Protocol of the Session on December 14, 2000

In den Stiftungsrat wurden gewählt Frau Abg. Vossschulte, Herr Abg. Haas, Herr Abg. Reinelt, Herr Abg. Dr. Hildebrandt, Herr Abg. Kleinmann. Auf acht andere Abgeordnete entfielen zwölf Stimmen.

In das Kuratorium sind gewählt worden Herr Abg. Pfisterer, Frau Abg. Kipfer, Herr Abg. Dr. Salomon und Herr Abg. Dr. Glück. Auf fünf andere Abgeordnete entfielen neun Stimmen.

Damit ist Punkt 1 a der Tagesordnung abschlossen.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Ganztagsschulen – Drucksache 12/5014

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: fünf Minuten für die Begründung und fünf Minuten je Fraktion für die Aussprache, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch bei den Ganztagsschulen bildet Baden-Württemberg im Vergleich mit den anderen Bundesländern das Schlusslicht.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Was heißt „auch“? Wo sind wir sonst Schlusslicht?)

Sie von der CDU wollen ständig und stets Tabellenführer sein, sind es aber längst nicht. Ihre Märchen und Behauptungen werden zusehends entlarvt.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Der Städtetag, Herr Scheuermann, viele Eltern und Lehrer wollen, dass das Land aus dem Winterschlaf erwacht, und fordern mehr Ganztagsschulen im Lande. Auch die Wirtschaft sieht in einem ausreichenden Angebot an Ganztagsschulen einen wichtigen Standortfaktor für die Gewinnung von Fachpersonal.

Es ist eine traurige Negativbilanz, die Sie zu verantworten haben: Von den über 4 000 allgemein bildenden Schulen gibt es laut Ihrer Stellungnahme, Frau Ministerin, gerade einmal 54 Ganztagsschulen, zu denen in diesem Schuljahr zehn Schulen hinzukommen, an denen seit einigen Wochen wenigstens die fünfte Klasse Ganztagsunterricht erhält.

Noch im März dieses Jahres hat das Kultusministerium in der Presse verkündet, dass bis zum Schuljahresanfang 120 Ganztagsschulen an Hauptschulen eingerichtet werden sollten. Und dann kommen gerade mal zehn Schulen heraus. Ich sage: Dies ist ein jämmerliches Ergebnis.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dies ist eine klägliche Bilanz, meine Damen und Herren. Schuld daran sind Sie, Frau Ministerin, da Sie bei der administrativen Umsetzung politischer Ziele schlichtweg unfähig oder überfordert sind.

(Widerspruch bei der CDU)

Offensichtlich haben Sie die Notwendigkeit eines flächendeckenden Angebots an Ganztagsschulen bis heute nicht erkannt, und Ihre Koalitionsvereinbarung ist diesbezüglich das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In fünf Jahren ist es dieser Regierung und dieser Kultusministerin immerhin gelungen, ganze zehn neue Ganztagsschulen im Land einzurichten

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Gewaltige Leis- tung!)

und deren Zahl von 44 zum Schuljahresbeginn 1996/97 auf jetzt 54 zu steigern. „Bravo!“ kann man da nur sagen. Wenn man Sie in diesem Tempo weitermachen ließe, dann wären bis in 50 Jahren wahrscheinlich sogar schon alle 127 Brennpunktschulen zu Ganztagsschulen umgewandelt, die in Ihrem Schulentwicklungsplan vorgesehen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In nicht einmal 2 % der allgemein bildenden Schulen des Landes wird Ganztagsunterricht angeboten – ein Armutszeugnis, so sage ich, für Ihre Bildungspolitik, ein Hemmschuh für die wirtschaftliche und beschäftigungspolitische Entwicklung, gerade auch für die Berufstätigkeit von Frauen, und ein Beleg für Ihre ideologische Verbohrtheit, mit der in diesem Land konservative Bildungspolitik betrieben wird.

(Unruhe)

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern – nehmen Sie sich an denen ein Beispiel – haben Sie neben dem fehlenden Willen auch kein schlüssiges Konzept für ein deutlich größeres Angebot an Ganztagsschulen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an Nordrhein-Westfalen.

(Unruhe)

Ein Drittel der Schulen der Sekundarstufe I in NordrheinWestfalen sind Ganztagsschulen oder haben Ganztagsangebote. Bei den Hauptschulen sind es 60 %, meine Damen und Herren. Und hier sind es gerade mal 2 %.

Unser Land braucht dringend ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen und von Ganztagsunterricht, und zwar nicht nur an den so genannten Brennpunktschulen, sondern an allen Schularten.

(Zuruf des Abg. Kiefl CDU)

Sie erweisen im Übrigen auch der Ganztagsschulidee einen Bärendienst, wenn Sie dieses Etikett mit Brennpunktschulen verbinden und ihm damit einen sozialen Makel anheften. Wir wissen doch, dass der Wandel der gesellschaftlichen Anforderungen zu einem neuen Leistungsprofil führt und nicht nur die Stoffvermittlung und das Faktenwissen in den Vordergrund stellt, sondern auch den Erwerb von Schlüsselqualifikationen, von Lernen, von ganzheitlichem Lernen. Kreativität, Fantasie, all dies sind wichtige Bereiche, die soziale Kompetenz, die kulturelle Kompetenz. All dies ist heute in einem Schulwesen notwendig.

