Protocol of the Session on December 12, 2002

Wir kennen alle die momentane Katastrophenlage der Stadt: 7 % Umsatzrückgang im Einzelhandel in den ersten drei Quartalen, 30 % allein im Möbelhandel; Umsatzrückgänge im Einzelhandel seit zehn Jahren ohne Unterbrechung. Das ist eine ernsthafte Katastrophenlage, einmal abgesehen von einem katastrophalen Haushalt. Das ist durchaus der Flutkatastrophe an der Elbe gleichzusetzen. Deshalb haben wir den § 23 Ladenschlussgesetz aufgenommen. Hier liegt öffentliches Interesse vor. Hier kann der Senat eingreifen. Hier kann er Gebrauch machen von dem Mittel, die Ladenschlusszeiten auszusetzen, bis sie über eine Bundesratsinitiative abgeschafft werden.

[Beifall bei der FDP]

Was will Herr Wowereit? – Herr Wowereit ist auf dem richtigen Weg. Er ist immerhin schon bei 20 Uhr. Allerdings muss er noch mit den Plastiktüten von Verdi rechnen. Sie werden kommen und ihm die Sache durchkreuzen. Hier gilt es, zusammenzustehen und gegen die Leute, die sich gegen jede zukunftsgerichtete Entwicklung stellen, nämlich Verdi, vorzugehen.

Nun ein Wort zur Umsatzerweiterung. Sie behaupten, der Umsatz werde nur verlagert, und es komme nicht zu mehr Umsatz. An dem Beispiel mit der Polizeistunde vom Anfang meiner Rede können Sie sehen, dass der Tourismus zu mehr Umsatz beiträgt. Letztlich kann es uns egal sein – das muss man im Sinne unserer Stadt ernsthaft sagen –, ob die Leute in Castrop-Rauxel dadurch weniger

Wie kann die FDP sich in einer solchen Situation, in der derzeit quer durch alle anderen politischen Lager bunt über weitere Möglichkeiten diskutiert wird, noch profilieren? – Ihr Vorschlag an sich geht in eine grundsätzlich richtige Richtung. Aber dass die Aussetzung des Ladenschlusses in Berlin durch eine Klausel für Notstands- und Katastrophensituationen das Richtige ist, bezweifle ich. Ich weiß nicht, Herr von Lüdeke, was Sie unter Notstand verstehen. Wir haben da wohl verschiedene Vorstellungen.

Letzten Endes führt das leider dazu, dass man Ihren Antrag nicht wirklich ernst nehmen kann. Ich rate Ihnen auch, Ihr staatsbürgerliches Verständnis noch ein bisschen zu prüfen – jedenfalls dann, wenn Sie irgendwann einmal eine seriöse Regierungsbeteiligung im Auge haben.

Nichtsdestotrotz halten wir eine weitere Flexibilisierung auf jeden Fall auch für sinnvoll. Wir denken für Montag bis Samstag an eine Zeit von 22 Uhr. Das ist für eine Metropole wie Berlin genau das Richtige. Wir brauchen diese Zeit auch im europäischen Städte- und Tourismuswettbewerb.

Umsatz machen. Wir wollen den Umsatz von CastropRauxel in Berlin, und damit wollen wir auch das Steueraufkommen in Berlin. So einfach ist das.

[Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Brauer (PDS)]

Wir wollen eine Anpassung an die Kundenströme und an die Kundeninteressen. Das betrifft in erster Linie Citylagen, wo die Touristen sich aufhalten. Das betrifft den Kurfürstendamm, die Friedrichstraße, die Arkaden am Potsdamer Platz und einige Center. Dort gehen die Touristen hin. Sie werden sich wundern, was passiert, wenn die Läden geöffnet bleiben können. Wenn zum Beispiel das KaDeWe oder andere geöffnet bleiben sollten – wenn der Personalrat einmal mitspielt –, werden Sie sich wundern, welche Umsätze diese Geschäfte am Freitag oder Sonnabend machen. Und zusätzlicher Umsatz heißt zusätzliche Beschäftigung und mehr Steuern. Dazu müssen wir uns durchringen, das müssen wir hinbekommen.

