Protocol of the Session on June 29, 2005

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das Land kann das alles! – Abg. Walter GRÜNE: Diese Diskussion haben wir doch schon vor 15 Jahren geführt! – Ge- genruf des Abg. Mappus CDU: Das Bundesver- kehrsministerium sagt das Gegenteil!)

Es ist nicht so, dass alle anderen ein sauberes Gewissen beim Feinstaub haben könnten und nur das Land BadenWürttemberg hier vor lauter Versäumnissen nicht mehr weiß, wo es hinschauen soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Luftreinhaltung ist sicherlich ein ganz wichtiges Ziel baden-württembergischer Umweltpolitik. Aber wir müssen sehen, dass dieses Ziel sehr schwer umzusetzen ist.

Letzte Bemerkung: Der Aktions- und Luftreinhalteplan für Stuttgart ist ja bei allen Betroffenen – ob Grüne, ob Stadt Stuttgart, ob Kraftfahrzeuggewerbe – auf Widerstand und Kritik gestoßen. Das ist doch für mich das sinnvollste Zeichen dafür, dass man hier wirklich ein gutes Mittelmaß gefunden hat, was die Beeinträchtigungen anbelangt, die wir unbedingt vornehmen müssen, um dem Feinstaubproblem zu Leibe zu rücken.

Ich empfehle, dass wir die nächste Debatte über Feinstaub nicht in vier Wochen, sondern in etwa einem Jahr führen. Dann werden wir sehen, was aus dem Aktions- und Luftreinhalteplan geworden ist. Ich bin optimistisch, dass wir uns weiter auf dem Weg hin zu noch mehr sauberer Luft befinden in Fortsetzung der Entwicklung, die wir in den letzten 10, 15 Jahren in Baden-Württemberg genommen haben.

(Beifall bei der CDU – Abg. Boris Palmer GRÜ- NE: Sie lernen weiter von uns! Gut!)

Das Wort erteile ich Frau Umweltministerin Tanja Gönner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich der Debatte lausche, fällt mir ein, dass ich der festen Überzeugung bin, dass bis Anfang dieses Jahres 98 % der Bevölkerung das Wort „Feinstaub“ nicht kannten und nicht wussten, welch große Gefahren dieser nach Ihren Darstellungen mit sich bringt. Erst durch die Diskussionen über die Grenzwerte für Feinstaub, insbesondere auch in Stuttgart, ist das Thema schlagartig in den Brennpunkt der öffentlichen Diskussion geraten.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: 98 % wissen gar nicht, wer Sie sind!)

Herr Palmer, dann wissen 99 % nicht, wer Sie sind.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Mappus CDU: Das Doppelte!)

Zwischenzeitlich, vor fast zwei Wochen, nämlich am 17. Juni, konnten wir den landesweit ersten Entwurf – er wurde gerade angesprochen – eines Luftreinhalte- und Aktionsplans, den für die Landeshauptstadt Stuttgart, hier in Stuttgart vorstellen.

Im Übrigen, Frau Schmidt-Kühner: Nicht Stuttgart insgesamt hat ein Problem mit der Luftreinhaltung, sondern das

Problem liegt am Stuttgarter Neckartor. Ich bitte wirklich, auch in Stuttgart zu differenzieren; denn Sie wissen, dass es andere Messstellen in Stuttgart gibt, an denen wir Überschreitungen wie die am Neckartor noch nicht haben.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Am Neckartor ist es extrem!)

Deswegen sollte man auch nicht verallgemeinern.

Ich möchte, um den tagesaktuellen Aufgeregtheiten, die meine Vorredner zum Teil bereits dargestellt haben, zu begegnen, kurz die Vorgeschichte, die ja zu den Grenzwertüberschreitungen geführt hat, in Erinnerung rufen und erläutern, wie es überhaupt zu dieser Diskussion kam.

