Protocol of the Session on June 22, 2023

(Beifall AfD)

Ebenso wird verschwiegen, dass die Einordnung von Straftaten in die Kategorie „Antisemitismus“ grundlegend hinterfragt gehört. Erinnern Sie sich noch an die Ermordung einer Familie in Senzig

durch den Vater? Diese schreckliche Tat wurde als antisemitische Straftat erfasst,

(Walter [DIE LINKE]: Zu Recht!)

weil - jetzt halten Sie sich fest - der mutmaßliche Täter sich irgendwann einmal antisemitischen Verschwörungstheorien hingegeben haben soll.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Dass die Ermordung der Ehefrau und der gemeinsamen Kinder mit diesen wie auch immer gelagerten Theorien überhaupt nichts zu tun hatte, spielt dabei für Sie überhaupt keine Rolle.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE - Hohloch [AfD]: Un- fassbar! - Zuruf der Abgeordneten Dannenberg [DIE LINKE])

Nein, Sie instrumentalisieren diese Toten für die eigene Propaganda,

(Beifall AfD)

so wie wir das gestern von Herrn Kretschmer hier im Plenum gehört haben.

Und diese Ignoranz hinsichtlich der Motive und Urheber antisemitischer Straftaten, die sich durch Ihre gesamte Argumentation zieht, lässt uns Ihr Vorhaben auch so kritisch beobachten. Warum, wenn nicht für die eigene Agenda, fordern Sie diese Beauftragtenstelle? Nein, das ein derartiger Posten besonders notwendig sei, können Sie hier nicht ausreichend darlegen - vor allem vor dem Hintergrund, dass es bereits eine „Fachstelle Antisemitismus“ in der Staatskanzlei gibt und diese aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aufgelöst werden wird. Wie also können Sie hier ein Zuständigkeitschaos verhindern?

(Beifall AfD)

Gar nicht. - Ich sage Ihnen aber noch einmal Folgendes: Wer jüdisches Leben in Brandenburg schützen und antisemitische Straftaten in Deutschland insgesamt verhindern will, der muss, wenn er in der Regierung sitzt, vor allem eins tun: eine Politik der Remigration betreiben.

(Beifall AfD)

Wir von der AfD können diese Politik im Moment nur fordern, und das tun wir. Remigration schützt die deutschen Juden, Remigration schützt und rettet nicht nur jüdische Menschenleben. Ihr Antisemitismusbeauftragter wird weder das eine noch das andere tun. Daher lehnt die AfD-Fraktion den Gesetzentwurf und auch die Überweisung an den Hauptausschuss ab. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Richstein. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Rede, Frau Kotré, lässt mich sprachlos zurück - wie Sie es wagen können, die deutschen Täter zu negieren, die antisemitische Straftaten begehen.

(Widerspruch der Abgeordneten Kotré [AfD])

- Doch, denn Sie haben gesagt, die Haupttätergruppe komme aus dem islamischen Bereich. Schauen Sie bitte noch einmal in die Statistik! Der Vorfall in Senzig wird nicht als antisemitische Straftat geführt.

(Frau Kotré [AfD]: Natürlich! - Zuruf des Abgeordneten Wal- ter [DIE LINKE])

- Nein, es ist ein Nebenmotiv. Der Vorfall zählt aber in der Statistik nicht als antisemitische Straftat.

(Zuruf des Abgeordneten Hünich [AfD])

- Herr Hünich, Sie haben doch gar nicht das Wort.

