Protocol of the Session on June 14, 2001

Ich sage nur – auch beruhigend in Richtung der CDU: Viel ist unsicher an dem Wahlausgang, aber eines steht fest: Gregor Gysi wird nicht Regierender Bürgermeister von Berlin werden.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Schlede (CDU): Auch eine Form der Abgrenzung! – Zuruf des Abg. Over (PDS)]

Ich möchte Ihnen gern noch einmal zur Kenntnis bringen, was Heribert Prantl zu Ihrem Verhalten als CDU, zu Ihrem kopflosen und wirklich merkwürdigen Verhalten in der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben hat. Die Überschrift lautet: „Jeder outet sich auf seine Weise.“ – Und er sagt zu Ihren Überlegungen zur Direktwahl:

Eine solche Überlegung wäre jedenfalls respektabler als der Versuch der CDU, mal eben schnell aus taktischen Gründen die Landesverfassung zu ändern

also die Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters einzuführen –

und so die Chancen eines CDU-Kandidaten Diepgen zu erhöhen. Wenn eine solche Verfassungsänderung, für die wenig spricht, der CDU tatsächlich ein gewichtiges Anliegen sein sollte, dann hätte sie dafür viele Jahre Zeit gehabt. Die Berliner Landesverfassung ist kein politisches Strategiepapier. Wenn die Berliner CDU sie dafür hält, zeigt das nur, was aus dieser Partei geworden ist.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Deswegen sagen wir klipp und klar zu dem ganzen Prozedere, das jetzt kommt: Wir ändern weder die Verfassung noch die Gesetze im Hinblick auf diese Wahlen. Alles andere hätte den Geruch einer Manipulation. Wir holen uns nicht zuerst hier eine Mehrheit und passen dann schnell die Gesetze an unsere Tagespolitik an, sondern wir machen es andersherum: Wir halten uns an die Verfassung, und wir halten uns an die Gesetze.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Herr Steffel hat eindrucksvoll die Verdienste des Senats, den wir abwählen wollen, geschildert. Herr Branoner, der so kreativ und immer vorneweg ist, hat es leider nicht vermocht, dass Berlin die rote Fahne [Heiterkeit]

(A) (C)

(B) (D)

Wieland, Wolfgang

nein, die rote Laterne wirklich abgibt. Berlin hat die rote Laterne des letzten Zuges nur an Brandenburg abgegeben, an das Land, mit dem wir fusionieren wollen. Da kommt besondere Freude auf: Der vorletzte Waggon und der letzte Waggon fusionieren. – Das kann uns nicht so recht überzeugen.

Die Verdienste von Herrn Kurth, dem strengen Kontrolleur der Bankgesellschaft Berlin: Er hat uns noch im Januar erklärt, dass diese Gesellschaft so stabil sei, dass von einer Schieflage gar keine Rede sein könne und dass sie dem Land Berlin in diesem Jahr eine ungeschmälerte Dividende zahlen werde. Auch diesen gestrengen Kontrolleur wollen wir irgendwie absetzen.

Herr Werthebach wird nicht mehr für die Reinheit der deutschen Sprache streiten können

[Heiterkeit bei den Grünen und der PDS]

bzw. dies nur noch von seiner Studierstube aus tun – das ist ihm unbelassen. Die Innenverwaltung wird sich wieder wesentlicheren Dingen zuwenden können, zuwenden dürfen und zuwenden müssen. Und wir sagen, das ist sehr gut und sehr notwendig.

[Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Für einen nicht existierenden Justizsenator kann man schlecht eine Alternative schildern. Deswegen hat Herr Steffel das nicht getan. Aber in diesem Zusammenhang sind einige Worte notwendig. Wir erleben im Moment in dieser Stadt nicht nur eine Finanzkrise. Wir haben nicht nur die Bankenkrise erlebt, sondern wir erleben auch eine Krise des Rechtsgefühls der Bürgerinnen und der Bürger.

[Zuruf des Abg. Schöneberg (CDU)]

Kein Mensch versteht und akzeptiert es und nimmt ohne innere Wut zur Kenntnis, dass die, die die Milliardenverluste mit angerichtet haben, die sich zum Teil in Millionenhöhe bereichert haben, bis dato nicht erkennbar zur Verantwortung gezogen wurden, und dass hier offenbar nach wie vor die Melodie gilt: Man muss nur hoch genug in der Etage sitzen, damit einem nichts geschieht. – Dies alles macht die Leute kirre am Rechtsstaat, und hierbei ist es dringend notwendig, dass ein neuer Senat wieder Klarheit schafft und die Ressourcen zur Verfügung stellt, damit hier die Strafverfolgung, die Aufklärung und das Aufräumen mit der notwendigen Intensität erfolgen und möglich sind. Das sind wir den Bürgerinnen und den Bürgern in dieser Stadt schuldig. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS – Niedergesäß (CDU): Das wird noch lustig werden!]

Das wird für einige möglicherweise nicht lustig, Herr Niedergesäß! Aber das werden wir sehen. Es gibt hier keine Vorverurteilungen, aber es mutet merkwürdig an, wenn man im Fernsehen sieht und in der Zeitung liest, dass Vorstandsmitglieder der Landesbank Berlin noch im vergangenen Jahr unter der Ägide des Quasi-Senators Diepgen – Senator war er ja nicht wirklich – ihre individuellen Geldbußen, die sie persönlich zahlen sollten, weil sie dafür gesorgt haben, dass möglichst viele Bürger ihr Geld in das Ausland bringen können, damit sie möglichst wenig Steuern zu zahlen haben, und sich damit strafbar gemacht haben, dann nicht selber zahlen müssen, sondern dies aus der Kasse der Bank bezahlt wird.

