Haben die Liberalen gar kein Gespür mehr dafür, was sich gehört und was nicht? Sind die politischen Sitten im Land bereits derart verlottert, dass die Regierungsparteien mit der Demokratie ungehindert Schindluder treiben dürfen?
Aber jetzt ein Wort an Sie, Herr Innenminister. Lieber Herr Kollege Dr. Schäuble, bei der ersten Lesung haben Sie sich vornehm zurückgehalten und nichts zu dem Gesetzentwurf gesagt.
Heute ersparen wir Ihnen das nicht. Uns interessiert sehr, wie die Landesregierung diesen merk- und denkwürdigen Gesetzentwurf zur Änderung des Kreistagswahlrechts begründet. Man könnte ihn übrigens auch in die Kurzform kleiden: WCEG – Wahlchancenerhöhungsgesetz zugunsten der FDP/DVP.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grü- nen sowie des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)
Herr Minister, Sie haben im Innenausschuss kurz und platt erklärt, man müsse von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs ausgehen und außerdem müsse man halt dem kleinen Koalitionspartner eine Gefälligkeit erweisen. Da sage ich Ihnen, Herr Dr. Schäuble: Hier kann es sich nicht um Gefälligkeitsgeschäfte handeln. Hier soll ein Gesetz zugunsten der FDP/DVP verbogen werden, und dabei dürfen gerade Sie als Innen- und Verfassungsminister nicht mitspielen.
Ein letztes Wort nochmals an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion. Ich will erneut an Sie appellieren: Machen Sie dieses Spiel nicht mit. Ich gebe Ihnen ein Wort von Ringelnatz mit auf den Weg, das ich leicht verändert habe. Es lautet:
Zu so ’nem Antrag hingezerrt ist schon ein schlimmer Stuss. Man fühlt sich wie ins Klo gesperrt, obwohl man gar nicht muss.
(Große Heiterkeit – Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen – Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)
Meine Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich nicht ins Klo sperren. Stimmen Sie mit uns den Gesetzentwurf nieder!
(Abg. Wintruff SPD: Jetzt kommt der Heilige Geist persönlich! – Abg. Scheuermann CDU: Mönchlein, du gehst einen schweren Gang!)
Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst einmal dem Kollegen Nagel dankbar: Zum einen ist Lachen gesund, und damit haben wir durch Ihren Beitrag wieder ein Stück weit mehr Gesundheit erhalten. Zum Zweiten haben es Ihre doch in weiten Strecken polemischen Ausführungen der Mehrheit des Hauses mit Sicherheit erleichtert, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Im Übrigen sind Ihre Argumente falsch und widerlegbar. Normalerweise weisen Sie ja gern darauf hin, dass Verbandsstellungnahmen von uns hier im Parlament durchaus noch einmal kritisch hinterfragt werden müssen.
Ich möchte nur ein einziges der von Ihnen genannten Argumente kurz herausgreifen. Sie haben davon gesprochen und haben hierzu den Gemeindetag zitiert, dass Stimmen praktisch einem anderen Bewerber zugute kommen können. Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Sie sind der einzige SPD-Landtagsabgeordnete, der direkt in seinem Wahlkreis gewählt worden ist.
(Abg. Nagel SPD: Das stimmt nicht! – Abg. Capez- zuto SPD: Das stimmt ja gar nicht! In dieser Legis- laturperiode sind es sieben! Das war früher! Sie dürfen doch nicht von früher reden!)
Aber ich will auf das eigentliche Argument kommen. Bei der Landtagswahl ist es tatsächlich so, dass in vielen Wahlkreisen die Wählerinnen und Wähler SPD gewählt haben, diese Stimmen aber nicht dem Bewerber des Wahlkreises, sondern denjenigen Kolleginnen und Kollegen zugute gekommen sind, die über die Zweitauszählung diesem Parlament angehören.
Hier sprechen Sie aber nicht von Manipulation. Dies ist beim jetzigen Kreistagswahlrecht genauso der Fall. Wir haben beim Kreistagswahlrecht kein Mehrheitswahlrecht im
Sinne eines englischen Modells, sondern wir haben eine Kombination aus Persönlichkeitswahlrecht und Verhältniswahlrecht. Das ist schon heute so. Auch heute schon werden aus Stimmbezirken Mitglieder durch die Stimmen, die in anderen Stimmbezirken für die Liste – Wählervereinigung oder Partei – abgegeben worden sind, in den Kreistag gewählt. Deshalb möchte ich ausdrücklich Herrn Kollegen Kurz loben.
Meine Damen und Herren, mir war bewusst, dass ich mit meiner Rede heute keinen Blumentopf gewinnen kann,
Ich möchte den Kollegen Kurz loben. Er hat das Ganze nämlich wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. Es geht lediglich um die Veränderung des Wohnortprinzips, und es geht darum, dass kleinere Gruppierungen, Wählervereinigungen und Parteien – und dazu gehört ja nun nicht nur die FDP/DVP; die Grünen haben im Land Baden-Württemberg weniger Mitglieder; es gibt auch freie Listen – –
(Abg. Drexler SPD: Die sind dagegen, die Freien Wähler! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Wir haben das nicht nötig!)
Wir möchten unsere Meinung einfach noch einmal vortragen können. Es ist ja oft so: Wenn eine Minderheit etwas vorträgt, argumentiert eine Mehrheit dagegen. Und dass Verbände, deren Vorstände mit Menschen besetzt sind, die vom jetzigen System profitiert haben, möglicherweise zu anderen Ergebnissen kommen, ist nachvollziehbar. Ich möchte Sie einfach bitten, mir für das Argument der Minderheit eine einzige Minute Ihr Ohr zu leihen, ohne mich zu unterbrechen.
(Abg. Drexler SPD: Das hat mit Minderheit nun wirklich nichts zu tun! – Zuruf der Abg. Birgit Kip- fer SPD)
Wenn eine bisherige Benachteiligung abgebaut wird und am Start mehr Chancengleichheit gewährt wird, bedeutet das nicht, dass die bisher Bevorzugten nun benachteiligt würden. Denn auch mit der Änderung entscheiden die Wählerinnen und Wähler, wer in Zukunft mit welcher Stärke in den Kreistag gewählt wird.