Meine Damen und Herren, ich möchte wieder zum Gesetzentwurf zurückkommen. Antisemitismus ist meist dann im medialen oder politischen Fokus, wenn gravierende Straftaten wie der Anschlag am 9. Oktober 2019 …

(Anhaltende Unruhe)

Frau Richstein, ich unterbreche kurz. - Ich bitte auf der rechten Seite des Plenums um Ruhe, damit Frau Kollegin Richstein hier Ihre Rede halten kann. Wenn irgendwo Widerspruch kommt, dann kann man das durch eine Kurzintervention oder durch eine Frage lösen. Aber ich bitte hier um Ruhe. - Bitte schön, Frau Richstein, fahren Sie fort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich beginne noch einmal:

Antisemitismus steht meist dann im medialen oder politischen Fokus, wenn gravierende Straftaten wie der Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle die Öffentlichkeit erschüttern. Damals versuchte ein Mann, in die dortige Synagoge einzudringen und die Gemeindemitglieder, die sich anlässlich des höchsten jüdischen Feiertages Jom Kippur eingefunden hatten, umzubringen, und als dies nicht gelang, tötete er zwei Passanten, die zufällig seinen Weg kreuzten. Solche schwerwiegenden Vorfälle brennen sich ins Gedächtnis einer Gesellschaft ein und rütteln sie wach - zumindest für einige Zeit.

Auch in Brandenburg wurden im vergangenen Jahr knapp 200 antisemitische Straftaten registriert, deutlich mehr als im Vorjahr, wenn auch glücklicherweise nicht in der Dramatik wie in Sachsen-Anhalt.

Aber ich möchte betonen und klarstellen: Es ist nicht die Zahl oder die Dimension strafrechtlicher Verfahren, die die Einrich

tung der Stelle einer oder eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus begründet. Es ist eine grundsätzliche Entscheidung, politischer Verantwortung gerecht zu werden und auch ein Zeichen für die Gesellschaft zu setzen.

(Beifall CDU, SPD, B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Jüdisches Leben ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil unserer Geschichte und der daraus erwachsenden Verantwortung. Jüdisches Leben gehört mit seiner Religion, seiner Kultur sowie den Gemeinden und Institutionen zu Brandenburg.

Leider bedroht Antisemitismus immer wieder, in unterschiedlichen Ausprägungen und in vielerlei Gestalt, dieses jüdische Leben - versteckt, subtil, indirekt, manchmal auch offen. Der Landtag hat deshalb mit der Verfassungsänderung vor einem Jahr mit breiter Mehrheit ein klares Bekenntnis dazu abgegeben, Antisemitismus entgegenzutreten und das jüdische Leben und die jüdische Kultur in Brandenburg zu fördern.

Einen solchen Verfassungsgrundsatz gilt es auch materiell auszufüllen, und das wird mit der Einrichtung einer bzw. eines Landesbeauftragten jetzt getan. Heute liegt nun der Gesetzentwurf vor, der auch wieder von einer breiten, fraktionsübergreifenden Mehrheit getragen wird.

Selbstverständlich werden auch in Zukunft Ermittlungen und Strafverfolgungen im Zusammenhang mit antisemitischen Vorfällen von den zuständigen Behörden bzw. Staatsanwaltschaften geführt. Die Funktion als Ansprechpartner bei antisemitischen Vorfällen ist ein Zusatz: Es geht bei einem oder einer Landesbeauftragten zur Bekämpfung von Antisemitismus auch um andere Funktionen und Aufgaben. Die Zusammenarbeit mit Bund und Ländern, die Sensibilisierung der Gesellschaft für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus, der Austausch mit den jüdischen Gemeinden im Land Berlin und in Brandenburg sowie der Kontakt zu Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen sind wichtige Tätigkeitsfelder. Hier gilt es, präventiv, begleitend und vorausschauend zu wirken.

Der Landtag Brandenburg zeigt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, dass er das relevante Thema Antisemitismus nicht delegiert, sondern mit den eigenen Beauftragtenstellen priorisiert.

Herr Scheetz hat es schon gesagt: Wir haben heute die 1. Lesung und beginnen jetzt das parlamentarische Verfahren. Wir werden während dieses parlamentarischen Verfahrens natürlich mit allen Beteiligten sprechen, und wir sind sehr darauf gespannt, in der Ausschussbehandlung, auch in der Anhörung, weitere wertvolle Hinweise und Anregungen zu hören. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.

