Protocol of the Session on March 29, 2000

Vielleicht war dieser Konflikt auch heilsam für uns, vielleicht hat er uns wieder etwas näher an die Priorität herangebracht, die diese Stadt auch bitter nötig hat. Kunst und Kultur sind nicht nur der Gradmesser für den Bewusstseinsstand, sondern auch ein indirekter Faktor für die Wirtschaftsansiedlung. Heute entscheiden sich Unternehmen für einen Standort danach, wie die weichen Ansiedlungsfaktoren sortiert sind: die Ausbildung, die Bildung, die Forschung, die Wissenschaft, die Kunst und die Kultur. Jeder, der beim Thema Kultur versucht, parteipolitisch zu polemisieren, polemisiert gegen die Arbeitsplätze. Wir wollen, dass Berlin die Kulturhauptstadt Deutschlands bleibt. Sie können sich darauf verlassen, dies wird nicht nur im Haushalt 2000, sondern auch im Haushalt 2001 dokumentiert werden. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Ströver das Wort – bitte sehr!

[Kittelmann (CDU): Das ist Miss Marple!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Na, Herr Landowsky, so langsam kommt die Zeit, wo nichts mehr im Griff auf dem sinkenden Schiff ist.

[Niedergesäß (CDU): Na, na!]

Karneval ist vorbei, und ich habe gehört, dass in diesem Jahr die komödiantischen Haushaltsabschlussreden ausfallen – wahr

scheinlich wollen Sie sie hier schon einmal halten. Es hat aber wirklich nichts, aber auch gar nichts zu tun mit dem Thema, mit dem wir uns hier heute befassen.

[Niedergesäß (CDU): Ja komm’ mal zur Sache!]

Endlich ist sie auf dem Tisch, die Misere um die Finanzierung des Kulturetats. Der Rücktritt von Frau Thoben belegt, das Finanzierungssystem für die Berliner Kultur stimmt hinten und vorne nicht. Dass dies so ist, ist nicht das Verschulden von Frau Thoben, Herr Landowsky, es ist die Hinterlassenschaft von Kultursenator Radunski aus der letzten Legislaturperiode. Die Gesamtverantwortung für das Dilemma haben Sie, Herr Regierender Bürgermeister.

[Niedergesäß (CDU): Oh!]

Deshalb erwarten wir von Ihnen, dass Sie sich dieser Verantwortung für das Haushaltsdebakel stellen, über das wir heute auch insgesamt reden.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Nach Radunski, der nach einer Legislaturperiode des Zukleisterns von Problemen und Schönredens rasch das Weite gesucht hat, ist Frau Thoben nach nur 100 Tagen Amtszeit als Kultursenatorin gegangen. Das ist nicht gerade ein Ruhmesblatt, da haben Sie Recht, Herr Landowsky. Das sei hier schon noch einmal angemerkt, zumal die öffentlichen Mystifizierungen des Handelns von Frau Thoben immer größere Ausmaße annehmen.

Wer mit einem weltläufigen – so sollte man meinen – politischen Erfahrungshintergrund wie Frau Thoben nach Berlin kommt, der oder die muss eigentlich wissen, was sie hier erwartet. Wie konnte Frau Thoben nur so blauäugig sein und ohne Kenntnisse über die Situation der Berliner Kultur und ohne sich genau über die Finanzierungslöcher bei der Kultur informiert zu haben, hier überhaupt antreten? Im Nachhinein erweist sich dieser Schritt als Beweis von besonderer politischer Naivität. Ein Abgang a` la Oskar, Frau Thoben, das ist kein starker Abgang!

[Beifall bei den Grünen]

Aber, meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie haben diese Senatorin ins offene Messer laufen lassen. Sie haben sie nicht beraten und nicht dafür gesorgt, dass sie die Unterstützung bekommen hat, die eine Kultursenatorin braucht, um den radunskischen Augiasstall auszumisten.

[Beifall bei den Grünen – Niedergesäß (CDU): Na, na, na!]

Dass Frau Thoben ausgerechnet Herrn von Rohr zum Kulturstaatssekretär gemacht hat, lässt allerdings auch tief blicken: ein Fehlgriff auf ganzer Linie. Hier hat die Senatorin einen Bock zum Gärtner gemacht. Einer, der als Operndirektor in der Deutschen Oper natürlich mit verantwortlich war für das 19-MillionenDM-Defizit, wurde geholt, um als angeblicher Kenner der Berliner Kulturszene dort selbst aufzuräumen – ein geradezu lächerlicher Vorschlag.

[Beifall bei den Grünen]

Wer hat diese Kultursenatorin bei dieser fatalen Personalentscheidung beraten? – Offenbar niemand, oder Böswillige aus den eigenen Reihen.

