Protocol of the Session on June 26, 2003

Ich will, Frau Berroth, einmal einen Grundkonflikt ansprechen: Wann immer Regeln erlassen werden, schreien Sie auf: „Regulierung, das darf nicht sein!“

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das stimmt so nicht!)

Und es gibt eine ganze Menge Regeln, die notwendig sind, um Sicherheit zu gewährleisten.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das habe ich ja ausgeführt!)

Ihre Partei hat sich immer gegen Tempolimits auf Autobahnen gewandt,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: In diesem Ausmaß! Nicht generell!)

obwohl jeder weiß, dass sie mehr Sicherheit bringen würden. Ihre Partei hat sich mit ihrer Position auch nicht weit weg von der des ADAC bewegt, als der „Freie Fahrt für freie Bürger“ gefordert hat, obwohl auch das natürlich Verkehrstote zur Folge hätte.

Wenn ich nun zum Beispiel konkret frage – ich nenne Ihnen drei Beispiele, an denen sich zeigt, dass dieser Konflikt bei Ihnen eben nicht zugunsten der Sicherheit entschieden ist –, was die Landesregierung für mehr Sicherheit auf unseren Straßen tut, dann kann ich Ihnen zunächst eine Pressemitteilung der Landesregierung vom 13. Juni 2003 – sie ist noch nicht allzu alt – vorhalten. Wofür rühmt sich darin die Landesregierung? Dafür, dass Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Teil aufgehoben werden.

(Abg. Alfred Haas CDU: Richtig!)

Bis zum Beginn der Sommerferien werden auf über 50 km Richtungsfahrbahnen baden-württembergischer Autobahnstrecken die bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen von 120 km pro Stunde aufgehoben.

Also endlich freie Fahrt für freie Bürger.

Liest man genau nach, stellt man fest, dass diese Geschwindigkeitsbegrenzungen erlassen worden sind, weil auf den betreffenden Autobahnabschnitten besonders viele Unfälle passiert sind. Jetzt argumentiert die Landesregierung, seit es die Tempolimits gebe, gebe es nicht mehr besonders viele Unfälle; deshalb könne man einmal ausprobieren, was passieren wird, wenn alle wieder rasen dürfen. Exakt so steht es in der Pressemitteilung. Letzter Satz:

Die zuständigen Regierungspräsidien sind gehalten, die Unfallentwicklung sehr genau zu beobachten. Sollte sich eine signifikante Erhöhung der Unfallzahlen abzeichnen, ist die Geschwindigkeitsbeschränkung zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf der Autobahn wieder in Kraft zu setzen.

Meine Damen und Herren, solche populistischen Experimente, vor den Sommerferien etwas Autobahn für freie Fahrt zuzulassen und zu gucken, ob dabei Leute zu Schaden kommen, bedeuten wirklich nicht mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

(Beifall bei den Grünen – Unruhe und Zurufe, u. a. des Abg. Alfred Haas CDU)

Herr Kollege Haas, 120 Stundenkilometer auf allen Autobahnen wären völlig in Ordnung. Dadurch würden weniger Menschen zu Schaden kommen. Wir führen eine Debatte über Sicherheit im Straßenverkehr, und Ihnen fällt weiter nichts ein. Eine schwache Leistung.

(Unruhe und Zurufe)

Ein zweiter Punkt: Es musste erst eine rot-grüne Bundesregierung gewählt werden, bevor es gelungen ist – –

(Abg. Seimetz CDU: Die Straßen ganz zuzuma- chen, damit niemand mehr fahren kann! Ständig Stau, seit ihr dran seid!)

Passen Sie auf. Sie haben es nicht fertig gebracht, wahrscheinlich weil die Liberalen dagegen gewesen sind. Ich rede von der Promillegrenze. Erst die rot-grüne Bundesregierung hat sie von 0,8 auf 0,5 abgesenkt. Ich wage nicht darüber zu spekulieren, ob das vielleicht mit dem Prozentanteil von Alkoholgenießern in bestimmten Fraktionen irgendetwas zu tun hat.