Mitte der Neunzigerjahre hat man sich auf der europäischen Ebene mit der Verabschiedung der Luftqualitätsrahmenrichtlinie 1996 auf eine nachhaltige Verbesserung der Luftqualität verständigt, weil – das ist unstrittig – dauerhaft erhöhte Feinstaubwerte das gesundheitliche Risiko erhöhen können. Aufgrund der Festlegung der neuen Grenzwerte im Jahr 1999 für Feinstaub – Sie wissen es – ist seit dem Jahr 2005 ein Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bei einer zugelassenen Zahl von jährlich 35 Überschreitungstagen einzuhalten. Darüber hinaus – auch das muss klar sein – ist beim Stickstoffdioxid ab dem Jahr 2010 ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft einzuhalten. Damals ging man davon aus, dass aufgrund der eingeleiteten Maßnahmen diese Grenzwerte im Jahr 2005 voraussichtlich nicht überschritten würden.

Heute wissen wir, dass diese Annahme falsch war. Der Feinstaubgrenzwert wird im Übrigen europaweit überschritten.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wahrschein- lich weltweit! – Gegenruf des Abg. Walter GRÜ- NE: Das macht es nicht besser!)

Das Paradoxe an der Situation ist – Herr Scheuermann hat bereits darauf hingewiesen –: Die Luftqualität hat sich in den vergangenen Jahren landesweit deutlich verbessert. Entgegen Ihren Aussagen, Herr Palmer, hat das Land Baden-Württemberg bei den Feinstaubwerten von 1994 bis 2002 eine Reduktion um 23 % erreicht.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das haben wir doch nie bestritten! Wann habe ich das bestritten?)

Sie haben vorhin gesagt, dass die Luftqualität nicht besser geworden sei und dass die Landesregierung noch nichts für eine Verbesserung getan hätte.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Beim Verkehr ist die Luftbelastung im Übrigen sogar um 43 % zurückgegangen.

(Abg. Knapp SPD: Da sagen wir doch gar nichts dazu!)

Sie sehen, das sind Zahlen, die sich hören und sehen lassen können.

Wir haben also bei den Grenzwertüberschreitungen nicht mit einer dramatischen Verschlechterung der Luft, sondern

(Ministerin Tanja Gönner)

mit drastisch veränderten Grenzwerten zu tun, und ich glaube, dass man das einfach auch einmal darstellen muss.

Trotzdem sind wir hinter den Erwartungen, die wir gern erfüllen würden, zurückgeblieben. Die Abnahme der verkehrsbedingten Emissionen liegt fünf Jahre hinter dem zurück, was man Mitte der Neunzigerjahre erwartet hatte. Diese fünf Jahre fehlen uns jetzt. Doch wie kam es dazu? Das liegt unter anderem daran, dass bei den Lkws die Euronorm 3 nicht viel sauberer ist als die Euronorm 1, obwohl zwischen beiden sogar noch eine weitere Euronorm lag. Anhand der reinen Abgasgrenzwerte hatte man deutlich weniger Partikelausstoß erwartet. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Das gilt entsprechend für den Pkw.

Der Hang zum Dieselmotor ist im Übrigen mit Blick auf den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Minderung hervorragend, für den Partikelausstoß jedoch kontraproduktiv. Auch das muss man wissen, wenn man heute über Dieselfahrzeuge spricht: Sie sind nicht per se, sondern nur beim Partikelausstoß negativer zu bewerten. Ansonsten sind sie, was die Luftreinhaltung angeht, aber sehr positiv. Hier darf keine Schwarz-Weiß-Malerei erfolgen, sondern es gilt, die Differenzierungen zu sehen.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Keine Verteufelung der Die- selfahrzeuge, sofern sie einen Partikelfilter haben!)

Beim Stickstoffdioxid sieht es ähnlich aus: Ohne die Maßnahmen, die wir bereits jetzt treffen, werden wir die neuen Grenzwerte für den Stickstoffdioxidausstoß, die dann ab 2010 gelten werden, nicht einhalten können.