Und dann denke ich noch an die vielen Einzelhändler, wo die Ladeninhaber selbst noch im Laden stehen. Sie werden von dieser Regelung auch Gebrauch machen und sagen: Wenn die Umsätze heute gut sind, lassen wir das Geschäft bis 21 oder 22 Uhr auf. Und am nächsten Samstag, wenn es regnet, machen wir um 15 Uhr zu, weil keine Kunden kommen. – Dahin wollen wir: Jeder so, wie er will, und so, wie er kann, und das auch nicht reglementiert, wie es die Grünen wollen.

[Beifall bei der FDP]

Die Devise ist: Mehr Umsatz, Beschäftigung, Steuereinnahmen gibt es nur, wenn das Ladenschlussgesetz wegfällt.

[Bravo! und Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr von Lüdeke! – Für die SPD spricht Frau Hildebrandt. Ich bitte herzlich um geneigtes Zuhören und einen etwas leiseren Geräuschpegel trotz der fortgeschrittenen Stunde.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren, insbesondere von der FDP! Blöd, wenn man so überflüssig ist wie die FDP inzwischen bei diesem Thema!

[Beifall bei der SPD – Ja! von der PDS]

Dass man das auch noch unbedingt in einen solchen Antrag produzieren muss, ist an Ihrem politischen Verständnis nicht unbedingt zu loben. Aber Sie werden sich Ihr eigenes Grab schon irgendwie zurechtschaufeln. Ich finde es sehr schade, dass Sie das nicht anders können als mit einer Flucht in die bodenlose Übertreibung. Leider, meine Damen und Herren von der FDP, hat die Bundesregierung Sie bereits ein ganzes Stück überflüssig gemacht. Sie hat die politische Situation und Zustimmung in allen Lagern richtig eingeschätzt, den gemeinsamen Nenner herausgenommen und mit einer hohen Geschwindigkeit Änderungen herbeigeführt, so dass künftig an Samstagen eine Flexibilisierung des Ladenschlusses erreicht ist.

[Beifall bei der SPD]

[von Lüdeke (FDP): Fragen Sie mal Herrn Sarrazin!]

[Thiel (FDP): Hört, hört!]

[Beifall bei der SPD]

Wir werden um Verbündete werben, um auch für Berlin diese Vorteile zu nutzen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Danke schön, Frau Hildebrandt! – Die Grünen schließen an mit Frau Paus. – Bitte sehr, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr von Lüdeke! Sie machen es einem wirklich nicht einfach! Sie haben die Aufhebung der Sperrstunde in Berlin vorgeschlagen. Erst einmal: Ihr Antrag ist durch und durch unseriös. Ich bin entsetzt über die rechtlichen Grundlagen. Dass Sie als Jurist sich nicht in Ihrer juristischen Ehre gekränkt fühlen, Herr Lindner! Sie müssten zumindest in irgendeiner Form nachweisen, inwieweit eine Abschaffung des Ladenschlusses tatsächlich eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Basis gewährleisten würde.

[Dr. Lindner (FDP): Das kann man nur machen, wenn man’s macht!]

Ich hatte gerade auch eine nette Anregung aus meiner Fraktion. Viele Leute kamen nach Berlin, weil es hier keine Wehrpflicht gab. Das wäre eine durchschlagende Maßnahme zur wirtschaftlichen Stabilisierung Berlins: Schaffen wir für Berlin die Wehrpflicht wieder ab, dann sind wir einen guten Schritt weiter! – Auf der Ebene bewegt sich Ihr Argument.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Liebich (PDS): Für alle! Ihr könnt das machen!]

Den dritten Punkt bei dem erwähnten Dreiklang sehen wir darin, dass auch das Angebot im öffentlichen Nahverkehr verbessert werden muss. Es sollte sich an die veränderten Öffnungszeiten anpassen. Das wäre für die Berliner Bevölkerung gut, das wäre aber auch für den Tourismus gut. Deshalb sollten die Taktzeiten zwischen 20.00 Uhr und 21.00 Uhr erhöht werden. Wenn wir diesen Dreiklang in Berlin umsetzen, dann haben wir etwas aus dieser Initiative gemacht. So werden wir das Beste für Berlin mit der verlängerten Ladenöffnungszeit erreichen. – Herzlichen Dank!

Danke schön! – Die Rednerliste wird fortgesetzt von der Fraktion der PDS. Es spricht der Kollege Pewestorff. – Bitte schön!

