Protocol of the Session on February 22, 2006

Aber gerade auf diesem Weg sind wir ja, Herr Staatssekretär. Wir unternehmen enorme Anstrengungen im Bereich früher, vor allem sprachlicher Förderung. Wir haben ein milliardenschweres Programm für den quantitativen und qualitativen Ausbau von Ganztagsschulen verabredet. In der Aktuellen Debatte heute früh ist dazu viel gesagt worden. Ich muss das jetzt hier nicht wiederholen.

Einen Schnitt in die Schulstruktur haben wir nicht vor. Dies gehört auch nicht – um es in veränderter Form zu wiederholen – zu den Hausaufgaben, die uns die PISA-Befunde stellen.

(Abg. Zeller SPD: Sehr wohl!)

Die Schulstruktur ist so oder so, gegliedert oder nicht, nur ein Faktor unter vielen. Die Behauptung, die Frage der Struktur, der Gliederung wäre die alles entscheidende Frage,

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

ist durch nichts, aber auch durch gar nichts belegt,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

am allerwenigsten durch PISA. Stete Wiederholung dieser Forderung

(Abg. Drexler SPD: Höhlt den Stein!)

ändert hieran nichts.

(Abg. Zeller SPD: Sie brauchen halt ein bisschen länger!)

Aber selbstverständlich ist natürlich auch, dass Schule sich stets und stetig weiterentwickeln muss, und zwar in den vorhandenen Strukturen und dort, wo es sich anbietet oder vor Ort von Eltern, der Schule selbst oder dem Schulträger gewünscht wird, auch über diese Strukturen hinaus. Richtig ist daher gerade für meine Fraktion auch: Wir brauchen mehr Flexibilität und bewusste Förderung zur Erprobung und Praktizierung, sei es des gemeinsamen Unterrichts verschiedener weiterführender Schularten, sei es einer längeren gemeinsamen Lernzeit in der Grundschule. Auch dies ist denkbar.

Wir wollen das nicht allen Schulen und nicht unserem Schulwesen insgesamt von oben überstülpen, aber wir wollen, dass solche neuen Formen von unten wachsen und gedeihen können und dann entsprechend in ihrer Entwicklung gefördert werden.

Meine Damen und Herren, die FDP/DVP-Landtagsfraktion lehnt das Gesetzesvorhaben der Grünen ab, da wir grundsätzlich am dreigliedrigen Schulsystem festhalten.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Da sind wir jetzt aber richtig überrascht!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Im internationalen Vergleich gibt es zwei Sonderwege im deutschen Bildungswesen: Der erste ist die Halbtagsschule mit einem verdichteten, Stress erzeugenden Unterrichtsvormittag, dem freien Nachmittag und der Tatsache, dass dadurch die Mütter zu Hilfslehrerinnen der Nation geworden sind und dass wir so viele Nachhilfeinstitute in Deutschland haben, wie es sie in keinem anderen Land der Erde gibt. Der zweite Sonderweg ist die frühe Aufteilung der Kinder nach nur vier gemeinsamen Grundschuljahren.

Herr Kollege Röhm, wenn Sie eben gesagt haben, dass im internationalen Vergleich diejenigen besser sind, die eine frühe Aufteilung haben, dann muss ich Sie fragen, woher Sie diese Information haben. Denn es gibt weltweit nur zwei Länder, die ihre Kinder so früh auf unterschiedliche Bildungsgänge aussortieren, und das sind Deutschland und Österreich. Österreich hat sogar im Prinzip ein zweigliedriges Bildungswesen. Diese rigorose Dreigliedrigkeit nach nur vier Grundschuljahren gibt es tatsächlich nur in Deutschland. Insofern betone ich: Es ist der deutsche Son

derweg, der diese massive deutsche Ungerechtigkeit im Bildungswesen erzeugt hat.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Seimetz CDU: Wenn man es richtig macht, ist es auch erfolg- reich!)

Beide Sonderwege im Bildungswesen müssen überwunden werden, wenn wir den Anschluss an gerechte und leistungsstarke Bildungssysteme finden wollen.

(Abg. Seimetz CDU: Zum Beispiel?)

Kollege Wintruff hat es schon gesagt: In den Bereich der Halbtagsschule ist ja Bewegung hineingekommen. Der Zug ist in der Tat abgefahren. Ich sage: Der Sonderweg Halbtagsschule ist ein Auslaufmodell. Denn auch Sie sagen mittlerweile, dass Sie die flächendeckende Ganztagsschule haben wollen.