Ein dritter Punkt: Lkw-Kontrollen. Wenn wir jetzt in der Antwort der Landesregierung lesen, dass 33 % aller kontrollierten Lkws beanstandet werden müssen, ist doch die logische Konsequenz, dass die Kontrollen verschärft werden müssen, solange so viel vorkommt. Ich hoffe, der Innenminister, der dort sitzt, stimmt mir zu. Wenn 33 % aller kontrollierten Lkws beanstandet werden müssen, muss offenbar die Kontrollintensität erhöht werden, damit in Zukunft der Abschreckungseffekt größer wird und weniger beanstandet wird.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Haben Sie denn je etwas anderes gehört?)

Nun lese ich in der Antwort auf Ihre Große Anfrage, dass der Innenminister eben gerade nicht beabsichtigt, die Kontrollintensität zu erhöhen, und dass keine zusätzlichen Stellen für diesen Zweck zur Verfügung stehen. Es wird keine Abordnungen zu diesem Zweck geben. Das ist eben, meine ich, die Differenz zwischen Anspruch und Handeln. Sie tun hier nichts für mehr Sicherheit. Es wäre notwendig, diese Kontrollen zu verschärfen.

Meine Damen und Herren, natürlich ist jeder Verkehrstote zu wenig, und eigentlich sollten wir den skandinavischen Ländern nacheifern.

(Zurufe: Zu viel! – Heiterkeit)

Zu viel. Die Zeit ist zu wenig, jeder Verkehrstote ist ein Verkehrstoter zu viel. – Wir sollten dem Beispiel der skandinavischen Länder nacheifern, die eine Vision zero, nämlich null Verkehrstote, anpeilen und dafür umfangreiche Maßnahmenkonzepte in die Wege leiten. Dazu gehört natürlich Technik, dazu gehört auch eine Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl, weil das Auto nach wie vor das gefährlichste der Verkehrsmittel ist, die uns zur Verfügung stehen. Weniger Autoverkehr heißt mehr Sicherheit. Hier sind die Begriffe „weniger“ und „mehr“ richtig angewandt. Dafür brauchen wir Vorschriften, und wir brauchen eine Überwachung von Vorschriften, damit diese eingehalten werden. Hier besteht noch Nachholbedarf.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Mappus.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherheit im Straßenverkehr ist sicherlich eine dauernde Verpflichtung und bei immer mehr Mobilität sicher auch eine dauernde Herausforderung. Es

(Staatssekretär Mappus)

lohnt sich, sich einmal die Zahlen des Statistischen Bundesamts vom 4. Juni dieses Jahres etwas näher anzuschauen. Seit der Wiederaufnahme der amtlichen Verkehrsunfallstatistik im Jahr 1953 haben wir auf Deutschlands Straßen 692 000 Getötete und 24,9 Millionen Verletzte allein im Straßenverkehr zu beklagen.

Wenn man sich jetzt dem Thema etwas nähert, ist es logisch, dass man sich vor allem auch einmal die Entwicklung des Verkehrsbestands auf der Straße anschaut. So hatten wir im Jahr 1953 insgesamt 4,76 Millionen Kraftfahrzeuge, davon 1,26 Millionen Pkws, und 50 Jahre später, im letzten Jahr, hatten wir 54,99 Millionen Kraftfahrzeuge und darunter 44,38 Millionen Pkws. Wir hatten also fast 40-mal so viele Pkws auf den Straßen wie 50 Jahre zuvor. Aber gleichzeitig hatten wir im Jahr 1953 pro 100 000 Kfz 265 Getötete. Im letzten Jahr waren es noch zwölf Getötete pro 100 000 Kfz.

