten der freien Wohlfahrtspflege, der dieses Konzept wie folgt kommentierte: „Vieles ist noch unklar und nicht ausgegoren.“ Es seien sehr viele Fragen aufgeworfen worden, die auch die Experten des Sozialministeriums nicht hätten beantworten können.

Deshalb ist heute eine gute Gelegenheit für den Sozialminister, an dieser Stelle konkret darzulegen, wie zukünftig die Förderung der Sozialpsychiatrischen Dienste im Rahmen des gemeindepsychiatrischen Verbunds erfolgen soll und ob zwischenzeitlich die von den Experten angemahnten offenen Fragen geklärt werden konnten.

Heute wäre auch ein guter Zeitpunkt, konkret zu benennen, wie es mit der Landesförderung insgesamt weitergehen soll. Sind weitere Kürzungen zu befürchten? Und was auch wichtig ist: Wie verbindlich ist die Förderzusage der Landesregierung? Das Land erwartet von Kliniken, Kommunen und Trägern, dass sie verbindliche Absprachen treffen, ist aber selber nicht bereit, die eigene Förderung verbindlich zuzusagen. Damit bleibt bei jeder Haushaltsplanberatung das Damoklesschwert möglicher Kürzungen, und es bleibt die Gefahr, dass die Förderung im laufenden Haushaltsjahr, wie 1997 geschehen, durch globale Minderausgaben gekürzt wird. Auf einer solchen Grundlage sind nur schwer verbindliche Absprachen zu erreichen. Wer von anderen verbindliche Strukturen erwartet, der muss selber für Verbindlichkeit sorgen. Sonst wird er als Partner nicht ernst genommen.

Zum Schluss will ich noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Die Landesregierung rechtfertigt ihre Kürzungen bei den Sozialpsychiatrischen Diensten gerne mit dem Verweis auf die neuen Angebote der Institutsambulanzen und der Soziotherapie. Beide Angebote, für die die rot-grüne Bundesregierung die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen hat, sind eine wichtige Ergänzung der Versorgungsangebote für psychisch kranke Menschen. Diese Angebote können jedoch die Tätigkeit der Sozialpsychiatrischen Dienste nicht ersetzen, sie können sie allenfalls ergänzen.

Dies räumt die Landesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage implizit selber ein. Deshalb will ich die entsprechenden Passagen an dieser Stelle zitieren und vor allem die CDU-Fraktion, die immer wieder mit dieser fadenscheinigen Rechtfertigung kommt, auf die Haltlosigkeit ihrer Argumentation hinweisen.

Die Abgrenzung der Institutsambulanzen zu den sozialpsychiatrischen Diensten ergibt sich daraus, dass die Dienste keine Heilkunde ausüben. Die Dienste erbringen – in Ergänzung und unabhängig von ärztlichen Verordnungen – sozialarbeiterische und sozialpädago

gische Leistungen der Beratung, Begleitung und Betreuung psychisch kranker und seelisch behinderter Menschen. Die Dienste haben vermittelnde und koordinierende Funktion zwischen den gemeindenahen Hilfeangeboten zum Gemeinschaftsleben, zum Wohnen und zum Arbeiten.

Und ich zitiere weiter:

Die Soziotherapie ist zielorientiert und beinhaltet das Einüben von Verhaltensänderungen und die Anleitung zur Selbsthilfe. Sie hat aktivierenden und rehabilitativen Charakter und setzt deshalb eine gewisse Absprachefähigkeit des Patienten voraus. Gemäß § 37 a SGB V ist der Anspruch auf Gewährung von Soziotherapie sowohl vom Umfang her als auch in zeitlicher Hinsicht begrenzt, das heißt auf höchstens 120 Stunden innerhalb von drei Jahren je Krankheitsfall.

Im Vergleich dazu sind … die Aufgaben der Sozialpsychiatrischen Dienste breiter angelegt und haben in Bezug auf die Klienten tendenziell den Charakter eines fortlaufenden Versorgungsangebots.

Meine Damen und Herren, diese fachlichen Ausführungen des Sozialministeriums lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Weder die Soziotherapie noch die Institutsambulanzen rechtfertigen eine Halbierung der Landeszuschüsse für die Sozialpsychiatrischen Dienste.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie einschlägige Studien, aber auch die Daten in Baden-Württemberg belegen, nimmt die Zahl der psychischen Erkrankungen und seelischen Störungen deutlich zu.

Von 1990 bis 2002 nahmen zum Beispiel die Einweisungen in die Krankenhäuser bzw. in die Zentren für Psychiatrie um mehr als die Hälfte und allein von 2000 bis 2003 um rund 5 250 – das sind 5,4 % – auf über 100 000 zu. Die Depression ist hierbei als eine der häufigsten Erkrankungen im Gesundheitswesen zu nennen.

Das heißt auch: Über 40 % der Krankschreibungen und 28 % der Frühberentungen erfolgen im Zusammenhang mit psychischen Störungen. Sehr geehrte Damen und Herren, diese Zahlen zeigen die Dimension der psychischen Krankheiten auf, machen aber auch deutlich, dass wir dringend handeln müssen.