Nach der – im Übrigen verspäteten – Umsetzung der EURichtlinie durch die Bundesregierung im Herbst 2002 haben wir sofort gehandelt. Im Jahr 2003 fanden umfangreiche Voruntersuchungen statt, und mit Beginn des Jahres 2004 wurde systematisch in den höchstbelasteten Bereichen im Land gemessen. Im August 2004 lagen erstmals gesicherte Erkenntnisse darüber vor, dass die neuen Feinstaubgrenzwerte nicht überall im Land eingehalten werden können. Daraufhin wurden die Regierungspräsidien beauftragt, unverzüglich Luftreinhalte- und Aktionspläne zu erarbeiten. Den ersten Plan haben wir, wie Sie wissen, in Stuttgart vorgestellt, und Herr Scheuermann hat, wie ich meine, das Notwendige hierzu gesagt. Die Entwürfe der Pläne werden jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt, und bis Ende des Jahres sollen die Pläne dann in Kraft treten.

Wenn im Übrigen das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Feinstauburteil meint, den Behörden vorwerfen zu müssen, sie hätten sich nur zögerlich der Feinstaubthematik angenommen, dann ist diese vom Gericht vertretene Rechtsauffassung – so sagen wir – etwas ungewöhnlich. Auch zu den juristischen Fragen hat Herr Scheuermann schon manches gesagt. Ich will im Übrigen nur darauf hinweisen, dass es zwei Verwaltungsgerichtsurteile aus München und Berlin zum selben Thema gibt, die genau das Gegenteil von dem sagen, was das Verwaltungsgericht in Stuttgart sagt.

(Unruhe bei Abgeordneten der SPD)

Dass wir dies vor dem Hintergrund der Rechtseinheitlichkeit nicht so stehen lassen können, ist klar. Deswegen haben wir auch Berufung eingelegt.

Die vielfältigen Ursachen der Feinstaubentstehung und die Abhängigkeit der Grenzwertüberschreitungen vom Wetter, von der Topografie und der Bebauung haben wir schon häufiger, auch im Landtag, dargestellt. Frau Berroth ist darauf noch einmal eingegangen.

Eine Vielzahl von Verursachern trägt zu den Überschreitungen der Feinstaubgrenzwerte in unmittelbarer Nähe von stark befahrenen Straßen bei. Hierzu einige Zahlen am Beispiel der Stadt Stuttgart. Bei dem Feinstaub haben wir einen großräumigen Hintergrund, der – sozusagen als landesweiter Sockel – überall vorhanden ist. Mit lokalen Maßnahmen kann er nicht beeinflusst werden. Er beträgt an den Messorten in Stuttgart rund 42 %, am Neckartor immerhin noch knapp 30 %. Der Straßenverkehr trägt zu den straßennahen Überschreitungen etwa zur Hälfte bei; an den Messorten in Stuttgart sind es 46 %, am Stuttgarter Neckartor sogar 65 %. Alle übrigen Quellen aus Industrie und Gewerbe, Kleinfeuerungsanlagen, Geräte, Maschinen und Fahrzeuge der Bauwirtschaft haben zusammen einen Anteil von 12 %, am Neckartor 6 %.

Da die Grenzwertüberschreitungen nur in unmittelbarer Nähe stark befahrener Innerortsstraßen auftreten, müssen wir uns schon fragen, was wir im Rahmen von Aktionsplänen erreichen können. Um etwa in Stuttgart am landesweit am höchsten belasteten Bereich Neckartor die Feinstaubgrenzwerte einhalten zu können, müssten wir den Verkehr halbieren – eine Maßnahme, die keiner ernsthaft in Erwägung ziehen kann. Ich gehe auch nicht davon aus, Herr Palmer, dass Sie sie in Erwägung ziehen.