[Niedergesäß (CDU): Na, na!]

Und dass dieser Herr von Rohr kurz vor dem Abgang der Senatorin auch noch zum Beamten auf Lebenszeit gemacht wurde, ist geradezu eine Unverschämtheit und bestätigt wieder einmal alle diejenigen, die von der Selbstbedienungsmentalität der Politik reden.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Frau Thoben hat das Handtuch schon in der ersten Runde der Haushaltsberatungen 2000 geschmissen mit der Begründung, es fehle an auskömmlicher Finanzierung für den Kulturetat und es mangele am fähigen Personal. Wen mochte sie beim Personal wohl gemeint haben? – Nun, ihren unglückseligen Staatssekretär haben wir schon benannt. Aber was ist das für eine Ver

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waltung, die Vorschläge macht, dem Berliner Ensemble 2,4 Millionen DM vertraglich zugesagter Zuwendungen wegzunehmen und sie dann dem defizitären Deutschen Theater zuzuschustern? Was ist das für eine Verwaltung, die eine Senatorin so unvorbereitet in Haushaltsberatungen in den Unterausschuss Theater schickt, dass selbst uns als Oppositionsfraktion das Mitgefühl überfällt angesichts der Unkenntnis zu einzelnen Vorgängen, deren Hintergrund sie schließlich von uns Parlamentariern erfahren musste? – Wie kann es nur möglich sein, dass einem potenten Sponsor in Berlin quasi untersagt wird, sich selbst auszusuchen, welches Kulturprojekt, welche Operninszenierung er unterstützt? – Das alles ist so absurd. Ich kann nur sagen, wir brauchen für Berlin an allen Ecken und Enden Menschen, die die Kultur fördern, private Unterstützung. Wir dürfen nicht solche Leute vergraulen und ihnen signalisieren: Euer Geld brauchen wir nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Besonders krass war in den letzten Tagen der Amtszeit von Frau Thoben die Finanzierungsdebatte um den Ausbau der Museumsinsel. Da wurde die Beschleunigung der Sanierung beschlossen. Doch niemand hat sich darum gekümmert, woher die zusätzlichen 25 Millionen DM im Berliner Haushalt beschafft werden sollen. Dann hieß es: Das machen wir mit EU-Fördermitteln. Tatsächlich ging dann auch die schriftliche Zusage aus der Finanzverwaltung ein: 25 Millionen DM sind da. Zwei Tage später hieß es: April, April! – Dem Unterausschuss Theater wurde mitgeteilt, dem Hauptausschuss auch: Wirtschaftssenator Branoner hat selbst 120 Millionen DM Miese in seinem Etat, also hat er auch keine Möglichkeit, 25 Millionen DM für die Museumsinsel bereitzustellen. Und nun – Branoner ist ja in den USA – hören wir gestern Abend vom Regierenden: Es ist jetzt doch wieder da. – Wo mögen sie vom Himmel gefallen sein? Wenn Herr Branoner aus den USA zurückkommt, werden wir wahrscheinlich das Geld wieder suchen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Radunski hat es in der vergangenen Legislaturperiode auf fatale Weise versäumt, sinnvolle Strukturmaßnahmen mit den Berliner Kultureinrichtungen zu verabreden. Dabei hat der gesamte Senat die Landesbühnen allein gelassen, wenn es darum ging, die Tariferhöhungen zu bezahlen. Wir wollen betriebsbedingte Kündigungen nicht, doch wie zu viel vorhandenes Personal auf die Etats der Häuser drückt, das müssen wir alle zusammen angehen und nicht einfach auf die lange Bank schieben. Radunski hat gewurstelt, und selbst die Kulturszene und die Öffentlichkeit fand den Kugelblitz prima. Zuletzt hat er auch noch den BZ-Kulturpreis erhalten. Geben Sie ihn zurück, Herr Radunksi! Nicht einmal diese Auszeichnung haben Sie verdient. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Die erste Bemühenszusage – das schöne Wort, das wird uns noch verfolgen als Unwort des Jahres 2000 – hat Herr Radunski übrigens Rene´ Kollo gegeben, der das Metropol-Theater übernahm. Geld versprochen, nichts geliefert. Man lasse ein Theater mit nicht erfüllten Bemühungszusagen in Konkurs gehen, erkläre, man wolle es bald wiedereröffnen, nehme die Haushaltsrestgelder von 1997, 1998, 1999, stopfe damit die größten Löcher im Haushalt und komme über die Runden. So wollen wir keine Kulturpolitik mehr machen, nicht von Ihnen und von niemandem sonst. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Ja, für Frau Thoben war kein Metropol-Topf mehr da. Und auch der Bund gibt nichts mehr, und schon gar nicht, wenn Sie sich so aufführen wie Sie, Herr Landowsky. Ich kann Ihnen nur sagen, wir brauchen den Bund. So, wie Sie sich hier aufführen, wird er uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen und nicht mehr geben, obwohl wir uns sehr wünschen, dass er uns mehr gibt.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Gut, Frau Thoben hatte keinen Metropol-Topf, und auch der Bund gibt nicht mehr die 60 Millionen DM zusätzlich wie 1999 als Wahlkampfgeschenk an die große Koalition. Hauptstadtförderung, da müssen wir sehen, ob wir langfristig mehr kriegen als die zugesagten 100 Millionen DM. Aber auch der Lottotopf, Ihr Lottotopf, kann nicht für jedes Ressort als Nottopf herhalten.