Völlig zu Recht lehnt auch die Wirtschaft eine Beschränkung der Ganztagsschulen auf reine Brennpunktschulen ab. Sie fordert – und ich zitiere hier –:

Ein breites Ganztagsangebot an allen Schulformen, das in zumutbarer Entfernung für die Schüler zu erreichen ist, erleichtert Eltern die Entscheidung für die dem Kind gemäße Schulform.

Dies können Sie einer Schrift der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände entnehmen.

Den Bedarf an Ganztagsschulen veranschlagen die Arbeitgeberverbände für die allgemein bildenden Schulen auf mindestens – und jetzt hören Sie bitte genau zu – 20 bis 30 %. Eine Studie des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft aus dem Jahre 1991, also noch zu Zeiten der Kohl-Ära, hatte sogar einen Bedarf von 40 % Ganztagsschulen ermittelt. In Baden-Württemberg – ich sage das zu Ihrer Erinnerung nochmals – sind es nicht einmal 2 %!

Meine Damen und Herren, Sie schaden damit den Kindern und Jugendlichen und verwehren vielen die Chancengleichheit; denn vielen Kindern und Jugendlichen bieten Ganztagsschulen eine echte Chance für bessere Lernbedingungen – für Lehrer und Schüler gleichermaßen –, und sie sind eine hervorragende Voraussetzung für eine bessere und intensivere Erziehungs- und Beziehungsarbeit.

Für viele Väter und Mütter sind Ganztagsschulen eine Chance, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Dies gilt erst recht für Alleinerziehende. In Baden-Württemberg sind zwei Drittel aller Frauen zwischen 20 und 60 Jahren berufstätig, und deutlich über die Hälfte von ihnen haben Kinder im schulpflichtigen Alter. Vor allem diese Familien werden mit ihren täglichen Problemen schmählich von Ihnen im Stich gelassen, wenn es darum geht, Beruf und Familie in Einklang zu bringen.

(Beifall bei der SPD)

Auch von der Wirtschaft wird dies längst nicht mehr akzeptiert und als realer Standortnachteil gesehen, weil Ihre Weigerung zur Einrichtung von Ganztagsschulen eben kein Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und das Potenzial qualifizierter Frauen in der Wirtschaft behindert, anstatt es zu fördern.

Wissenschaftlich erwiesen ist auch, dass Kinder und Jugendliche an Ganztagsschulen größere Lernerfolge erzielen und die Zahl der Schulabbrecher geringer ist. Die Lernbedingungen sind an Ganztagsschulen besser. Sie fördern die soziale Integration.

In Ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag haben Sie nicht im Ansatz die Notwendigkeit der flächendeckenden Errichtung von Ganztagsschulen erkannt, weil Sie Ganztagsschulen sonst nicht lediglich auf so genannte Brennpunktschulen reduziert hätten.

Gefragt nach Ihren Planungen zum Ausbau von Ganztagsschulen reden Sie von der verlässlichen Grundschule und gehen nicht auf das eigentliche Thema ein. In der Schule würde man, wenn man eine solche Antwort bekäme, sagen: Frage nicht beantwortet, setzen.

(Abg. Köberle CDU: Setzen Sie sich doch! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Die entsprechende Note ergibt sich dann zwangsläufig.

Obwohl die Akzeptanz von Ganztagsschulen nicht nur beim Städtetag, sondern auch beim Handwerk, bei Handel, Gewerbe und der Industrie längst unbestritten ist, sind Sie

nicht in der Lage, die 127 Anträge auf Einrichtung einer Ganztagsschule zu genehmigen. Hier rächt sich, dass Sie unseren Anträgen auf zusätzliche Stellen in den letzten Haushaltsberatungen nicht zugestimmt haben.

(Beifall der Abg. Brechtken und Ursula Haußmann SPD)

Schulen und Kommunen, die örtliche Ganztagskonzepte erarbeitet und für ihre Situation Schulprogramme erstellt haben, lassen Sie jämmerlich hängen, weil Ihnen solche Schulen offenbar trotz aller verbalen Sprüche nicht ins Weltbild passen. Anstatt mit den Kommunen zusammenzuarbeiten und sie zu ermuntern, weitere Ganztagsschulen einzurichten, treiben Sie eine unverantwortliche Abwehrbürokratie. Wir im Land brauchen, meine Damen und Herren, ein mit den Kommunen abgestimmtes Konzept für einen flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen für alle Schularten und eine deutliche Reduzierung des Klassenteilers.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, zur Aussprache rufe ich jetzt noch den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 12/5827, der soeben ausgeteilt wurde, auf.