Protocol of the Session on May 8, 2003

Dann müssten wir tatsächlich auch verstärkt in die Argumentation gehen. Wir glauben, dass das richtig und notwendig wäre. Es wäre auch eine gute Gelegenheit, Unwissenheit auszuräumen und Interesse für Europa zu wecken.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Boris Pal- mer GRÜNE)

Bei dieser europäischen Verfassung sind wir uns in den Mitgliedsländern auch über die Parteigrenzen hinweg nicht in allen Punkten einig. Es gibt ein Ringen um die Fragen, wie stark die Kommission werden soll, wie stark das Parlament werden soll und wie stark der Rat der Regierungschefs bleiben soll.

Wir als Liberale treten für eine nachhaltige Stärkung des Europäischen Parlaments ein, weil wir der Meinung sind, dass die Entscheidungen auf europäischer Ebene, die heute schon sehr viele Lebensbereiche beeinflussen, einer starken parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden sollen. Wir sind auch der Meinung, dass es nur konsequent ist, dass die Europäische Kommission in ihren Entscheidungen gestärkt wird.

Allerdings muss das europäische Handeln auf wenige geeignete Bereiche beschränkt werden. Das heißt, wir wollen nur wenige Bereiche, in denen Europa zuständig ist, zum Beispiel eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und eine Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik, damit die Bürger in allen Mitgliedsstaaten zu ihrem Recht kommen und vor Verbrechen geschützt werden, damit das Verbrechen grenzübergreifend bekämpft wird. Das sind die zentralen Felder.

Wir wollen keine Harmonisierung um jeden Preis auf allen Politikfeldern. Wir wollen den Wettbewerb der Systeme vor allem bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik, weil wir der Meinung sind,

(Abg. Teßmer SPD: Nicht bloß ihr!)

dass die Regionen, die Bundesländer und die Mitgliedsstaaten, denen es gelingt, durch effiziente Staatsorganisation niedrigere Steuersätze zu erheben, Vorteile haben sollten und durch diesen Wettbewerb gerade auch bei den Steuersätzen Unternehmen anziehen können sollten

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

und somit auch Innovation beim Verwaltungshandeln belohnt wird und nicht alles in einer Harmonisierung erstarrt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das ist das Ziel der FDP/DVP, und wir hoffen, dass es den Konventsmitgliedern der deutschen Länder, in diesem Fall unserem Ministerpräsidenten, aber auch den Vertretern aus den anderen Mitgliedsstaaten gelingt, diesen Interessen der Regionen mit gesetzgeberischer Kompetenz zum Durch

bruch zu verhelfen. Ich glaube, dass gegenüber der ursprünglichen Diskussion schon sehr viel erreicht worden ist, und möchte dem Ministerpräsidenten hier ausdrücklich unseren Dank für seinen Einsatz im Dienste der deutschen Länder aussprechen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Zimmer- mann CDU)

Meine Damen und Herren, auch die Klagerechte sind uns besonders wichtig. Darauf möchte ich abschließend in einem Satz hinweisen. Klar ist, dass die Kompetenzordnung auch in Form eines Verfahrens überprüft werden muss. Wir hoffen, dass in dieser Verfassung auch ein Klagerecht für die Regionen oder zumindest für den Bundesrat seinen Niederschlag findet.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Denn die besten Garantien bringen nichts, wenn man ihre Einhaltung nicht einklagen kann.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir dürfen uns nichts vormachen. Der Konventsprozess tritt jetzt in eine ganz schwierige Phase, in der es darauf ankommt, ob diejenigen, die für mehr Integration sind, dort eine Mehrheit bekommen oder ob sich diejenigen durchsetzen, die auf mehr nationalstaatlicher Eigenständigkeit beharren.

Ich meine, Konventspräsident Giscard ist da in unguter Weise vorgeprescht. Aber das Konventspräsidium hat seine Vorstöße Gott sei Dank korrigiert. Ich glaube, dass wir so, wie das Ergebnis jetzt aussieht, keinen sehr starken Ratspräsidenten, wie Giscard das offensichtlich wollte, bekommen werden. Es wird zwar einen geben, weil natürlich bei einer EU der 25 eine sechsmonatige Rotation nicht mehr angebracht ist, er wird aber nicht so gestärkt, dass er eine echte Konkurrenz zur Kommission wird. Das finde ich als Ergebnis schon ganz wichtig.

Ich glaube, dass die Doppelhutkonstruktion eines europäischen Außenministers, der in Personalunion sowohl die Kompetenzen des EU-Außenkommissars als auch die Kompetenzen des Hohen Vertreters für die gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik des Ministerrats besitzt, eine gute und richtige Lösung ist. Wir können nur hoffen, dass sich die Konventsmehrheit so entscheidet und dass es dann, wenn über die Vorlage entschieden wird, auch bei dieser Entscheidung bleibt. Denn der Irak-Krieg hat ja offenbart, wie weit Europa davon entfernt ist, mit einer Stimme zu sprechen und weltpolitisch Einfluss nehmen zu können. Er hat gezeigt, dass das ein ganz schwieriger Prozess ist.