Den traurigen Höhepunkt in der Statistik hatten wir im Jahr 1970 mit 21 332 Getöteten. Den Tiefststand hatten wir im wiedervereinigten Deutschland 32 Jahre später, im Jahr 2002, mit 6 842 Getöteten. Wir hatten also einen drastischen Rückgang, aber, meine Damen und Herren, immer noch 6 842 Getötete zu viel.

Nun noch einen Blick in die Statistik zur Situation im Land Baden-Württemberg im Jahr 2002 im Vergleich zum Vorjahr, also zum Jahr 2001: Wir hatten allein in diesem einen Jahr 2002 einen Rückgang der Zahl der Verkehrsunfälle um 2,1 %, einen Rückgang der Zahl der Schwerverletzten um 7 %, der Leichtverletzten um 1 %. Aber entgegen dem Trend gab es eine Steigerung der Zahl der Getöteten um 6,3 %. Im Jahr 2003 hatten wir bei der Zahl der Schwerverletzten im Zeitraum von Januar bis Mai einen Rückgang um rund 10 % und der Getöteten um mehr als 21 %.

Meine Damen und Herren, wir leben in einer mobilen Gesellschaft, die immer mobiler wird. Bei allen Wirtschaftsproblemen, die wir haben, nimmt die individuelle Mobilität von uns allen im Schnitt deutlich zu. Nach allen wissenschaftlichen Voraussagen wird sie auch in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen, vor allem im Bereich der Freizeitverkehre.

Sicherlich ist jedes einzelne Opfer eine traurige Bilanz und zu beklagen. Aber gerade deshalb ist es wohl wichtiger denn je, dass wir konsequente Verkehrssicherheitsarbeit leisten. Dies lohnt sich, und diese Entwicklung muss fortgesetzt werden, meine Damen und Herren.

Verkehrssicherheitsarbeit ist vielfältig angelegt. Ich nenne als Stichworte die moderne Fahrzeugtechnik – ein weiß Gott nicht zu unterschätzender Faktor –; auch das Thema „Infrastruktur Straße“ ist von großer Bedeutung. Wir haben nicht umsonst den Erhaltungsaufwand für die Landesstraßen deutlich erhöht, weil bei nicht wenigen Unfällen der Straßenzustand alles andere als eine untergeordnete Rolle spielt. Wir haben mehr denn je ein optimiertes Rettungswesen. Durch Verkehrsregeln kann man Einfluss auf die Verkehrssicherheit nehmen. Das Thema „Überwachung und Sanktionen“ spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Prävention durch Verkehrserziehung und -aufklärung ist wichtig. Aber, meine Damen und Herren, im Mittelpunkt steht

der Mensch mit all seinen Stärken, doch, was das Thema Verkehrssicherheit angeht, auch mit all seinen Schwächen.

Die ausführliche Antwort auf die Große Anfrage zeigt, wie ich finde, die vielfältigen Bezüge auf. Ich möchte deshalb nur auf einige Punkte eingehen, die uns auch tagesaktuell bewegen bzw. Schwerpunkte in den kommenden Monaten bilden.

Meine Damen und Herren, ein herausgehobenes Thema sind im Moment vor allem die Busunfälle. Wir hatten in kürzester Zeit eine schreckliche Serie von Busunfällen, was die Öffentlichkeit verunsichert. Man muss der Fairness halber aber auch sagen, dass diese Unfälle nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass der Omnibus das sicherste Verkehrsmittel ist und vermutlich auch bleiben wird. Bezogen auf eine Beförderungsleistung von einer Milliarde Personenkilometer, entfallen auf den Bus 0,2 getötete Personen, auf den Pkw 6,8. Andersherum gesagt heißt das: Das Risiko, mit dem Pkw tödlich zu verunglücken, ist 34-mal so groß wie das, mit dem Bus tödlich zu verunglücken. Bei motorisierten Zweirädern liegt diese Zahl sogar bei 71,3 Getöteten. Mit dem Motorrad ist die Gefahr, tödlich zu verunglücken, also etwa 350-mal größer als bei einer Beförderung im Bus. Im Vergleich dazu gibt es bei der Bahn 0,6 Getötete auf eine Milliarde Personenkilometer.