(Beifall CDU, SPD und B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und BVB/FW)

Vielen Dank. - Wir fahren mit dem Redebeitrag des Abgeordneten Walter fort. Er spricht für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Sandler! Lieber Rabbi Kirzon! Lieber Herr Ku-

tikov! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir uns mit dem Thema Antisemitismus - auch hier als Deutsche - beschäftigen, kann und darf man über die Vergangenheit nicht schweigen. Das Thema Antisemitismus betrifft mich auch immer wieder persönlich: Mein Großvater, den ich nie kennengelernt habe, war Mitglied der Waffen-SS und nachweislich an der Ermordung von Jüdinnen und Juden in der damaligen Sowjetunion beteiligt. Gleichzeitig habe ich mich schon in meiner Schulzeit, aber auch während meines Studiums viel mit dem jüdischen Leben in Eberswalde beschäftigt. Deshalb möchte ich Ihnen von Margot Steinhardt erzählen:

Margot Steinhardt war die jüngste Tochter der Familie Steinhardt in Eberswalde. Sie hatten ein Möbelgeschäft, lebten viele Jahre in Eberswalde und waren integriert. Sie wurde 1937 geboren und mit vier Jahren, im Jahr 1942, mit ihrer Mutter aus Eberswalde nach Warschau deportiert. 1942 verliert sich ihre Spur. - Sie ist tot. Sie wurde von Nazis ermordet. Sie wurde verfolgt und ermordet - unter den Augen auch vieler Eberswalderinnen und Eberswalder.

Dass ich hier heute stehe, hat nichts damit zu tun, dass ich irgendeine Schuld reinwaschen kann - das kann ich gar nicht, das will ich auch gar nicht -, sondern dass ich heute hier stehe und wir über den Gesetzentwurf für den Antisemitismusbeauftragten sprechen, hat etwas damit zu tun, dass die übergroße Mehrheit dieses Parlaments genauso wie die übergroße Mehrheit dieser Gesellschaft es als Verpflichtung ansieht, dass nie wieder - nie wieder! - in diesem Land Menschen verfolgt werden dürfen oder ihnen sogar die Vernichtung droht, weil sie anders glauben, anders leben oder eine andere Sprache sprechen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU, B90/GRÜNE und BVB/FW)

Deshalb ist es gut und richtig, dass wir heute hier darüber sprechen.

Die Nazis konnten einer Vierjährigen zwar das Leben nehmen; wenn wir hier aber immer wieder in Würde daran erinnern, wird sie weiterleben - so wie alle anderen 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die der Shoah zum Opfer gefallen sind.

Deshalb will ich Ihnen sagen, dass diese Verpflichtung für uns ganz praktisch auch heißt, dass wir heute über den Antisemitismusbeauftragten sprechen. Und ich persönlich werde verstehen, warum Antisemitismus nach den Ereignissen bis 1945 nicht längst in den Geschichtsbüchern verschwunden ist. Das werde ich nicht verstehen, warum Menschen immer noch glauben, dass Jüdinnen und Juden Teil einer Weltverschwörung sind. Ich werde auch nie verstehen, warum Jüdinnen und Juden Angst vor Angriffen haben müssen.

Allein im letzten Jahr gab es in Brandenburg eine neue Höchstzahl antisemitischer Straftaten: 183. Das sind 183 Straftaten zu viel. Ich will auch gar nicht negieren, dass es auch aus anderen Gruppen Angriffe auf Jüdinnen und Juden gibt. Mir ist völlig egal, wo der Mensch, der Antisemit, geboren ist. Ob er in Königs Wusterhausen, einem anderen Land oder einer anderen Stadt geboren ist, ist mir völlig egal. Aber man muss einmal zur Kenntnis nehmen, dass von den 183 antisemitischen Straftaten 179 dem rechten Spektrum zugeordnet werden - nur vier sind nicht zuzuordnen. Auch das gehört zur Wahrheit. Deswegen: Hören Sie auf, zu diesem Thema hier zu reden!