Allerdings, Frau Kollegin Gräßle, Ihre Unterstellung, die Bundesregierung habe die europäische Einheit „mutwillig“ aufs Spiel gesetzt, ist meiner Meinung nach nun wirklich völlig abwegig.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Ich würde Ihnen raten, Ihre europapolitische Karriere nicht mit solch abstrusen Polemiken zu beginnen.

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Von wegen Polemik! – Abg. Theurer FDP/DVP: Sie meinte wahrschein- lich konkret den Bundeskanzler! – Abg. Fischer SPD: Kollege Theurer!)

Die Bundesregierung hatte die klare Position, dass sie diesen Irak-Krieg nicht wollte. Andere Nationen wie Großbritannien hatten eine andere Position.

(Abg. Scheuermann CDU: Sie sind viel zu schlau, als dass Sie nicht wüssten, wie wenig einleuchtend die Haltung der Bundesregierung zum Irak-Kon- flikt ist!)

Im Brüsseler Kompromiss – das habe ich hier an dieser Stelle schon einmal gesagt – hat man sich darauf geeinigt, dass man den Krieg als letztes Mittel keineswegs ausschließt, aber sehr wohl den Krieg als nächstes Mittel. Diese Position ist nach wie vor richtig.

Ich sage Ihnen bezüglich Ihres Hinweises auf die spanische Außenministerin: Der Papstbesuch in Spanien hat gezeigt, wo die spanische Bevölkerung und die spanische Jugend stehen: „Juan Pablo, olé, olé, olé!“ Da haben sie gezeigt, auf welcher Seite sie stehen: auf der Seite von Aznar oder auf der Seite derer, die sagen, Krieg müsse das letzte Mittel bleiben und dürfe nicht das vorletzte sein. Ich glaube, da brauchen wir uns gar nicht zu verstecken.

Solche Behauptungen aufzustellen, wie Sie, Frau Gräßle, das hier getan haben, kann den Integrationsprozess nicht befördern. Sie haben da eine verantwortungsvolle Aufgabe, wenn Sie zukünftig Europaparlamentarierin sind, und ich rate Ihnen, Reden zu halten, die Europa zusammenbringen und nicht weiter auseinander dividieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich meine, substanzielle Kritik ist immer erlaubt. Diese möchte ich mir jetzt gegenüber der von meiner eigenen Partei getragenen Regierung erlauben. Ich halte von diesem sicherheitspolitischen Militärprojekt von Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Belgien nicht sehr viel. Es kann nicht die Aufgabe Europas sein, zu glauben, man könnte militärstrategisch mit den USA konkurrieren. Da sind die uns viele Jahre voraus. Es geht darum, dass die europäischen Völker ihre Linie, nämlich Kriege möglichst zu verhindern, durch eine zivile Präventionsstrategie in den transatlantischen Prozess einbringen. Das ist in erster Linie unsere Aufgabe und nicht, militärstrategisch mit den USA zu konkurrieren. Wir müssen mit ihnen kooperieren und unsere Traditionen einbringen. Das erwarten, glaube ich, die Menschen in Europa von uns. Auch die schweren Brüche, die es im transatlantischen Bündnis jetzt gegeben hat, können wieder gekittet werden, wenn man da wieder eine gemeinsame Richtung einschlägt, und diese kann nur heißen, keine Konfliktherde aufkommen zu lassen und wenigstens einen Bruchteil dessen, was die USA in ihre Militärstrategie stecken, in friedenspolitische Präventionsstrategien zu stecken. Dann

kann das die europäischen Völker in dieser Frage wieder zusammen- und nicht auseinander bringen.

Ich glaube, das Motiv der Beitrittsländer ist unter anderem – ich finde das völlig legitim –...

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen.

... – ich komme sofort zum Schluss –, dass sie sich von dem Beitritt wirtschaftliche Prosperität versprechen. Ich glaube, das ist auch der Weg, in der ganzen Welt für Gerechtigkeit zu sorgen, denn Gerechtigkeit ist letztlich die Grundlage für Frieden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Dr. Palmer.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir diskutieren zum wiederholten Mal über den Europäischen Konvent, und das ist gut, damit wir uns immer wieder verständigen über den aktuellen Stand im Konvent, über die Beratungen in diesem Gremium, das den europäischen Verfassungsvertrag auf den Weg bringen soll. Aber diese Diskussion kommt jetzt in eine Phase – da hat der Kollege Kretschmann Recht –, in der es ernst wird. Wir befinden uns auf der Zielgeraden. Jetzt wird es konkret. Der erste Teil des Entwurfs, über den schließlich zu befinden sein wird, liegt auf dem Tisch.