Ich darf auch noch einmal um etwas mehr Ruhe bitten, damit die Redner und Rednerinnen das Gefühl haben, dass man ihnen aufmerksam zuhört.

Herr Präsident! Es ist fast alles schon gesagt, nur nicht von der FDP-Fraktion. Deshalb musste diese Rederunde sein.

Dass die Debatte zum Ladenschluss stattgefunden hat, war festzustellen: Herr Liebich äußerte sich mit einer Uhrzeit, der Regierende Bürgermeister toppte, und offensichtlich hat Herr Schröder beides gehört und die goldene Mitte genommen. Weil es seine Aufgabe ist, handelte er auch, weshalb wir seit gestern wissen, was als Entwurf in den Bundestag eingebracht worden ist.

Nichtsdestotrotz finden auch wir, dass die Entscheidung des Bundeskabinetts eine gute Entscheidung ist, gerade für Berlin. Die Besonderheit für die Friseurinnung hat sich mir nicht richtig erschlossen, aber das brauchen wir jetzt nicht zu diskutieren. Der zentrale Punkt ist: Damit ist tatsächlich gewährleistet, dass wir von Montag bis Samstag endlich eine einheitliche Regelung bekommen, Öffnungszeiten bis 20 Uhr. Die Verlängerung am Samstag ist gerade für Berlin attraktiv. Es gibt in der Stadt zurzeit sicherlich nicht dadurch mehr Umsatz, dass die Arbeitslosen ihre Zeit zusätzlich nutzen, um das Geld, das sie nicht mehr haben, in die Kaufhäuser zu tragen. Es geht darum, den Touristen ein attraktiveres Angebot zu machen, damit tatsächlich mehr Umsatz generiert werden kann, weil mehr Kaufkraft gebunden werden kann. Davon haben die Touristen etwas und davon hat die Stadt Berlin etwas, insbesondere für die City-Lagen. Das ist eine gute Sache.

Aber wir als Grüne sagen ganz klar: Dazu braucht es zusätzlich einen Dreiklang. Zur einheitlichen Regelung der Öffnungszeiten Montag bis Samstag von 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr

[Eßer (Grüne): Jetzt muss die FDP zuhören!]

gehört für uns auch, sämtliche Ausnahmeregelungen – Berlin ist auf diesem Gebiet einsame Spitze – endlich abzuschaffen.

[Beifall des Abg. Liebich (PDS)]

Die derzeitige Situation in Berlin ist intransparent und nur mit hohem Personalaufwand zu erreichen. Allein für die Genehmigungen braucht man viele Leute, genauso für die Überwachung. All dies könnte verwaltungstechnisch eingespart werden. Lassen Sie uns zu der einfachen Regelung kommen: montags bis samstags 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Dann haben wir auch noch die Kirchen zusätzlich auf unserer Seite, der Sonntag sollte frei sein.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen von Lüdeke?

Ach, Herr von Lüdeke, nicht noch einmal. Das muss ich heute Abend um kurz vor zehn nicht noch haben, vielleicht danach.

[Oh! bei der FDP]

Der zweite Punkt: Es muss dabei auch gewährleistet werden, dass endlich die Kinderbetreuung der Beschäftigten auch während der verlängerten Öffnungszeiten sichergestellt wird.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

80 % der Beschäftigten im Einzelhandel sind Frauen, viele dieser Frauen haben Kinder. Dafür muss Sorge getragen werden, das muss bei den tarifpolitischen Gesprächen eine Rolle spielen. Hier ist aus unserer Sicht der Senat in der Pflicht, bei der Kinderbetreuung einen Beitrag zu leisten.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Bislang ist aus meiner Sicht zu Unrecht etwas wenig über den konkreten Anlass unserer Debatte, einen Antrag der FDP-Fraktion, gesprochen worden. Wir erinnern uns: Flüsse traten über die Ufer, Menschen wurden an Hab und Gut bedroht, und die FDP denkt an § 23 Ladenschlussgesetz. Städte versinken in einer Flut, Kunstschätze werden vernichtet, und die FDP denkt an § 23 Ladenschlussgesetz. Deutschland übt Solidarität, Menschen kommen zu Hilfe, und die FDP denkt an § 23 Ladenschlussgesetz.

[Thiel (FDP): Sind wir bei „Wolf und Rüffel“?]

Es scheint etwas bei ihrem Koordinatensystem durcheinander zu gehen.