Deutlich wird daran aber die Dimension der Herausforderung. Deutlich werden an dieser Stelle auch die Grenzen des Machbaren. Letztlich ist klar, dass es einer breiten Palette an Maßnahmen bedarf. Insbesondere bei der Frage von Fahrverboten muss in einem Spannungsfeld abgewogen werden: Einerseits ist dem Umwelt- und Gesundheitsschutz Rechnung zu tragen, andererseits sind sowohl wirtschaftliche wie auch soziale Aspekte hinreichend zu berücksichtigen. Man muss schon überlegen, wen welche Beschränkungen treffen. Nimmt man ältere Pkws aus dem Verkehr, trifft das in der Regel die Leute, die nicht den großen Geldbeutel haben, um sich mal eben einen Neuwagen zu bestellen. Natürlich müssen wir deswegen schauen, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und die Lösungen praxisgerecht und praxistauglich sind. Die Maßnahmen des Aktionsplans von Stuttgart sind Ihnen bekannt.

Es gibt aber auch einige weitere Maßnahmen und noch viele Ideen. Manch eine Idee klingt ganz gut, ist aber bei näherem Hinschauen dann doch nicht geeignet. Es gab beispielsweise die Idee, kurzfristige Fahrverbote verfügen zu können, sobald die Feinstaubwerte entsprechend hoch ausfallen. Hierbei stehen Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis. Im Übrigen würde es eine Verlagerung dieses Verkehrs in andere Bereiche geben, also auch eine Verlagerung des Feinstaubs von einem Punkt zum nächsten. Aus Gründen der Praktikabilität ist das kaum umsetzbar.

Eine andere Idee sind Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ohne Partikelfilter. Der Filter setzt sich am Markt gerade erst durch. Die Nachrüstung hinkt noch hinterher. Sagen wir doch laut, was das bedeuten würde: Es wäre ein Fahrverbot

(Ministerin Tanja Gönner)

für alle Dieselfahrzeuge. Ich will nur darauf hinweisen, dass der Schwerlastverkehr fast ausschließlich von Dieselfahrzeugen durchgeführt wird.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Aber manche haben schon Euronorm 4!)

Oder die City-Maut: Jeder weiß, wovon man redet, und doch stellt sich darunter jeder etwas anderes vor. Das ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig, wie manche den Anschein erwecken. Soll eine Straßenbenutzungsgebühr als Instrument des Immissionsschutzes angewandt werden? Eine Rechtsgrundlage gibt es für keine dieser Varianten. Sie müsste erst noch geschaffen werden.

Wir haben deutlich gemacht, welche Maßnahmen wir ergreifen werden, auch mit dauerhaften Fahrverboten für besonders belastende Fahrzeuge.

Im Übrigen, Frau Schmidt-Kühner: All die Maßnahmen, die Sie aufgezählt haben, wurden vom Land Baden-Württemberg im Bundesrat unterstützt, sonst wären sie dort nicht durchgegangen, ob es nun um Großfeuerungsanlagen oder um die TA Luft ging. Im Übrigen ist, was die Euronorm 5 und die Euronorm 6 angeht, die Bundesregierung erst aktiv geworden, nachdem es einen Initiativantrag des Bundesrats, stammend aus dem Land Baden-Württemberg, gab. Am 11. Juni 2004 haben wir die Bundesregierung aufgefordert, tätig zu werden. Sie sollten sich also nicht etwas an die Brust heften, an dem wir entweder mitgewirkt haben – Sie uns also nicht angreifen können – oder bei dem wir diejenigen waren, die das tatsächlich vorangetrieben haben.

Mit aller Deutlichkeit muss aber immer wieder betont werden: Allein mit Luftreinhalte- und Aktionsplänen werden wir es nicht schaffen, die neuen EU-Grenzwerte einzuhalten. Wir brauchen darüber hinaus flankierende Maßnahmen auf Bundes- wie auf europäischer Ebene. Drei Aspekte will ich nennen, auf deren Umsetzung wir drängen werden.