Ich mache eine Einschränkung. Details des zweiten Teils des Vertrags, der für eine Gesamtbewertung, liebe Frau Kollegin Gräßle, in der Tat entscheidend ist, werden wir erst Ende Mai haben.

(Mehrere SPD-Abgeordnete unterhalten sich mit- einander. – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Unterhaltungen draußen zu führen.

Die einzelnen Politikfelder, die in dem komplizierten Vertragswerk bisher geregelt worden sind, werden im zweiten Teil des Vertrags enumerativ aufgezählt. Da kommt dann die Landwirtschaftspolitik, da kommt der Städtebau, da kommt der Umweltschutz, da kommt der Verbraucherschutz, und zwar sehr konkret, wie sich aus den bisherigen Vertragswerken ergibt. Erst dann wird eine Gesamtbewertung möglich sein, ob wir eine funktionstüchtige Kompetenzabgrenzung, eine klare Aufzählung der Kompetenzen bekommen oder nicht. Wir haben im Augenblick nur den Hauptteil, den ersten Teil des Vertragswerks, auf dem Tisch. Deshalb ist es für eine abschließende Bewertung wirklich zu früh. Ich will es so deutlich sagen. Die entscheidenden Diskussionen werden im Juni sein. Die Tagungsfolge des Konvents wird noch gewaltig zunehmen. In der ersten Junihälfte sind fast täglich Diskussionen im Konventsprozess zu erwarten.

Wir werden ein Problem haben. Für die Ergebnisfindung wird die so genannte Konsensmethode angewandt. Das heißt, es wird nicht bei den einzelnen Ziffern abgestimmt und eine Mehrheit gebildet, wie wir das parlamentarisch gewöhnt sind, sondern es wird versucht, die Mehrheit, den Konsens festzustellen. Da kann es leidvolle und für uns nicht akzeptable Kompromissbildungen geben, sodass ich nicht die Euphorie hier mildern möchte, aber doch zu einer gewissen Vorsicht mahne, weil wir erst im Juni klar sehen. Am 20./21. Juni wird beim Europäischen Rat in Thessaloniki bereits der Gesamtentwurf übergeben und dann vermutlich am 30. Juni in einer Sondersitzung die Regierungskonferenz eingesetzt. Jetzt wird es wirklich entscheidend sein, dass wir uns in diesem Entwurf im Juni in weiten Bereichen wiederfinden können.

Ich will heute über drei Themen sprechen und damit auch Ihre Debattenbeiträge aufgreifen: die Institutionen, die Kompetenzordnung und die regionalen Anliegen.

Bei den Institutionen steht die grundsätzliche Frage der Machtverteilung zwischen den Organen natürlich im Vordergrund. Die Stärkung von Kommission und Parlament zeichnet sich ab. Streitpunkt ist die gleichzeitige Stärkung des Rats durch einen europäischen Ratspräsidenten. Insbesondere die kleinen Mitgliedsstaaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind aus Eigeninteressen sehr gegen diesen Vorschlag. Und so wie für uns manches unerlässlich ist in der Konsensfindung, sind wir an dieser Stelle noch nicht sicher, ob wir eine Zustimmung in den kleinen Mitgliedsstaaten bekommen. Die Landesregierung hat sich immer dafür eingesetzt, weil wir in dieser europäischen Verfassung auch das Staatenprinzip zum Ausdruck bringen müssen, dadurch dass es eine Aufwertung der ständigen Repräsentanz im Europäischen Rat geben wird. Deshalb haben wir auch den deutschfranzösischen Vorschlag im Prinzip für richtig erachtet. Wir werden keine Europäische Union nur mit integrationistischen Elementen bauen können. Es wird immer ein Staatswesen sui generis sein, ein Verbund von Nationalstaaten und ein Verbund des europäischen Volkes, „von Völkern und Staaten“, wie es im Entwurf heißt, zwei Legitimationsquellen also.

Wenn das aber das Besondere an Europa ausmacht, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann werden wir auch immer eine besondere Konstruktion für den Europäischen Rat brauchen. Da stimme ich mit dem überein, was in der Debatte gesagt worden ist: Man wird bei 25, 28, in Zukunft 32 oder 35 Mitgliedsländern den Ratsvorsitz nicht halbjährlich wechseln können und nicht davon ausgehen können, dass Länder wie Malta, Zypern oder jedes osteuropäische Land die Verwaltungskraft haben, in diesem halben Jahr auch den Europäischen Rat voranzubringen. Wir brauchen Kontinuität, und deshalb geht es nur mit einem europäischen Ratspräsidenten, der länger im Amt ist, der mit gestärkten Kompetenzen im Amt ist und der ein Kontinuum innerhalb dieser Europäischen Union darstellt.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle und Rückert CDU)

Allerdings muss man die Kompetenzen zum Kommissionspräsidenten abgrenzen, damit wir keine Nebenregierung bekommen, und da liegt der Teufel im Detail; das wird die