Meine Damen und Herren, wir haben nationale und internationale Regelungen zur Gewährleistung der passiven und aktiven Sicherheit der Busse. Zum Beispiel – Sie wissen das – gilt seit Oktober 1999 eine Gurtausrüstungspflicht für neue Reisebusse mit einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen.

Aus dem Unfallgeschehen ist aber auch deutlich herauszulesen, dass der Faktor Mensch immer noch ausschlaggebend ist und wohl auch für die Zukunft ausschlaggebend bleiben wird. Daher scheint es mir der richtige Ansatz zu sein, durch eine Intensivierung der Kontrollen auf die Einhaltung der bestehenden Sicherheitsregeln hinzuwirken.

Deutschland hat europaweit die höchste Kontrollquote beim gewerblichen Güter- und Personenverkehr. Die Straßenkontrollen der baden-württembergischen Polizei haben hieran einen erheblichen Anteil. Im Jahr 2002 wurden 6 520 Kraftomnibusse kontrolliert. Die Beanstandungsquote lag bei 15,4 %, beim Güterverkehr sogar bei rund 33 %. Das heißt, bei jedem dritten Fahrzeug, das auf der Straße unterwegs war, traten Unkorrektheiten auf. Überwiegend waren es Geschwindigkeitsverstöße und vor allem auch Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten.

Bereits seit Jahresbeginn – also im Übrigen lange vor der Unfallserie – haben wir dementsprechend in Baden-Württemberg durch unsere Polizei Schwerpunktaktionen durchführen lassen. Das Ergebnis war interessant: Allein im Regierungsbezirk Stuttgart stieg die Anzahl kontrollierter Busse in den Monaten Januar bis Mai 2003 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 146 %. Es gab in 7,8 % dieser Fälle Beanstandungen – interessanterweise weniger als im Jahr zuvor; damals waren es rund 15 %. Wir haben vor allem auch Busse kontrolliert und kamen hier zu einer Beanstandungsquote von rund 20 %, was sicherlich kein unerheblicher Anteil ist.

(Staatssekretär Mappus)

Diese Schwerpunktaktionen, meine Damen und Herren, werden fortgesetzt. Baden-Württemberg wird künftig auch das Bundesamt für Güterverkehr noch stärker in die Busüberwachung einbinden.

Ein zweiter wichtiger Punkt – er wurde hier angesprochen – sind die Kleintransporter. Wir haben im Straßenbild in der Tat eine rasante Zunahme der Zahl der Kleintransporter festzustellen, also der Transporter mit einem zulässigen Gesamtgewicht von unter 3,5 Tonnen. Zu beobachten ist das hinsichtlich der Zulassungszahlen, aber auch hinsichtlich des Geschwindigkeitsverhaltens.

(Abg. Fischer SPD: Das ist das Problem!)

Im Jahr 1991 hatten wir 10 173 Unfälle mit Personenschäden bei 792 179 Fahrzeugen. Zehn Jahre später waren es rund doppelt so viele Unfälle, nämlich 20 678, bei immerhin 1,796 Millionen Fahrzeugen. Das heißt, es gab innerhalb von zehn Jahren eine Steigerung der Zahl der Fahrzeuge um fast 150 % und eine Steigerung der Unfallzahlen um rund 100 %.

Auch wenn die laufenden wissenschaftlichen Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, zeichnen sich in Betracht kommende Maßnahmen ab, zum Beispiel eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 Stundenkilometer. Im Übrigen wird das Thema Ladungssicherheit noch größere Aufmerksamkeit erfordern, als dies bisher der Fall war. Baden-Württemberg wird sich, wenn erforderlich, auch restriktiven Maßnahmen nicht verschließen.

(Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Sehr gut!)