(Zuruf von der CDU)

Nun, der Kultusminister ist nicht da –

(Zuruf von der CDU: Er ist hier!)

er hat erklärt, warum Sie am dreigliedrigen Bildungssystem festhalten wollen –, deshalb wende ich mich jetzt an meinen ehemaligen Kollegen Bildungspolitiker, den Staatssekretär – –

(Abg. Pfisterer CDU: Da sitzt er! – Weitere Zurufe von der CDU – Unruhe)

Gut, sorry.

(Anhaltende Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

Herr Kultusminister Rau, Herr Staatssekretär Wacker,

(Abg. Drexler SPD: Ja was noch?)

Sie betonen immer, dass das dreigliedrige Schulsystem sich bewährt habe, dass es begabungsgerecht sei, dass die Entscheidung für eine Schulart noch nicht die Entscheidung für einen Abschluss sei.

(Abg. Seimetz CDU: Alles richtig!)

Sie betonen, dass es im beruflichen Schulwesen noch möglich ist, höherwertige Schulabschlüsse zu erzielen.

(Abg. Herrmann CDU: Alles richtig!)

Es ist richtig, dass es in der Tat die Möglichkeit im beruflichen Schulwesen gibt. Aber auch hier gibt es Analysen des Statistischen Landesamts, die ganz klar belegen, dass auch im beruflichen Schulwesen gerade diejenigen Schüler und Schülerinnen, die am stärksten benachteiligt werden, nämlich diejenigen mit Migrationshintergrund und diejenigen aus sozial schwachen Familien, vorwiegend im BVJ und eben nicht im beruflichen Gymnasium zu finden sind.

Die TOSCA-Studie belegt, dass im beruflichen Gymnasium vor allem die Bildungsaufsteiger aus der Mittelschicht aus den Realschulen sind.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, verlegen Sie doch bitte die Unterhaltungen nach draußen. Der Stenografische Dienst kann sonst den Ausführungen der Rednerin nur schwer folgen.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Vor allem Ihre Behauptung, das gegliederte Schulsystem sei begabungsgerecht, stimmt natürlich absolut nicht. Sie werden auch keinen Wissenschaftler finden, der Ihre These unterstützt, dass es drei Begabungstypen gebe. Es gibt keine drei Begabungstypen. Jedes Kind lernt anders; alle Kinder lernen unterschiedlich. Deshalb wollen wir eine neunjährige Basisschule mit einer individuellen und differenzierten Förderung.

Das ist genau das, Herr Kollege Röhm, was in Finnland gemacht wird. Es gibt eine differenzierte Förderung in einem gemeinsamen Klassenverband. Das ist ein modernes Bildungskonzept mit einer modernen Unterrichtskultur, die nicht vorgibt, homogene Gruppen zu haben. Es gibt keine homogenen Gruppen, und weil jedes Kind eben anders lernt, brauchen wir eine solche Schule, die den Lernbedürfnissen aller Kinder gerecht wird.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, der Druck von unten wächst. Wir wollen den Schulen die Freiheit geben, sich zu Basisschulen weiterzuentwickeln. Es gibt Schulen im Land, die dies tun wollen, es gibt den Druck vonseiten des BadenWürttembergischen Handwerkstags, und auch die Eltern wollen diese Weiterentwicklung. Deshalb sagen wir: Wenn wir aufgrund der demografischen Entwicklung jetzt auch noch einen Schülerrückgang bekommen, dann brauchen wir diesen Zusammenhang zwischen der Weiterentwicklung der Lernkultur und der strukturellen Weiterentwicklung des Schulwesens. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit bereits weit überschritten.

Ja, ich komme zum Schluss.

Am Beispiel Südtirol können wir sehen, wie das funktioniert. In Südtirol gibt es eine gemeinsame Schule bis Klasse 8, es gibt keine Fachleistungsdifferenzierung, es gibt bis zur achten Klasse keine Noten, alle behinderten Kinder sind integriert – und Südtirol hat bei PISA genauso gut wie Finnland und Kanada und besser als Deutschland und auch Bayern abgeschlossen.

Wir wollen uns auf diesen Weg machen, und ich bitte Sie: Geben Sie den Schulen die Freiheit. Denn dann wird es