[Gram (CDU): Wer hat es vorbereitet? – Zuruf des Abg. Atzler (CDU)]

Und es mutet merkwürdig an, dass Aufsichtsratsmitglieder auch aus den Reihen der Sozialdemokratie – Herr Gram, da brauchen Sie bei uns gar keine Sorge zu haben, dass wir das nicht aussprechen! – da zustimmen und eine Staatsanwaltschaft gleichzeitig eine Vereinbarung trifft, dass dies alles doch bitte unter der Decke zu bleiben und nicht an die Öffentlichkeit zu dringen habe. Hier muss man aufräumen. Hier werden wir aufräumen, da können Sie sicher sein!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Gram (CDU): Alles okay! – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Ich sage auch ganz deutlich, weil Sie jetzt auf die SPD zeigen: Wir machen einen gewaltigen Unterschied. Wir machen einen gewaltigen Unterschied zwischen denen, die aktiv getäuscht haben, zwischen denen, die sich selbst in krimineller Weise bereichert haben, die ihre Parteifreunde bedient haben, die aus der Bankgesellschaft Berlin einen Selbstbedienungsladen der CDU gemacht haben

[Niedergesäß (CDU): Nun ist es aber genug!]

und denen, die als Aufsichtsräte getäuscht wurden. Hier ist ein Unterschied. Es ist nicht gleichzusetzen. Wenn ich in einem Haustürgeschäft einem Betrüger auf den Leim gehe, kann ich mir selbst den Vorwurf machen, eventuell zu leichtgläubig gewesen zu sein, aber ich verwehre mich zu Recht dagegen, auf die gleiche Stufe mit dem Betrüger und Täuscher gestellt zu werden. Das ist ein gravierender Unterschied.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS – Niedergesäß (CDU): Untersuchen Sie doch erst einmal!]

Man kann und man wird über Effektivierung der Kontrolle im Aufsichtsrat reden müssen, das ist doch gar keine Frage.

[Gram (CDU): Und der Wirtschaftsprüfung!]

Ein solches Desaster darf sich doch keinesfalls wiederholen. Das wird die neue Regierung in Angriff nehmen. Aber nun hören Sie einmal zu: In seiner gesamten Rede hat sich der Regierende Bürgermeister vor einer Realität völlig gedrückt, vor der Realität nämlich, dass Berlin insgesamt quasi mit einem Schuldenstand Null in die Wende gegangen ist und dass es heute ein hoch verschuldetes Land ist,

[Niedergesäß (CDU): Da kommen allein 45 Milliarden DM aus eurem Wohnungsbau dazu!]

Herr Niedergesäß! Wenn Sie von Wohnungsbau reden: Wer hat hier denn jedes Mal Beifall geklatscht, wenn eine Wasserstadt und noch eine Wasserstadt gebaut wurde? Wem konnte es nicht schnell genug gehen mit den Entwicklungsgebieten?

[Niedergesäß (CDU): Strieder ist das gewesen!]

Wer hat uns erzählt, dass wir jedes Jahr hunderttausend Menschen Bevölkerungszuwachs haben werden? – Das sind Sie gewesen Anfang der 90er Jahre. Nagel ist es gewesen, und Sie haben hurra gerufen!

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Wowereit (SPD)]

Wäre dieses Geld, wie von Eberhard Diepgen behauptet, in soziale Projekte geflossen, könnte man darüber reden. Ich möchte einmal die sozialen Projekte sehen, die soviel Geld schlucken. Dies ist aber nicht der Fall gewesen. Jeder weiß, wo die Gelder geblieben sind: in größenwahnsinnigen Projekten. Letztes Jahr wollten wir hier – Sie zumindest – Olympiade feiern. Wäre alles gelaufen. Jetzt sagt Herr Wowereit immerhin: Naja einiges wie die Olympia-Hallen oder den Ausbau der Messe hätte man so nicht machen sollen. – Späte Einsicht, aber immerhin Einsicht, die bei Ihnen vollständig fehlt.

[Beifall bei den Grünen – Niedergesäß (CDU): Sie sind doch auch für Sport!]

Herr Kollege Wieland! Würden Sie bitte zum Schluss kommen.

[Niedergesäß (CDU): Sie sind doch auch froh über drei neue Sporthallen in Prenzlauer Berg!]

Ja, Herr Kollege Niedergesäß, Sie sind eben unbelehrbar. Diese Regierung hat einen Tanz auf dem Vulkan, dem Vulkan des Lebens auf Pump, des Lebens auf Verschuldung vollführt

[Niedergesäß (CDU): So ein Schwachsinn!]

(A) (C)

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Wieland, Wolfgang

und beschwert sich jetzt bei anderen, sucht Schuldige überall, nur nicht bei sich selbst. Diese rasante Schlittenfahrt musste irgendwann einmal gegen die Wand führen. Diese Situation ist jetzt da.

[Niedergesäß (CDU): Wir sind nicht schuldig!]

Dennoch herrscht in der Stadt Aufbruchstimmung. Seit letztem Mittwoch herrscht in der Stadt Aufbruchstimmung, weil die Menschen merken, es wird etwas anders, es muss etwas anders werden und weil sie daran partizipieren wollen. Wir sagen: In dieser Krise liegt auch eine Chance. Wir sind gewillt, sie zu nutzen, wir sind gewillt zu einem Senat des Neuanfangs, zu einem Senat der Innovation und zu einem Senat zu werden, der endlich mit dieser unverantwortlichen Politik bricht. – Vielen Dank!