[Wowereit (SPD): Das stimmt!]

Es ist absolut klar, das hat auch zu tun mit der öffentlichen Sitzung des Unterausschusses Theater, diese kreativen Tage der Haushaltsführung, die sind allemal vorbei. Und das ist gut so.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt liegt das alles offen auf dem Tisch, und wir müssen allesamt verantworten wie es weitergeht. An die Intendanten gerichtet will ich sagen, dass wir von ihnen auch einen realistischen Blick auf die Lage des Landeshaushalts erwarten und nicht mehr, wie bei vielen, ein bloßes Mehr, Mehr, Mehr. Wir müssen mit ihnen gemeinsam und ohne Tabus die Haushaltslage durchgehen und nicht länger denen, die davonlaufen, attestieren, sie seien gute Politiker.

Herrn Wowereit möchte ich sagen: Es sollte auch für Sie gelten, dass Berlin es sich nicht leisten kann, per Zeitungsinterview große Künstler aus der Stadt zu verjagen.

[Beifall bei den Grünen – Wowereit (SPD): Aha!]

Wir als Opposition stellen uns der Verantwortung, und wir stellen uns hinter die Berliner Kultur, weil wir ganz genau wissen, dass das, was in den großen und den kleinen Kultureinrichtungen Tag für Tag geboten wird, das ist, was diese Stadt interessant und lebenswert macht. Das wollen wir erhalten. Deswegen haben wir hier in der gesamten Haushaltsberatung, und wir machen es heute noch mal, konstruktive Vorschläge gemacht. Wir legen heute einen Antrag vor, um das endlich aufzuholen, was Sie in der großen Koalition in den letzten vier Jahren, was Radunski versäumt hat, und was dazu geführt hat, dass wir jetzt, wenn wir nicht handeln, wirklich mit sehenden Augen die Kultur dieser Stadt vor die Wand fahren.

Unsere Vorschläge kurz benannt: Wir schlagen vor einen gemeinsamen Kulturpersonalpool, an dem sich die Einrichtungen nur noch zur Hälfte beteiligen. Das ausgelagerte Personal entlastet die Etats der Häuser und ist an anderer Stelle unter Aussparung teurer Aushilfen einsetzbar.

Viele Einrichtungen könnten sparen, wenn sie die Chance zu vorheriger Investition hätten. Hier wollen wir einen Bürgschaftsfonds schaffen. Bauinvestitionen wie die bei der Volksbühne müssen sein. Denn wir wollen nicht eine Schließung auf schleichendem Wege, wo wir denn womöglich die Baupolizei ins Haus schicken und die dann sagt: Ende, aus! Das ist dann die Methode Metropol-Theater; das nicht mit uns.

[Beifall bei den Grünen – Wowereit (SPD): Ach was!]

Wir haben Vorschläge gemacht, damit die Mittel durch Umschichtung bereitgestellt werden können, genauso wie bei der Schaubühne, der man nicht erst eine neue künstlerische Aufgabe geben kann mit einem Tanz- und einem Theaterensemble, um dann zu sagen: kein Geld da. Das geht nicht.

Wir wollen den Bund auch stärker in die Verantwortung nehmen. Dabei wissen wir, dass die rot-grüne Bundesregierung schon mehr für die Berliner Kultur gemacht hat. Herr Landowsky, da hat Ihnen Ihr Redenschreiber etwas Falsches aufgeschrieben. Jetzt bekommen wir 100 Millionen DM, unter Kohl gab es 60 und keinen Pfennig mehr, um das noch einmal deutlich zu sagen.

[Beifall bei den Grünen]

Aber wir brauchen eine klar definierte Aufgabenteilung zwischen der Bundeskulturförderung und dem Land. Das bedeutet Schluss mit dem Gießkannenprinzip, wo Bundesfördermittel in den Haushaltslöchern verschwinden und klare Verantwortlichkeiten für überregionale repräsentative Kultureinrichtungen dann eben nicht übernommen werden. Wir wollen das aber gerne. Wir wollen, dass der Bund diese repräsentative Kultur übernimmt.

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